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Mit der Eisenbahn nach Fehmarn - 1956

Die Schulzeit hatte ich hinter mir und noch ein paar freie Tage bis zum Beginn der Lehre. Das wollten meine Freundin Ulla und ich nutzen für eine kurze Reise. Geld war Mangelware, aber durch Klassenreisen hatten wir das Leben in Jugendherbergen kennen gelernt. Von Mallorca träumten wir damals noch nicht. Wir wollten von Herberge zu Herberge durch Schleswig-Holstein reisen, die Fahrkarte kostete 5,-- DM, das war ein Sondertarif, da wir beide mehrere Geschwister hatten. Aber keine Jungs!, schwor Ulla vor der Abfahrt, nee, keine Jungs!, schwor auch ich.

Von meinem Vater bekam ich den Rucksack, der den Krieg überlebt hatte, einen Affen mit Fell auf der Außenklappe. Er war enorm praktisch, denn ich konnte meine Sachen glatt hineinlegen, wie bei einem Koffer mit Gurten festschnallen und das ganze übereinander klappen. Also kein Gewurschtel im Rucksack.

Unser erstes Ziel war Neustadt an der Ostsee. Die Jugendherberge lag auf einem Hügel in Pelzerhaken, ab Neustadt ging es per pedes weiter. Am Neustädter Hafen kauften wir uns eine Tüte Krabben und pulten uns hungrig.

Als wir in der überfüllten Herberge ankamen, gab es eine kräftige Suppe und für uns leider nur ein Lager unter dem Dach. In der Nacht rumste es mehrmals gewaltig, denn bei jeder Umdrehung stießen wir uns am Dachbalken. Mit einigen blauen Flecken zogen wir am nächsten Morgen wieder zum Bahnhof und nahmen den Zug nach Fehmarn. Gespannt sahen wir aus dem Fenster, als der Zug in Großenbrode auf die Fähre fuhr, die ihn über den Fehmarnsund übersetzte. Die große Brücke über den Sund gab es noch nicht.

In der Jugendherberge, die außerhalb von Burg lag, war Platz für uns. Wir packten unsere Sachen in den Spind und machten uns gleich auf den Weg zum Strand. Das waren einige Kilometer, Busse fuhren nur selten, also mussten wir laufen. Endlich kam die Ostsee in Sicht. Kaum hatten wir das Strandlaken ausgebreitet, setzten sich 2 Jungs zu uns und plauderten munter drauf los. Ab und zu mussten sie sich bei ihren Müttern sehen lassen, doch schon waren sie wieder da. Auf dem Rückweg erklärte Ulla mir: Der Blonde ist für mich. In Ordnung sagte ich, ich mag den mit den braunen Augen lieber. Aber was ist mit unserem Schwur? Vergiss es, meinte Ulla lachend.

In der Herberge erfuhren wir, dass morgens ein Bäcker Brötchen mit seinem Auto in das Strandhotel brachte. Wenn man ihn erwischte, gab es freie Fahrt zum Strand. Wir haben ihm oft aufgelauert, um die Füße zu schonen. Dabei fiel auch manches Brötchen für uns ab. Es gefiel uns hier so gut, dass wir die Schleswig-Holstein-Rundfahrt auf später verschoben. Mit den beiden Jungs unternahmen wir lange Strandwanderungen und hatten viel Spaß. Nur Mutter darf uns nicht sehen, hörten wir ab und zu.

Viel zu schnell war für Ulla der Urlaub zu Ende, sie musste ein paar Tage eher zurück als ich. Auch die beiden Jungs reisten ab, aber ich hatte inzwischen in der Herberge Freundinnen gefunden.
Ein Plakat lud ein zur Wahl der Miss Fehmarn. Das wollten wir uns ansehen. Wir Mädchen brachten unsere Röcke und Petticoats zur Reinigung, damit sie auch die richtige Steife hatten. Und dann zogen wir los – das Fenster in unserem Zimmer hatten wir angelehnt, damit wir auch nach 22:00 Uhr noch hinein kamen, denn die Herberge wurde abends abgeschlossen. Wir waren mächtig aufgeregt, als wir Nummern bekamen und bei der Misswahl mitmachen sollten. Wollten wir das wirklich? Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Dann ging es los: Im Kreis mussten wir über die Tanzfläche stolzieren – nicht im Bikini wie heute, nein ganz normal in unseren weiten Röcken und mit Sandalen! Ich höre noch, wie der Moderator mich vorstellte: Das ist Renate aus Hamburg. Das Herz schlug bis zum Hals. Wenn meine Eltern das wüssten.. dachte ich. – Nun - ich bin nicht Miss Fehmarn geworden – Schuhe mit hohen Absätzen kamen da besser an als Sandalen, und für Lippenstift und Nagellack hatten wir kein Geld. Aber wir hatten unseren Spaß.

Unser Fenster war noch angelehnt, als wir nachts ankamen. Ganz leise kletterten wir hinein. Beim Frühstück am nächsten Morgen erzählte der Herbergsvater, dass nachts irgendwer ums Haus geschlichen ist, wobei wir ziemlich rote Ohren kriegten. Aber es gab keine Gardinenpredigt.

Auch mein Urlaub ging zu Ende und ich fragte am Bahnhof noch einmal nach, ob meine Fahrkarte wirklich auch für die Rückfahrt gelte. Der Schalterbeamte bestätigte es. Als der Zug auf die Fähre fuhr, kamen mir ein paar Tränen – es war ein so wunderbarer Urlaub gewesen, ein Gefühl von Freiheit und Erwachsensein.

Im Zug kam einige Male ein Kontrolleur, drehte und wendete meine Fahrkarte und gab sie zurück mit alles in Ordnung. Doch dann, kurz vor Hamburg, wurde es brenzlig: Die Fahrkarte galt nur für die Hinfahrt wurde mir erklärt. Ich verstand die Welt nicht, erzählte, dass ich mich vorher erkundigt habe und mir bestätigt wurde, dass die Karte auch für die Rückfahrt gültig ist. Sie sollte ja sogar für eine Schleswig-Holstein-Rundfahrt gelten. Obwohl: 5,-- DM kam auch mir billig vor. Dieser Kontrolleur blieb dabei: Am Hauptbahnhof musst du nachlösen, sonst kommst du nicht durch die Sperre. Oh Schreck, ich hatte gar kein Geld mehr, alles ausgegeben im Urlaub. Doch zum Glück hatte ich meine Monatskarte für die Strecke Hamburg – Wandsbek im Rucksack. Schnell stieg ich am Hauptbahnhof in den nächsten Bummelzug zurück nach Wandsbek – nun konnte mir nichts mehr passieren.

Tja, das mit den Fahrkarten war bei der Bahn wohl immer schon schwierig und ich hab sie mal angeschmiert – ist ja schon über 50 Jahre her und sicher verjährt.