Meine letzte Klassenreise
Gern denke ich zurück an meine Schulzeit und besonders an die Jahre in der damaligen Mittelschule, die heutige Realschule, und ganz besonders ist mir die letzte Klassenreise im Jahre 1960 in der Erinnerung geblieben.
Unsere Klassenlehrerin hatte für uns eine Fahrt nach Frankreich geplant. Wir waren knapp 30 Mädchen und Jungen im Alter von 15 bis 16 Jahren. Der Grund der Reise war jedoch nicht Sonne, Spaß und Strand, sondern die Begegnung mit der Vergangenheit. Im Geschichtsunterricht hatten wir über die schrecklichen Ereignisse des Ersten Weltkrieges gesprochen, und im Französischunterricht paukten wir seit einigen Jahren die Vokabeln des südlichen Landes. So passte beides zusammen. Ich interessierte mich damals weniger für die schreckliche Vergangenheit, aber ich liebte die französische Sprache und war ganz gespannt darauf, das Erlernte nun auch einmal praktisch anwenden zu können.
Im Jahre 1919, nach dem unrühmlichen Ende des Ersten Weltkrieges, wurde der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
gegründet. Er hatte sich dazu verpflichtet, die Kriegsgräberstätten zu erhalten und zu pflegen, und zwar mit Hilfe von Jugendlichen aus vielen Ländern, um den Opfern der Gewaltherrschaft ein würdiges Andenken zu bewahren und für den Frieden zu mahnen.
Es werden seit damals und bis zum heutigen Tag Jugendlager (Workcamps) angeboten, in denen sich die internationale Jugend traf bzw. trifft, um Freundschaft über den Gräbern zu pflegen. Zu einem günstigen Eigenanteil, in dem bereits eine einfache Unterkunft, Verpflegung, Versicherung und einige Ausflüge enthalten sind, kann man etwas Sinnvolles leisten, Ferien genießen, Land und Leute kennen lernen, eine Zeit lang das Gruppenleben üben und dabei historisch-politische Themen kennen lernen und diskutieren.
Wir waren damals sicher noch zu jung, um die ganze Bandbreite der Vergangenheit zu begreifen, aber durch Vorträge während der Reise und Besichtigung der damaligen Kriegsschauplätze bekamen wir doch einen Eindruck von den furchtbaren Geschehnissen.
Wir reisten per Zug von Hamburg über Frankfurt und Paris in ein kleines Dorf namens Servon sur Marne in der Champagne, im Nordosten von Frankreich gelegen.
Die Entfernungen zu den Städten Chalons sur Marne, Reims und Verdun waren nicht weit.
Besonders Verdun, die Stadt an der Maas, steht für eines der blutigsten Kapitel des Ersten Weltkrieges, es waren 700.000 Menschenleben zu beklagen.
Auf einer großen Wiese in Servon waren bereits die Zelte für das internationale Lager aufgebaut. Es war sommerlich warm, und so machte es großen Spaß, drei Wochen lang in Zelten zu schlafen.
Von den älteren Einheimischen wurden wir anfangs sehr misstrauisch, mitunter sogar feindselig betrachtet, was bei der beidseitigen Vergangenheit auch nicht verwunderlich war. Die Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen musste noch wachsen.
Außer unserer Gruppe aus Deutschland übernachteten dort auch Jugendliche aus Skandinavien, Holland und Belgien, und ich kann mich sogar an einen Inder erinnern, der zu unserer Freude seine Arme und Beine verrenken konnte und uns alle zum Staunen brachte.
Mädchen und Jungen waren selbstverständlich in separaten Zelten untergebracht, und unsere Lehrerin trug die Verantwortung dafür, dass es auch so blieb für die kommenden Wochen. Ihre große Hilfe dabei sollte ein Student sein, der ihr für die Zeit in Frankreich zugeteilt wurde. Er sollte helfen, die jungen Männer unserer Reisegruppe ein wenig im Auge
zu behalten, während unsere Lehrerin sich mehr um die Mädels kümmern wollte. Dies tat sie nicht immer zu unserer Freude, denn für manchen Streich musste die Arme leider herhalten und sogar eine Nacht auf einer platten Luftmatratze verbringen, weil wir heimlich die Luft herausgelassen hatten. Wie sich später herausstellte, konnte sie sich leider auf den jungen Mann nicht verlassen, denn er hatte in diesem internationalen Lager ein Mädchen kennen gelernt und nunmehr andere Dinge im Kopf.
Neben den Wohnzelten stand ein großes Küchenzelt, in dem wir alle unsere Mahlzeiten einnahmen und der Jugend aus verschiedenen Ländern näher kamen. Die Dänen hatten eine ganz besondere Reihenfolge beim Abwaschen, nämlich das Besteck kam zuerst. Das wiederum hatte unseren lautstarken Protest zur Folge.
Es gab eine große Begrüßungszeremonie nach unserer Ankunft, und wir wurden eingeteilt in Arbeitsgruppen, denn natürlich war das Hauptanliegen unserer Reise das Herrichten der Kriegsgräber, Unkrautjäten und Auflockern der Erde, um einen gepflegten Eindruck zu hinterlassen.
Jeden Tag erledigten wir unsere Erdarbeiten und kamen manchen Tag ziemlich erledigt zum Lager zurück.
An Ausflüge zu den damaligen Kriegsschauplätzen erinnere ich mich auch noch, und wir waren erschüttert über den Anblick der unzähligen Kreuze auf den Gräbern der Gefallenen des Ersten Weltkrieges. Wir wurden uns der Absurdität von Kampf und Zerstörung bewusst. Besonders der Ort Verdun wurde zum Inbegriff für die Sinnlosigkeit des Krieges.
Zwischendurch konnten wir auch ein wenig Freizeit genießen, denn während eines Bummels durch die Gemeinde gesellte sich ein junger Franzose zu uns, der uns Deutsch sprechen hörte. Er lernte in der Schule Deutsch und freute sich sehr, seine Kenntnisse anzuwenden. Ich habe die Gelegenheit genutzt, mit ihm die Adressen auszutauschen und noch eine Weile mit ihm korrespondiert, ich auf Französisch, er auf Deutsch.
Nach getaner Arbeit erfrischten wir uns manchmal beim Schwimmen im nahen Dorfweiher oder es gab verschiedene Sportveranstaltungen, wobei ich mich besonders an einen spannenden Boxkampf zweier Klassenkameraden erinnern kann. Natürlich kam auch das Flirten nicht zu kurz, und es war interessant, die erlernten Fremdsprachenkenntnisse in Englisch und Französisch anzuwenden, schließlich handelte es sich ja um ein internationales Jugend-Camp.
Von den Lehrern des Ortes wurden eines Tages alle Anwesenden zwecks Völkerverständigung in die Aula der Dorfschule eingeladen. Sie hatten extra eine kleine Aufführung vorbereitet, und das war natürlich auch ein Highlight
für die Bevölkerung.
Ein beliebter Treffpunkt für uns junge Leute war auch immer die einzige Gaststätte in dem damals sehr kleinen Ort, wo wir den französischen Cidre probierten und bestimmt auch den einen oder anderen verbotenen Schluck, denn rund um die Uhr konnten uns die Lehrkräfte schließlich nicht beaufsichtigen.
Das imposanteste Bauwerk des Ortes war natürlich die prächtige Kirche, ich habe sie immerhin fotografiert.
Ein Freizeitausflug brachte uns in die Stadt Reims, und besonders nachhaltig ist mir die Besichtigung einer der berühmten Sektkellereien in Erinnerung geblieben. Als besonderes Mitbringsel für meine Eltern hatte ich dort eine Flasche Sekt gekauft. Allerdings blieb von dem Empfangsschluck nach der Reise nicht viel übrig, da sich der größte Teil des Flascheninhaltes beim Öffnen im Wohnzimmer verteilte. Das schöne Souvenir wurde im Koffer auf der Rückreise ordentlich durchgeschüttelt, und das verträgt der beste Sekt nicht.
Als Dank und Belohnung für unsere damalige Arbeit an den Kriegsgräbern gab es nach dem Lagerleben eine Fahrt nach Paris. Wir fühlten uns wie im Traum, zum ersten Mal im Leben das Schloss Versailles zu besichtigen, Notre Dame und Sacre Coer zu sehen.
Ehe die Heimfahrt nach Deutschland wieder angetreten wurde, machten wir noch einen Abstecher in die kleine Stadt Bouillon in Belgien.
Heute weiß ich zu schätzen, welche Kraft unsere Lehrerin in diese Reise investiert hatte, denn nach der Klassenfahrt musste sie sich zur Behandlung in ein Krankenhaus begeben, da sie einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Die alleinige Betreuung und Verantwortung für eine große Gruppe von halbwüchsigen Mädchen und Jungen war einfach zu viel für sie.
1914 - 1918; Erster Weltkrieg:
Die Schlacht um Verdun dauerte vom Februar bis zum Dezember 1916. Sie ging auf einen Plan des deutschen Generalstabschefs Falkenhayn entwickelte für 1915 eine Ermattungsstrategie
, die begrenzte Offensiven im Osten und eine Defensive im Westen vorsah. Im Westen wollte er Anfang 1916 vor Verdun in einem überraschenden Vorstoß die Höhenzüge besetzen und mittels massierter Artillerie die Festung beschießen. Die Franzosen hätten so Verdun, die stärkste ihrer Festungen vor der deutschen Grenze, entweder aufgeben müssen – was sie seiner Meinung nach nie tun würden – oder aber sie wären in Verdun verblutet
. Schon Zeitgenossen sprachen von der Blutpumpe
oder Knochenmühle
von Verdun.Siehe Wikipedia.orgErich von Falkenhayn zurück.
Der massive Angriff auf den Angelpunkt der französischen Verteidigung sollte den Gegner binden und damit andere Frontabschnitte entlasten. Falkenhayn beabsichtigte ein Ausbluten
der französischen Armee. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass die Festung Verdun schwerer einzunehmen war als gedacht. Der deutsche Vorstoß kam auf dem rechten Maasufer im Trichterfeld zwischen der zerstörten Ortschaft Fleury, der Feste Souville und der Souvillenase zum Stehen. Im erbitterten Kampf brachten beide Seiten schwere Opfer.
Die Stadt Verdun erlitt schwere Zerstörungen, einige Dörfer im Umland wurden ebenfalls zerstört. Von Bar-le-Duc kam der französische Nachschub über die bald als la Voie Sacrée
bekannte Straße. Sie blieb in französischer Hand. Denn auch die deutsche Offensive auf dem linken Maasufer brachte keinen Erfolg. 170.000 französische und 150.000 deutsche Soldaten kamen während der knapp ein Jahr währenden Schlacht ums Leben.
Verdun wurde so zum Sinnbild der Schrecken des modernen Krieges, in dem die Soldaten zu Menschenmaterial
degradiert werden.