10Apr2024

Demokratie, Rassismus und unsere Sprache

Margot Bintig

Vorwort:

Rassismus ist ein Angriff auf die universellen Menschenrechte an sich und verleugnet eines der Grundprinzipien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte – nämlich, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind.

(Amnesty international)

Es gibt keine Menschenrassen. Allerdings sind die Menschen nicht alle gleich, sondern von Natur aus sehr vielfältig. Es gibt Schwarze, Weiße und viele Nuancen an Hautfarben dazwischen, es gibt Dicke und Dünne, Große und Kleine, mit vielfältigen Charakteren und auch die Intelligenz ist unterschiedlich ausgeprägt. Es gibt inzwischen fast acht Milliarden Individuen auf der Erde. Es gibt verschiedene Religionen und Weltanschauungen, vielfältige Kulturen und unterschiedliche soziale Bedingungen. Und doch haben alle zu 99 Prozent die gleiche DNA: Es sind Menschen.

Von Rassen spricht man nur bei den Tieren, die von Menschen durch gezielte Züchtung geschaffen wurden.

Es ärgert mich, wie leichtfertig mit der Sprache und dem Wort Rassismus umgegangen wird. Durch eine falsche Wortwahl oder vermeintlich falschen Umgang mit ethnischen Gruppen wird bei den angeblichen moralischen Autoritäten große Empörung ausgelöst. Einzelne Begriffe, die oft ohne böse Absicht geäußert werden, sind ein Grund, um von einer selbsternannten moralischen Elite in einem Maß verunglimpft zu werden, dass es ganze Karrieren zerstören kann.

Das führt nach meiner Meinung zu einer Verharmlosung von tatsächlichem Rassismus und Antisemitismus. Gleichzeitig können Parolen und Ideologien aus dem Dritten Reich wieder verbreitet werden, und das Vokabular des verbrecherischen NS-Regimes aus den 1930er Jahren wird nicht mehr nur bei den rechten Gruppen verwendet. Das Unwort des Jahres 2023 heißt noch verschämt Remigration. Wird es demnächst richtig Deportation oder besser Zwangsdeportation heißen? Im Gegensatz zu den riesigen Demonstrationen der letzten Zeit waren die Demonstrationen gegen rechts eher klein. Das Schweigen der Mehrheit war bisher sehr laut. Wo bleibt hier die große moralische Empörung, die das Potenzial hat, die Karrieren derer zu zerstören, die mit dem Ziel, die Demokratie zu vernichten, unsere Gesellschaft spaltet?

Während ich diesen Artikel schreibe, sieht es so aus, als ob sich hier etwas ändert. Ausgelöst durch einen Zeitungsbericht über ein Geheimtreffen, das an die Wannseekonferenz 1942 erinnert, gehen zurzeit hunderttausende Menschen gegen rechts auf die Straße. Etwas spät, doch hoffentlich dauerhaft und erfolgreich. Und das Engagement verpufft nicht so schnell, wie die Reden und Lichterketten der vergangenen Jahre.

Episoden des Rassismus, wie ich ihn erlebte:

Ende der 1940er Jahre hatte ich als kleines Mädchen eine Negerpuppe Das Wort Neger ist heute zu Recht verachtet, ich schreibe es trotzdem, um den damaligen Zeitgeist richtig widerzuspiegeln., die ich innig liebte. Dieser Begriff wurde damals neutral verwendet und wird erst heute als diskriminierend erkannt. Viele andere Mädchen hatten auch eine solche Puppe. Warum schwarze Puppen? Es gab in meiner Heimatstadt Offenbach viele als Negerhuren verachtete Mütter mit schwarzen Babys. Das kam daher, dass hier und im Umkreis zahlreiche amerikanische Soldaten stationiert waren, viele davon waren schwarz. Nach dem Abzug der Soldaten waren fast alle schwarzen Kinder aus dem Stadtbild verschwunden, doch die Mütter blieben da. Wohin kamen die vielen Kinder und was ist aus ihnen geworden? Ich habe keine schlüssige Antwort gefunden.

Eines der wenigen schwarzen Besatzungskinder, die im Land blieben, war Jimmy Hartwig, geboren 1954 in Offenbach und späterer Profifußballer. Seine sehr lesenswerte Biografie zeigt exemplarisch, was Rassismus ist. Er wuchs mit seiner Mutter und den Großeltern am Stadtrand von Offenbach auf, in einer sogenannten asozialen Siedlung, dem Lohwald. Es war keine gewachsene Ansiedlung, sondern glich eher einem Ghetto. Die Stadt hat alle Menschen, die nicht in die Norm passten, hier untergebracht. Die Offenbacher nannten die Siedlung zynisch Marriott-Gelände, nach der Luxushotelkette. Es war, wie man heute sagt, eine No-go-Area. Von vielen anständigen Bürgern wurden die Bewohner der Siedlung als Abschaum bezeichnet. Dieses hässliche Wort klingt mir heute noch im Ohr. Hier wurde in voller Absicht eine diskriminierende Beleidigung benutzt. Wie Hartwig schreibt, litt er als Kind sehr unter seinem deutschen Nazi-Großvater, der ihm immer wieder sagte, dass alle Neger dumm und nichts wert seien. Die Mutter hatte Angst, dass der Großvater dem kleinen Jimmy etwas antun könnte, weil er sich nicht damit abfinden konnte, einen schwarzen Enkel zu haben. Es war eine Kindheit voller Diskriminierungen und Schläge, doch die Mutter riet ihm, sich nicht zu wehren. Erst später, nachdem er als Fußballer etabliert war und sogar Nationalspieler wurde, bekam er Anerkennung, wurde aber immer wieder, auch auf dem Fußballfeld, wegen seiner Hautfarbe als Nigger und mit Affengejohle herabgesetzt und beleidigt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie damals viele Offenbacher sich darüber aufregten, dass so ein schwarzer Bastard bei ihrem Fußballverein, den Offenbacher Kickers, mitspielen durfte. Sein späterer persönlicher Absturz wurde vielfach mit Häme kommentiert: Das war ja vorauszusehen.

Das Wort Neger (negro = von lat. schwarz, dunkelfarbig) wurde früher von der Allgemeinheit als neutraler Begriff benutzt, auch ist es ein alter Familienname, wie ebenfalls der Name Mohr. Doch da in Amerika die schwarzen Sklaven als Nigger herabsetzend tituliert wurden und das Wort dem Deutschen sehr ähnlich ist, fühlen sich die Betroffenen davon diskriminiert. Man sollte das respektieren und dieses mit viel Schuld und Unrecht beladene Wort aus dem Vokabular streichen und auch nicht als N-Wort beschönigen.

Ich war ungefähr zwölf Jahre alt, als ich mit einer Jugendgruppe zu einer Freizeit in das Allgäu fuhr. Meine Mutter brachte mich zum Bahnhof und trug meinen schweren Koffer. Als ein großer Junge aus meiner Gruppe ihr hilfsbereit anbot, den Koffer zu tragen, drehte sie sich mit angeekeltem Gesicht um und zischte: Nein!. Der Junge war schwarz. Ich habe mich damals für meine Mutter in Grund und Boden geschämt, so sehr, dass ich es bis heute nicht vergessen habe. Meine Mutter wurde in ihrer Jugend von den Nazidoktrinen geprägt und konnte sich auch später kaum davon lösen. Sie war allerdings nicht die Einzige in meinem Umfeld, wie ich später feststellte, als ich Schlüsse aus dem Gehörten ziehen konnte.

Es war ja auch für viele zu schön, wenn man im Nationalsozialismus und dessen Rassenwahn per Gesetz, ohne dass man selbst etwas dafür tun musste, zu einem besseren Menschen, einem Herrenmenschen, erklärt wurde. Die Anderen, allen voran die Juden, waren Untermenschen und damit rechtlos. Die arischen Deutschen waren, egal welchen Charakter oder sozialen Stand sie hatten, allen anderen moralisch und gesetzlich übergeordnet. Das war Antisemitismus und Rassismus der allerschlimmsten Form.

Ich habe das rassistische Gedankengut auch persönlich erlebt bei einer Reise nach Südafrika zur Zeit der Apartheid. Das Wort Apartheid bedeutet getrennt, gemeint war die Rassentrennung. Dieses Wort ist eine verniedlichende Umschreibung dessen, was dort geschah.

Die weiße Minderheit der HerrenmenschenLesen Sie auch:
Südafrika 1982 - Urlaub während der Apartheid
von Margot Bintig [... Klick]
teilte die große Mehrheit des Landes in vier Rassen ein, Schwarze, Weiße, Coloureds und Asiaten. Deren Rechte wurden abgestuft stark beschnitten, sodass die unterste Gruppe, die der Schwarzen, so gut wie keine Rechte hatte. Es war Rassismus pur, doch Schwarze wurden korrekt als Schwarze bezeichnet.

Auch mit dem Wort Antisemitismus wird sehr leichtfertig umgegangen.

Bin ich ein Antisemit, wenn ich die augenblickliche Regierung von Israel kritisiere? Bin ich ein Antisemit, wenn ich einen Menschen, der zufällig jüdisch ist, anzeige, weil er mich betrogen hat?

Ich habe nie verstanden, woher der Hass auf Juden kommt. Es konnte mir auch bis jetzt noch niemand eine begründete Erklärung geben. Alle Erklärungen klingen wie eine Rechtfertigung, damit man sich besser als der andere fühlen kann. Juden sind Menschen wie wir alle, nicht besser und nicht schlechter. Ist es die Religion? Wohl nicht, denn ich kenne auch atheistische Juden. Doch die jüdische Religion ist mir im Gegensatz zu anderen Religionen sympathisch, weil sie nicht missioniert und anderen nicht ihren Glauben aufzwingen will.

Wenn ich sehe, wie nach den unsäglichen Verbrechen im Dritten Reich sich einige Staaten auf die Fahne geschrieben haben, Israel von der Landkarte auszuradieren und die Juden ins Meer zu treiben, wird mir schlecht. Sie wollen hier keinen Radiergummi benutzen und auch keine Menschen zum Baden schicken, im Klartext ist Völkermord an den Juden gemeint.

Auch wenn zu Beginn der Staatsgründung Israels Fehler gemacht wurden, sollte doch einiges nach über 75 Jahren zurechtgerückt worden sein. Doch leider ist es nicht so, der Hass wird über Generationen weitergegeben und bekommt ständig neue Nahrung.

Die Macht- und Herrenmenschen werden erschreckend mehr, sie wollen die alleinige Macht und Herrschaft. Da steht die Demokratie im Weg, denn sie beschneidet die Macht eines Einzelnen. Die Demokratie braucht keine Feindbilder wie Rassismus, Antisemitismus oder andere Lebensweisen, um von eigenen Fehlern abzulenken. Deshalb wird alles versucht, sie abzuschaffen oder zumindest so auszuhöhlen, dass von Demokratie nur noch eine Worthülse bleibt. Die skrupellosen Anführer werden von vielen Menschen bejubelt oder zumindest werden ihre Taten verharmlost, obwohl sie dabei sind, alles in Schutt und Asche zu schlagen. Menschenleben spielen dabei keine Rolle mehr.

Ich empfehle allen Leserinnen und Lesern, die Zeittafel der MachtergreifungBlättern in der Geschichte:
Die Zeittafel der Machtergreifung 1933
Machtergreifung der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler, Ende der Weimarer Republik und Beginn der NS-Diktatur [... Klick]
auf der Webseite der Erinnerungswerkstatt zu lesen. Diese Zeittafel verdeutlicht eindrucksvoll, wie rasend schnell der Umbau von der Demokratie zur Diktatur erfolgen kann. Wenn viele Menschen rechte Parteien wählen, um ihren Frust abzubauen, statt sich demokratisch zu engagierenEin Beispiel dafür, dass sich die Welt auch mit friedlichen Mitteln ändern lässt:
Lesen Sie: Monte Klamott von Kathy Dreisel
, um die Gründe für den Frust abzuändern, kann vielleicht die nächste Wahl die letzte freie Wahl gewesen sein.

Bertolt Brecht drückte es so aus: Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihren Schlächter selber. Margot Bintig, im Januar 2024