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Währungsreform

Unerwartet wie ein Gewitter brach sie ja nicht über uns herein, die Währungsreform am 21. Juni 1948.
Gemunkelt wurde schon Wochen vorher. Doch wusste niemand, wie so eine Reform aussehen könnte. Alle waren sich aber einig darin, dass unser Geld dann so gut wie nichts mehr wert sein würde.

Es war also notwendig, es irgendwie vorher auszugeben oder anzulegen. Nur das Wie war die Frage. Es gab ja nichts zu kaufen, jedenfalls nichts Notwendiges. Lebensmittel gab es sowieso nur auf Lebensmittelkarten, und für wahnsinnig überhöhte Preise auf dem Schwarzen Markt wollten wir es nicht ausgeben. Zu Weihnachten war es mir gelungen, einen hübschen Holzschnitt unserer zerstörten Heimatstadt zu erwerben, aber Schuhe besohlen lassen konnte man nicht nur für Geld, was so dringend notwendig gewesen wäre.

Mit der Eisenbahn fahren, ja, das konnte man für Geld. Und das tat ich auch und fuhr zu meinen Eltern nach Westfalen. Ich wusste nicht‚ ob ich mir das nach der Reform noch leisten konnte. Dort traf ich in einer befreundeten Familie als Freund der Tochter einen cleveren jungen Mann an, der gerade im Keller seines Elternhauses mit einer Waschpulverproduktion begonnen hatte. Reinigungsmittel gab es ja auch nicht zu kaufen und das Zeug ging weg wie früher warme Semmeln, erfuhr ich. Es fehlte lediglich an Startkapital für eine größere Produktion. Nun hatte ich aus der Kriegszeit, in der ich schon berufstätig gewesen war, noch Geld auf dem Sparbuch, das ich wie ein Geizkragen gehütet hatte, immer in der Hoffnung, damit eines Tages mein Studium fortsetzen zu können.

Nun beschloss ich abrupt, mein Geld in Waschpulver anzulegen, ehe die Währungsreform es auffraß, hob 3000 Reichsmark vom Konto ab und machte mich am Abend mit dem Geld im handgenähten Brustbeutel auf den Weg. Doch der Jungunternehmer hatte an diesem Abend zu intensiv in ein Wasserglas mit selbstgebrautem Kartoffelschnaps geguckt und wirkte infolgedessen auf mich alles andere als seriös. Da behielt ich das Geld im Brustbeutel und zahlte es am nächsten Tag wieder aufs Sparkonto ein.

Später stellte sich heraus, dass das klug gewesen war, denn aufgewertet, erst auf 6, später auf 10 % wurden nur Guthaben, die sich längere Zeit auf einem Konto befunden hatten. Hohe Schwarzmarktgewinne, kurz vor der Reform eingezahlt, wurden nicht aufgewertet. Abwesenheit des Geldes bis zu drei Tagen wurde toleriert.

Am Tag nach der Währungsreform wurde ich schonend von meiner bevorstehenden Kündigung unterrichtet, da mein Gehalt nicht mehr finanziert werden könne. Ich arbeitete damals als Wohlfahrtspflegerin — heute Sozialarbeiterin — in einer sozialen Einrichtung zum Caritastarif, das hieß für 50 Prozent des offiziellen Tariflohnes.

Bei meiner sofortigen Rücksprache im Arbeitsamt konnte man mir keinerlei Hoffnung auf eine andere Arbeitsstelle machen. Im Arbeitsamt gab es Schlangen von Arbeitsuchenden. irgendwie ging es dann doch weiter. Der Caritasverband sprang ein. Prof. Algermissen stiftete den Erlös einer Broschüre und ich erklärte mich weiterhin mit 50 % einverstanden.

Wenn ich aber heute lese, dass am Tag nach der Reform sämtliche Geschäfte wie von Zauberhand gefüllt waren und die Schlachtereien von gut geräucherten Schinken, prallen Mettwürsten und Bratenstücken überquollen, erstaunt mich das. Ein gut gefüllter Schlachterladen war wohl für uns alle, die wir so lange gehungert hatten und denen diese Dinge nur grammweise zugeteilt worden waren, ein Wunschtraum. Ich persönlich habe solche Schlachterläden erst etliche Zeit später wahrgenommen und da ich diese Köstlichkeiten auch nur auf Lebensmittelmarken kaufen konnte wie alle meine Bekannten, habe ich keineswegs in kulinarischen Köstlichkeiten geschwelgt. Außerdem aß ich weiterhin in unserem Mädchenwohnheim, das ich betreute, und dort änderte sich die Verpflegung keineswegs schlagartig. Aber Gemüse gab es nun ausreichend, daran kann ich mich erinnern, und dann auch Obst.

Und dass es zum Beispiel Töpfe gab, die vorher nicht zu haben waren, war schon erstaunlich. Ich weiß das so gut, weil wir zwei Aluminiumtöpfe besaßen, die wir aus den Trümmern unseres zerstörten Hauses ausgegraben hatten. Sie waren zusammengedrückt worden, aber nicht gebrochen und von meinem Vater in Geduldsarbeit auseinander geklopft und ausgebeult worden. Einen solchen Topf kann man sich heute wohl nicht mehr vorstellen und darum habe ich versucht‚ ihn zu zeichnen. Er hatte natürlich keine glatte Oberfläche, sondern wirkte eher wie gepunzt und einer der Töpfe hatte auch zuletzt einen Flicken in der Dorfschmiede bekommen. Wie das allerdings zugegangen ist, weiß ich nicht mehr.

Diese Töpfe konnten meine Eltern nun fortwerfen, das heißt, sie haben sie noch im Garten zum Aufheben von Bohnen und Erbsen verwendet. Und Radios konnte man plötzlich auch kaufen, Volksempfänger, die es schon lange nicht mehr zu kaufen gab und die den Krieg in irgendeinem Vorratsraum eines Händlers überstanden hatten. Das Wort Vorkriegsware galt nun als Qualitätsmerkmal.

In Erinnerung geblieben ist mir eine Lutherbibel, Erstausgabe mit Kupferstichen‚ umgeben von bibliophilen Kostbarkeiten in einem kleinen Zimmerfenster einer Buchhandlung, Kostenpreis 40,- DM‚ genau so viel Geld wie das Kopfgeld.

Sollte ich die Miete für mein möbliertes Zimmer, die auch 40,- DM betrug, schuldig bleiben und das Kopfgeld für die Bibel ausgeben? Lange stand ich wie angenagelt vor dem Fenster, doch dann siegte die Vernunft.

Mein erstes Gehalt nach der Währungsreform bekam ich erst zwei Monate später. Ich kaufte mir dann ein Paar Nylonstrümpfe und hatte bis Weihnachten so viel zurückgelegt, dass ich meiner jüngeren Schwester, die aus der Gefangenschaft zurückgekehrt war (als Schulhelferin in Prag) und nun studieren wollte, davon eine Armbanduhr kaufen konnte, damit sie Zug und Vorlesungen nicht verpasste. In den Juweliergeschäften gab es nun wieder Uhren und Schmuck.

In die Versuchung, eine alte Lutherbibel zu kaufen, geriet ich nicht wieder; eigentlich schade.