1Juli2017

Kirschenzeit

Inge Hellwege

Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit meiner Kusine Helga. Wir klönten schon eine ganze Weile, da sagte sie plötzlich: Es ist Kirschenzeit.Was meinst du damit? fragte ich. Ja, das ist die Zeit in der ich immer bei euch gewesen bin, weil ich mir dort selbst Kirschen pflücken durfte und so viele essen durfte, wie ich wollte. Ich musste lachen. Daran kann ich mich erinnern. Mein Vater hat aber zu dir gesagt, wenn du davon Bauchweh bekommst, hast du selbst Schuld.Stimmt. Aber ich habe nie Bauchweh gehabt, ich habe wohl zu wenig gegessen. Wir amüsierten uns. Kannst du dich noch an die Blechdosen erinnern? fragte ich.

Klar! Aber wie war das noch?Also, mein Vater hat alte Blechdosen auf ein Band gezogen, sah aus wie eine große Weintraube. Die hat er dann in dem Kirschbaum aufgehängt. Eine alte Wäscheleine machte er daran fest, deren Ende er an unserem Klofenster befestigte. Wenn nun jemand aufs Klo musste, musste er auch an der Wäscheleine ziehen und dann klapperten die Dosen im Baum. Und diesen Dosenkrach mochten die Stare nicht und flogen weg. Diese waren genau so scharf auf unsere Kirschen wie du – ohne unsere Kirschen wollten die auch nicht leben. Unsere Klotür wurde gar nicht mehr zu gemacht. Jeder der vorbei ging, zog eben mal an der Wäscheleine. Da haben sich die Stare einen anderen Kirschbaum gesucht.

Hast du die Geschichte schon aufgeschrieben, wenn nicht – mach das bitte und schick sie mir. Nun sitze ich hier und schreibe und weiß noch eine andere Kirschengeschichte.

Nach den Glaskirschen wurden die Sauerkirschen reif. Die wurden in Weckgläsern eingekocht oder meine Mutter kochte daraus eine Kirschensuppe mit Grießklößen. Sie hatte nicht immer die Zeit, die Kirschen vorher zu entsteinen und dann gab es Spucksuppe. Wenn diese am Mittag auf den Tisch kam, wurden die Fenster geöffnet. Warum? Dann gab es Wettspucken bei uns. Wir alle versuchten die Steine aus dem Fenster nach draußen zu spucken. Das gelang meistens nicht. Aber mit einem Löffel konnte man sie rausschießen. Was für ein Spaß! Wir drei Kinder und auch Vater und Mutter machten mit – das war Vergnügen und Lachen pur. Zu schööön und unvergesslich! Danach mussten wir die Steine aufsammeln, Fenster und auch die Fensterbank reinigen – aber das war der Spaß allemal wert.

Eigentlich möchte ich mal Kirschensuppe mit Steinen kochen – aber allein macht es doch keinen Spaß oder? Soll ich das mal probieren? Was meinst du? –

Inge Hellwege, im Sommer 2017