Münze
schmuggelt Westgeld
Die Bild-ZeitungBild (bis in die 1970er-Jahre und umgangssprachlich weiterhin auch Bild-Zeitung) ist die auflagenstärkste Tageszeitung in Deutschland und war dies auch lange Zeit europaweit. Unter allen Zeitungen Deutschlands erhielt die Bild in den letzten Jahrzehnten mit Abstand die meisten Rügen aufgrund von Verstößen gegen den Pressekodex., zwar nicht mein Leib-und-Magen-Blatt, brachte am 23. Februar 2023 eine interessante Meldung: Das legendäre Café Moskau an der Berliner Karl-Marx-Allee firmierte anlässlich des Jahrestags von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine kurzzeitig als Cafe Kyiv. Der neue Name wurde von der Denkmalbehörde allerdings nur für vier Tage genehmigt.
Diese Nachricht evozierte bei mir, der in West-Berlin aufgewachsen war, Erinnerungen an eine bis heute seltsame Begebenheit mit meinem Freund Uli aus dem Nordosten der damaligen DDR.
Wir hatten uns 1967 im Zug nach Prag kennen gelernt. Der Vindobona-Express, speziell der Speisewagen, war in den 1960ern eine der wenigen unmittelbaren Kontaktstellen zwischen West und Ost. Uli und ich hielten zunächst Briefkontakt miteinander, bis ab 1972 auch persönlich Begegnungen in der DDR möglich wurden, die wir so oft wie möglich nutzten.
Es muss 1979 gewesen sein, dass mich Uli um ein Treffen in Ost-Berlin bat. Er hatte ein Problem. Uli besaß Westgeld, aber die Regierung der DDR hatte nun verfügt, dass DDR-Bürger Westgeld und andere Valuta ab sofort in sogenannte Forumschecks umtauschen müssten.
Nur mit diesen Gutscheinen sollten Ost-Bürger in den verlockend ausgestatteten Intershops die begehrten West-Waren kaufen können, nicht mehr für die heimlich im Umlauf befindliche harte D-Mark. Grund für diese Maßnahmen, so weiß man heute, war die notorische Devisenknappheit der DDR. Erich Honeckers Konsumprogramm (Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik
) ab Mitte der 1970er- Jahre überforderte die Leistungsfähigkeit der innovationsträgen DDR-Planwirtschaft und steigerte die Auslandsverschuldung der DDR. Es drohte schon damals die internationale Zahlungsunfähigkeit.
Was lag näher, als den DDR-Bürgern ihr Westgeld zwangsweise aus der Tasche zu ziehen? Die DDR-Führung hoffte, mit dem abzuschöpfenden Geld, das oftmals von Westverwandten stammte, mehr Devisen zur Verfügung zu haben. Doch die Menschen in der DDR rochen den Braten schnell. Warum sollten sie sich der harten Währung entledigen, die ja nicht nur für Käufe in den Intershops nützlich war? Mit D-Mark im Sparstrumpf konnte man Dienstleistungen in Bau und Handwerk schnell bekommen, oder auch andere knappe Waren wie Pkw-Ersatzteile. In Zeitungsanzeigen, wo die Verwendung des Begriffs D-Mark oder Westgeld nicht möglich war, deuteten Angaben wie Biete blaue Fliesen, suche …
die Bereitschaft an, mit der Schattenwährung zu bezahlen. Blaue Fliesen, auch: blaue Kacheln, war in der DDR eine umgangssprachliche Bezeichnung für die blaue Farbgebung des bundesdeutschen 100-D-Mark-Scheins.
Wie viele andere DDR-Bürger wollte Uli sein Westgeld vor dem Zugriff des devisenhungrigen Staates in Sicherheit bringen und fragte mich, ob ich für ihn in West-Berlin ein Sparkonto eröffnen könne. Klar, das war möglich.
Zur Übergabe seiner gesparten 4.000 D-Mark trafen wir uns an einem späten Nachmittag in Ost-Berlin, genauer gesagt im Café Moskau in der Karl-Marx-Allee gegenüber dem Kino International. Dieses Restaurant war zu DDR-Zeiten ein beliebter Treffpunkt. Man konnte dort einen Mokka an der Bar trinken oder sowjetische Spezialitäten genießen. Die komfortable Inneneinrichtung vermittelte zudem auch ein Gefühl der Exklusivität.
Wir wollten unser Treffen allerdings nicht nur zur profanen Geldübergabe nutzen, sondern ein bisschen klönen und dabei auch ein paar Tröpfchen des sogenannten SU-Wodkas, (im Sprachgebrauch der DDR ein Wodka sowjetischer Herkunft), genießen.
Tatsächlich blieb es nicht bei ein oder zwei Tröpfchen. Es wurde schließlich mehr als eine Halbliterflasche, die wir verzehrten. Wir waren stolz darauf, dabei gleich zwei oder drei Kellner verschlissen zu haben. Was wir damals nicht wussten war, dass diese Herren von der Staatssicherheit waren. Das erfuhr Uli erst nach der Wende aus seiner umfangreichen Stasi-Akte, in der auch ich bezeichnenderweise als Münze
zu finden bin.
Im Verlauf des feuchtfröhlichen Treffens übergab mir Uli sein Westgeld, das ich in einem unauffälligen Einkaufsbeutel verstaute, bevor ich mich kurz vor Mitternacht zum Grenzübergangspunkt im Bahnhof Friedrichstraße begab. Das Geld, so war ich sicher, konnte ich unbeschadet ausführen, mit einem einfachen Trick: In die Zollbescheinigung musste man zwar seine Devisen eintragen, aber nur numerisch. So hatte ich bei der Einreise den Betrag von 40 DM eingetragen, die ich zur Ausreise eben mit dem gleichen Kugelschreiber auf 4.040 DM korrigierte. Es war zwar ungewöhnlich und gar unüblich, solch große Bargeldmengen mit sich zu führen, aber verboten war es nicht. Tatsächlich blieb ich unbehelligt, was mich heute, nach Kenntnis aus Ulis Stasi-Akte, doch sehr verwundert.
Der Batzen Geld war dann aber noch durch einen anderen Umstand gefährdet. Un-nüchtern wie ich war, schlief ich auf der West-Berliner Seite in der S-Bahn ein und wachte gerade noch rechtzeitig am Bahnhof Botanischer Garten auf, um aus dem Zug zu springen. Ich fand irgendwie noch den Fußweg nach Hause in Steglitz und dann ins Bett.
Meine damalige Freundin und heutige Frau berichtete, dass meine Kleidung im Flur der Wohnung verstreut lag und ich geschnarcht haben soll wie ein Holzfäller. Als ich dann verkatert am nächsten Morgen wach wurde, fiel mir der Einkaufsbeutel mit dem Geld ein. Wo war der? Hatte ich ihn in der S-Bahn liegen gelassen? Nein. Glücklicherweise lag er im Flur und ich konnte das mir anvertraute Geld wie geplant auf ein Sparkonto einzahlen.
Wie ging es weiter? Die Forumschecks existierten zwar weiter, fanden aber nie die gewünschte Akzeptanz. Die DDR-Bürger waren nicht blöd und die D-Mark spielte für sie weiterhin eine wichtige Rolle in der ausgeprägten Schattenwirtschaft dieses Staates, der bis zum Ende seiner Existenz nie einen Weg aus dem chronischen Devisenmangel fand.
Uli konnte nach dem Fall der Mauer sein West-Geld wieder in Empfang nehmen. Ab und an genießen wir auch jetzt noch einen Wodka miteinander, allerdings meist einen polnischen, und davon auch nicht mehr zu viel. Wichtig für uns ist nur, dass wir uns jetzt treffen können, wo wir wollen. Selbst im Café Moskau, wenn uns danach wäre. Und wir wären sicher, nicht von Kellnern bedient zu werden, die für die Stasi lauschen.
Quellen: Bundesarchiv, Bild 183-C0211-0006-001 / Weiß / CC-BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Caf%C3%A9_Moskau_(Berlin)?uselang=de#/media/File:Bundesarchiv_Bild_183-C0211-0006-001,_Berlin,_Karl-Marx-Allee,_Restaurant_Moskau.jpg, via Wikimedie Commons, eigene Erinnerungen und Aufzeichnungen.