Meine erste Coca-Cola auf St. Pauli
Als erstgeborener Enkel in der Familie hat man bei Oma und Opa immer ein Glückslos. Man wird verwöhnt von allen Seiten. Ich kam mir vor wie ein kleiner König. Oma und Opa wohnten im vierten Stock eines Mietshauses im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Die Wohnung teilten sich drei Familien, denn nach dem Krieg war Wohnraum äußerst knapp. Selbst das WC wurde geteilt, heute undenkbar. Zwei Straßen weiter war schon die Reeperbahn.
Oma kaufte mir bei jedem Einkauf von Wurstwaren ein Wiener Würstchen, in der Schlachterei Schmiedel um die Ecke. Hinauf in den Laden führten etwa vier Stufen. Eine kleine Waffeltüte mit Sahne gab es nebenan in einem Kellergeschäft. Außerdem sorgten Oma und Opa für mein erstes Spielzeug. Es war ein großer Teddybär, den gewannen sie auf dem Hamburger Dom, mit Losen für je einen Groschen. Alle haben sich über den Hauptgewinn riesig gefreut, vor allem ich. Den Teddy wollte ich dann nicht mehr aus der Hand geben.
Mit Opa machte ich einen längeren Spaziergang. Es ging von der Rendsburger Straße durch die Clemens Schultz Straße und Paul Rosenstraße in Richtung Chemnitzstraße. Dann über die Allee, heute Max-Brauer-Allee, in Richtung Lessingtunnel. Über den Tunnel führen acht Fernbahn- und vier S-Bahn-Gleise. Der Lessingtunnel in Hamburg ist eine nördlich vor dem Bahnhof Hamburg Altona verlaufende etwa 110 Meter lange Bahnunterführung am westlichen Ende der Julius-Leber-Straße. Die Benennung folgte dem beim Bau der Anlage im Jahre 1908 geltenden Straßennamen Lessingstraße
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Fußgänger gehen und Radfahrer fahren in der Mitte des Tunnels. Wasser tropft von oben, mal hier und mal da. Die Beleuchtung war gelbes Licht und es war vom Autoverkehr im Tunnel sehr laut. Es gibt schönere Unterführungen in Hamburg. Jetzt ging es rechts in die Barnerstraße bis zur Bahrenfelder Straße. Mitten durch Ottensen geht die Bahrenfelder Straße. In der Kurve der Barnerstraße war rechts die Firma Prange. Gegenüber in der Bahrenfelder Straße war ein kleiner offener Hinterhof. Gleich rechts waren eine Eisentür und ein Eisentor, die auf das Grundstück führten. Auf dem Grundstück war die kleine Kfz-WerkstattLesen Sie auch:Die vergessene Kfz-Werkstatt auf St.Pauli
meines Onkels. Eine Eisentreppe führte nach oben zu seinem kleinen Wohnraum und dem Büro. Opa sagte mir, er gehe kurz rechts um die Ecke und komme gleich wieder. Dass dort eine Gaststätte (Kneipe) war, hatte ich nicht gesehen. In späteren Jahren habe ich erfahren, dass in dieser Gaststätte mein Onkel meine Tante kennenlernte. Sie heirateten im Juni 1958. Auf dem kleinen Grundstück standen etwa fünf Autos. Einige davon waren nicht abgeschlossen. Auch ein alter Porsche stand da. Den konnte ich mir in Ruhe von innen ansehen. Für mich war es nicht langweilig, auf Opa zu warten. Er hatte mir ja versprochen, dass er mich wieder abholen würde. Wie versprochen, kam er auch. Es muss wohl so um eine Stunde gewesen sein.
Jetzt starteten wir den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Als wir Richtung Lessingtunnel kamen, war er mit einer dicken Rauchfahne überschattet, denn die Dampfloks hatten viel Dampf in die Luft geblasen. Auch die Dampfpfeife der Dampfloks machte viel Lärm, den ich nicht kannte. Der Bahnhof Hamburg-Altona ist ein Kopfbahnhof für alle Fernzüge. So musste jeder Zug rangiert werden. Dafür brauchten die Loks viel Steinkohle in ihren Heizkesseln. Hinzu kam noch der Qualm aus den Kohleöfen der Mietshäuser, die mit festen Brennstoffen beheizt wurden. Die Luft war nicht gut zum Einatmen. Dann überquerten wir die Allee, dort schaute ich mir die Straßenbahn der Hamburger Hochbahn Linie 15 an, die an uns vorbeifuhr. Wir wollten ja laufen, aber das war der schnellste Weg zu Oma. Dass ich gleich drei Stadtteile kennenlernte, war mir gar nicht bewusst, Ottensen, Altona und St. Pauli. In der Clemens-Schultz-Straße, auf der linken Seite in Richtung Millerntor war eine kleine Gaststätte, hier hielt Opa wieder an. Er bestellte sich ein kleines Bier und für mich eine Coca-Cola in der bauchigen 0,2-Liter-Glasflasche. Ich freute mich sehr über Opas Idee. Auch er freute sich sehr über das Lächeln seines Enkels. Aber Oma sollte ich über den Besuch in der Gaststätte nichts erzählen. Das tat ich dann auch nicht.
Ich glaube, Oma wartete schon auf uns mit dem Essen. Denn um 1954 hatte im ganzen Mietshaus wohl keiner ein Telefon und wir konnten ihr unsere Verspätung nicht mitteilen. Im Nachhinein möchte ich sagen, Oma und Opa waren die Besten. Danke!