Der Traum im Supermarkt
Wenn ich mit meiner Frau einkaufen gehe und in der Kassenschlange des Supermarktes stehe, in dem es alles zu kaufen gibt, von der Zeitung bis zur Frikadelle, träume ich oft von der Zeit des Einkaufens in den fünfziger Jahren.
Ging man damals zum Einholen, musste man mehrere Händler aufsuchen, denn einen Supermarkt gab es nicht. Es gab aber den Milchmann, den Bäcker, den Schlachter, den Fischmann, den Gemüsehändler, den Kolonialwarenhändler und den Zigarren-Höker. Die meisten Händler hatten Familienbetriebe.
Fangen wir mal mit dem Milchmann an. Er hatte einen kleinen, kühlen Laden, der war weiß gekachelt und hatte einen Terrazzo-Fußboden. Die Tonbank war aus weißem Marmor. Im Schaufenster stand eine schwarzbunte Kuh aus Steingut. Betrat man den Laden, klingelte die Türglocke. Man begrüßte sich mit Namen und wenn der Laden nicht so voll war, wurde erst ein kleiner Plausch abgehalten erst dann kam die Frage: Was soll`s denn sein?
Man reichte die Milchkanne rüber und nannte die Litermenge.
Die Milch befand sich in einer 20-Liter-Kanne, an deren Rand die geeichte einhalb-Liter-Kelle hing, mit der der Milchmann die gewünschte Menge in die Kanne des Kunden füllte. Hatte man keine Kanne dabei, bekam man eine gläserne Leihflasche,die, nach der Befüllung mittels eines Trichters, mit einer runden Pappscheibe verschlossen wurde.
Ein besonderes Schauspiel war immer der Butterkauf. Denn die Butter (Grasbutter) befand sich in einem Holzfass. Mit zwei Butterklatschern (Hölzerne Brettchen) wurde die Butter abgestochen und auf einen Bogen Pergamentpapier, das auf der Tonbank bereit lag, geklatscht. Nach der Gewichtsprüfung mittels der Waage, formte der Milchmann die Butter kunstvoll zu einem rechteckigen Klotz und wickelte sie ein.
Käse, Eier, süßen Rahm für Schlagsahne und Buttermilch konnte man noch beim Milchmann kaufen, aber im Großen und Ganzen war das alles, was man bei ihm erwerben konnte. Man verabschiedete sich mit lieben Gruß an die Familie
und ab ging`s zum nächsten Händler.
Einige Häuser weiter hatte der Bäcker seinen Laden. Draußen an einem Ausleger hing eine Brezel. Es roch schon draußen nach frischen Backwaren. Alles, was man bei ihm kaufen konnte, stammte aus seiner Backstube. Wenn ich nur an die noch warmen Hamburger Rundstücke denke, läuft mir noch heute das Wasser im Munde zusammen. Seinen Butterkuchen gab es das ganze Jahr zu kaufen, sowie Kopenhagener und Franzbrötchen. Alle anderen Kuchen hatten ihre Saison. Auch im Bäckerladen herrschte immer ein freundlicher Ton. Der Bäcker fuhr auch mit seinem Tempo-Lieferwagen an zwei Tagen in der Woche in die Randbezirke und bot dort mit seiner großen Glocke seine Waren an.
Alle Läden damals hatten keine Registrier-Kassen. Alle Preise wurden auf einen Block geschrieben und von Hand zusammengerechnet. Dazu wäre der größte Teil der heutigen Kassenfrauen wohl kaum in der Lage.
Nun aber weiter zum Schlachter. In seinem Schaufenster standen die Schlachterblumen (Hortensien) und in der Mitte ein Schwein aus Steingut. Hinter seinem Laden war das Schlachthaus. Er kaufte und schlachtete die Tiere noch selber.
Im Ladeninneren war es immer kühl, auch im Sommer. Die Wände waren bis an die Decke gekachelt, daran waren kräftige Haken, an denen das Fleisch, die Speckseiten und die Mettwurst hingen. Der Schlachter, ein stattlicher Herr, stand immer an seinem Hauklotz. Seine Frau verkaufte die Wurstwaren aus eigener Herstellung. Wir kauften immer ein halbes Pfund Aufschnitt und überließen der Frau die Mischung. Verlangte man ein viertel Pfund Leberwurst, so schnitt sie das Stück fast auf ein Gramm genau ab. Die Frage: Kann es ein bisschen mehr sein?
kannten wir nicht. Sollte es mal Karbonade sein, gingen wir zum Meister. Der zeigte uns den Strang, nahm ihn vom Haken und schnitt die Scheiben vor unseren Augen zurecht. Den Knochen zersägte er mit einer Handsäge. Wenn meine Mutter mal Rindersteak verlangte, ging er nach hinten und weil wir Stammkunden waren, kam er mit einem besonders abgehangenem Stück zurück und zeigte es meiner Mutter. Ich bekam am Ende des Einkaufes immer ein Stück Knackwurst von der Schlachterfrau. Aber wofür der Schlachter weit und breit bekannt war, das war sein Sauerfleisch. Dazu machte meine Mutter Bratkartoffeln, es war ein Genuss.
Nun brauchten wir ja auch noch Zucker, Mehl usw. Das kauften wir beim Kolonialwarenhändler oder Krämer. An seiner Fassade waren die großen Emaille-Schilder angebracht. Mit Werbung für Persil, Erdal-Schuhcreme oder Holsten Bier. Der Krämer hatte noch eine alte hölzerne Ladeneinrichtung mit vielen Schubladen, in denen sich Zucker, Mehl und die vielen anderen Dinge befanden. An mehreren Haken hingen die Tüten, rechteckige und dreieckige. Je nach dem, was man kaufte, alles bekam seine spezielle Tüte. Auf der Tonbank stand die große Waage, aus poliertem Messing mit genauso blanken Gewichten. Was für mich ganz wichtig war, die gläsernen Behälter mit den Süßigkeiten auf der Tonbank, die zogen mich magisch an. Der Krämer war schon der Zeit ein wenig voraus, man konnte bei ihm auch Haushaltsgeräte, Töpfe und Pfannen, sowie Spaten und Harken für den Garten kaufen. Obendrein war bei ihm der Ort, wo man den neuesten Klatsch des Ortes erfuhr. Was mir noch sehr in Erinnerung geblieben ist, er trug hinter jedem Ohr einen Bleistift.
Nun darf natürlich auch der Zigarren-Höker nicht fehlen. In meiner Familie waren viele Raucher, also führte kein Weg am Zigarren-Höker vorbei. Außer seinen Tabakwaren konnte man bei ihm Zeitschriften und Schreibmaterialien kaufen. Der kleine Laden war bis unter die Decke vollgestopft mit seinen Angeboten. Aber was mich bei ihm immer faszinierte, war seine ewige Gasflamme auf dem Ladentisch. Das war ein Zigarrenanschneider mit mehreren Löchern und oben drauf loderte die kleine Gasflamme.
Nun aber hin zum Gemüsehöker, sein Gemüse war immer taufrisch und der Saison entsprechend. Zur Spargelzeit stand immer im Schaufenster der dickste und längste Spargel mit einem kleinen Schildchen dran, mit der Aufschrift: Mamas Liebling
(Heute weiß ich den Sinn des Schildes) Im Winter kaufte man bei ihm sein köstliches Sauerkraut und Schnippelbohnen.
Am Schluss noch zum Fischmann, den steuerten wir immer am Monatsende an, weil dann das Haushaltsgeld zur Neige ging und Fisch war sehr preiswert. Wir nannten es das Armeleuteessen.
Der Fischmann hatte die edelsten Fische in seiner Auslage liegen und alles in Eisstücken gelagert. Steinbeißer, Aal, Seezunge und Lachs. Alles zu Preisen, die wir uns heute nicht vorstellen können. Seine Salate, eingelegte Bratheringe, Gewürz und Salzgurken waren alle aus eigener Herstellung. Wir kauften meistens Elbbutt, die waren so groß wie ein Klosettdeckel, so sagte meine Oma immer.
Mit einem Knuff in meine Rippen werde ich von meiner Frau in der Warteschlange des Supermarktes aus meinem Traum aufgeweckt. Ich denke nur noch: Jaja, die gute alte Zeit!