Brieffreundschaften in der Jugendzeit
Meine Enkeltochter Jasmin ist vertraut mit allem technischen Zubehör, das heutzutage geboten wird. Sie besitzt ein Smartphone, ein Handy, mit dem man Fotos versenden und die neuesten Nachrichten umgehend mit der Freundin austauschen kann. Selten kommt sie zu Besuch, da sie leider viele Kilometer entfernt von uns wohnt, aber natürlich setzt sie sich, sobald sie angereist ist, mit meinem Laptop über Facebook mit ihrer besten Freundin in Verbindung. Innerhalb von Minuten, ja fast Sekunden, bekommt sie Antwort, und so können die Mädchen über Stunden ihre Unterhaltung fortsetzen, und ich sitze staunend daneben und denke an meine Jugendzeit zurück, in der es all diese Bequemlichkeiten nicht gab. Wir haben damals noch richtige Briefe geschrieben, und es dauerte eine gute Weile, bevor die Antwort kam.
Im Jahre 1951 wurde ich eingeschult, und schon in der Grundschule wurde neben den üblichen Grundfächern auch schon die erste Fremdsprache, nämlich englisch, gelehrt. Mir machte es großen Spaß, und so griff ich Ende der 1950er Jahre gerne zu, als über eine Agentur in der Schule angefragt wurde, wer denn an einer Brieffreundschaft in England interessiert sei. Meine neue Brieffreundin hieß Valerie, war zwölf Jahre alt wie ich auch und wohnte in Liverpool. Die Anfänge waren schwer, denn meine Englischkenntnisse waren damals noch nicht umfassend. Unser Englischlehrer hatte angeboten, bei der Fehlerminimierung zu helfen, und so wanderte ich mit jedem Entwurf zu ihm, um meine Briefe möglichst fehlerfrei und verständlich abzusenden. Daher wurde mir die englische Sprache nach und nach vertrauter, denn wie heißt es so schön: learning by doing
.
Valerie beschrieb mir ihre Heimat sowie Sitten und Gebräuche, und ich erzählte von meinen Angewohnheiten, von beliebten Speisen und Getränken und von unseren Spielen und berichtete über meine Familie und Hobbys. Schließlich sandten wir uns auch gegenseitig kleine Päckchen mit Süßigkeiten oder Gebäck. Es war überaus spannend, auf die Antwort aus Liverpool zu warten, nachdem ich wieder mal einen Brief an Valerie formuliert und abgesandt hatte. Wir hatten schließlich auch Pläne, uns gegenseitig zu besuchen und persönlich kennen zu lernen, was letztendlich aber leider nie geklappt hat. Über die Auslandsagentur kamen inzwischen auch Anfragen aus anderen Ländern zum Briefaustausch, unter anderem aus Japan. Es war eine Adresse von einem Shigeru aus Hiroshima dabei, und ich nahm sie an mich und begann parallel zur englischen Brieffreundschaft nun zusätzlich eine Korrespondenz mit Japan, natürlich auch in englischer Sprache.
Mein Brieffreund war sehr interessiert an deutschen Sitten und Gebräuchen und plante, später unbedingt einmal Deutschland zu besuchen. Er berichtete viel Interessantes über Hiroshima und sandte mir ein Büchlein zu, in dem die Geschehnisse nach dem Abwurf der Atombombe abgebildet sind. Ich halte es bis heute in Ehren. Natürlich sandten wir auch Fotos hin und her, so dass ich seine Familie, seine Eltern sowie den kleinen Bruder kennenlernen konnte. Heute kann ich nicht mehr genau sagen, wie ich meine Zeit eingeteilt habe zwischen Briefeschreiben und -lesen, Schularbeiten und anderen Freundschaften oder Freizeitgestaltungen, aber es hat mir immer viel Spaß gemacht, auf diese Weise von anderen Sitten und Gebräuchen in der Welt zu erfahren. Inzwischen hatte ich auch angefangen, in der Schule als zweite Fremdsprache französisch zu lernen, und diese Sprache machte mir besonders viel Spaß. So lernte ich auf meiner letzten Klassenreise in Frankreich in einem internationalen Lager einen jungen Franzosen kennen und tauschte mit ihm die Adressen aus. Nun kam noch eine weitere Brieffreundschaft hinzu und bereicherte meinen Alltag.
Ich war inzwischen fünfzehn Jahre alt, fast in dem Alter meiner heute vierzehnjährigen Enkelin, und vom Briefe-Austauschen konnte ich gar nicht genug bekommen. Auf der Reise gab es auch noch einen gleichaltrigen jungen Mann aus Dänemark, mit dem ich Gedanken austauschte und schließlich auch die Adressen. Er hieß Bent und wohnte in Kopenhagen.
An eine innige langjährige Brieffreundschaft mit ihm kann ich mich allerdings nicht erinnern. Er besuchte mich nach der Klassenreise zu Hause bei meinen Eltern, und wir zeigten ihm ein Stück Hamburg und machten die obligatorische Hafenrundfahrt mit ihm. Kurz danach endete diese aufkeimende Brieffreundschaft, vielleicht war es auch die erste zarte Teenagerliebe, aber ich hatte ja genug zu schreiben.
Ein Jahr später begann ich meine kaufmännische Lehre im Außenhandel, und meine Englisch- und Französischkenntnisse konnte ich als Auslandskorrespondentin vorzüglich einsetzen. Zu dieser Zeit lernte ich auch meinen Mann kennen. So wurde die Zeit für all meine Brieffreundschaften immer knapper, und ein neues Kapitel im Leben begann.
Heute hätte ich sicher wieder Zeit und Lust, an meine Brieffreundschaften anzuknüpfen, natürlich nur noch über Facebook, und es wäre interessant zu erfahren, was aus allen geworden ist, aber ich habe keine einzige Adresse mehr, nur noch ein paar Fotos erinnern mich an diese Zeit.
Ganz ohne Brieffreundschaft kann ich allerdings auch heute nicht sein, denn seit mehr als zehn Jahren pflege ich eine Korrespondenz mit einer jungen Frau im Iran in englischer Sprache, die anfangs per Post begann und heute per E-Mail stattfindet.
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