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Raffiniert

Ich kannte ihn. Wir waren uns wiederholt begegnet. Er war ein richtiger Streuner, dieser Hund, der da jetzt am Zaun hin und her lief. Er war ein typischer Mischling in Schäferhundgröße und hatte Andeutungen zum Jagdhund.  Was an dieser Stelle seine besondere Aufmerksamkeit hervorrief, war nicht auf den ersten Blick zu erkennen.

Ich befand mich mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit. War von der Ohechaussee in den Nebenweg eingebogen, der parallel zur Tannenhofstraße verlief. Dieser Weg führte mich zum Scharpenmoorweg über die Schillerstraße zum Garstedter Rathaus, meiner Arbeitsstelle.

Ich war inzwischen vom Fahrrad gestiegen. Der Hund hatte meine Neugierde geweckt und ich schaute näher hin, um zu erkennen, was sich da abspielte. Jetzt sah ich sie! In der Zaunecke ganz links, da wo das Nachbargrundstück angrenzte, hatte sich eine Katze gemütlich niedergelassen; sie ließ sich durch nichts stören ‒ weder durch den Hund noch durch mich, der interessiert  der Dinge harrte, die sich da anbahnten.

In Höhe der Katze stieß er seine Schnauze wiederholt durch eine der handtellergroßen Öffnungen im Drahtgeflecht. Und auch die durchgesteckten Pfoten erreichten die Katze nicht. Man hatte den Eindruck, die Katze interessierten diese Einsätze nicht. Sie ließ sich überhaupt nicht stören, obwohl ich den Eindruck hatte, dass sie den Hund und seine Aktionen unmerklich genau im Auge hatte.

Der Lagerplatz, den sie sich ausgesucht hatte, lag am hinteren Ende eines Hausgrundstücks, das mit seiner Vorderseite an die Tannenhofstraße grenzte; dort stand auch das Wohngebäude der Besitzer. Der hintere Teil des Grundstücks war unbearbeitet und ein ungepflegter vergilbter Rasen diente der Katze als geeignetes Ruhegelände.

Der Hund versuchte inzwischen, den Zaun mit seiner Schnauze anzuheben, um der Katze habhaft zu werden. Das blieb aber auch ohne Erfolg. Trotzdem gewann ich den Eindruck, hier bahnt sich ein Drama an. Die Intensität, mit der der Hund laut schnaubend seinem Jagdinstinkt nachging, würde irgendwann bestimmt ein Erfolg beschieden sein. Er würde die Katze dann in die Ecke treiben, die beide Grundstückszäune bildeten. Im Bedarfsfall hätte ich natürlich helfend eingegriffen.

Da geschah es, der Hund hatte ganz rechts im etwa zehn Meter langen Zaun, da wo sich ein unbebautes Grundstück anschloss, eine Lücke entdeckt. Groß genug, um hindurch zu schlüpfen! Nun begann tatsächlich der erwartete Angriff, den der Hund jedoch sehr gemächlich angehen ließ. Er war sich anscheinend seiner Sache absolut sicher. Die Katze ließ das ungerührt.

Jetzt musste es passieren! Nur etwa drei Meter Abstand zwischen Katze und Hund! Ich sah die Katze schon zwischen den Zähnen des Hundes! Doch sie erhob sich gemächlich, buckelte kurz und machte einige leichte Schritte durch die Öffnungen im Drahtgeflecht und war diesseits des Zaunes in Sicherheit. Auf der Kante des entlang des Weges verlaufenden kleinen Grabens ließ sie sich nieder und setzte ihre Siesta fort. Auch hier bot ihr der Grasbewuchs ausreichende Bequemlichkeit.

Ich war von diesem Ausgang überrascht und sehr angetan von der schlauen Katze. Langmut und Intelligenz waren hier offensichtlich maßgeblich. Aber besitzen Katzen so etwas überhaupt? Ich machte mir Gedanken und betrachtete das Geschehen als eine Lehre!

Der Hund seinerseits schnaufte einige Male kräftig, man merkte ihm die Enttäuschung an, lief einige Schritte unentschlossen hin und her und entfernte sich dann in Richtung der Tannenhofstraße. Noch mal wollte er sich wohl keine Blamage einhandeln.

Ich stieg aufs Fahrrad und setzte meine Fahrt fort. Auch am Arbeitsplatz musste ich dann und wann an dieses interessante Erlebnis denken. So ein raffiniertes kleines Biest!