Kindliches Gemüt
Jeder, der mehrere Kinder hat, wird erfahren haben, dass die Eigentümlichkeiten der Geschwister oft sehr unterschiedlich ausfallen können. In unserem Fall, bemerkten wir, dass im Gegensatz zur zurückhaltenden und artigen älteren Tochter, die jüngste eher ein Draufgängertyp war.
Als unsere Kleinste etwa drei oder vier Jahre alt war, fühlte sie sich irgendwann von der Mutter ungerecht behandelt. Sie spielte erstmals die beleidigte Leberwurst
. Als sie wahrnahm, dass ihr Unmut keine weitere Aufmerksamkeit erweckte, entschloss sie sich, drastischere Maßnahmen zu ergreifen.
Sie packte einige Habseligkeiten in einen Beutel, den sie an einem Stock befestigte. Vielleicht hatte sie diese Vorstellung einer Auswanderung
aus einem Bilderbuch gesehen. Mit dem Stock über die Schulter verließ sie dann ostentativ die Wohnung. Als sie den Garten entlang marschierte, rief ihr die Mutter hinterher: Wohin willst du denn gehen?
. Ohne sich umzudrehen erwiderte der kleine Lockenkopf: Ich gehe von zu Hause weg, hier liebt mich ja doch keiner!
Als sie am Gartentor angekommen war, gelang es ihr zwar, auf Zehenspitzen die Klinke zu erreichen, aber an den absichtlich höher angebrachten Riegel kam sie nicht heran. Nach mehreren Versuchen gab sie schließlich auf und kehrte langsam mit resignierter Miene zurück. Ihr Ausreißversuch war bereits am ersten Hindernis gescheitert.
Sie empfand jedoch, dass sie es der Mutter genug heimgezahlt hatte und kurz danach fragte sie ganz gelassen: Wann gibt es was zu essen?
Einige Jahre später fand auf einer kleineren Werft im Tigre Delta ein Stapellauf statt. Es handelte sich um den ersten Neubau einer Serie von Flussschiffen, auf deren Auftrag die Werft sehr stolz war. Diese Angelegenheit sollte also groß gefeiert werden. Als Herausgeber einer führenden Fachzeitschrift war ich natürlich mit meiner Familie eingeladen. Schon beim Überqueren des Flusses mit der werfteigenen Fähre sahen wir auf einem freien Gelände, abseits der Helgen, einige Männer ein riesiges Kohlenfeuer vorbereiten. Mit Schaufeln schürten sie die Kohle zusammen, um eine gleichmäßige Glut zu erzeugen. Auf dieser wurden dann großflächige Roste aufgestellt, um einen asado
Als Asado (span. Gegrilltes), auch parrillada genannt, bezeichnet man eine Grillmahlzeit, die im Süden Südamerikas, insbesondere in Argentinien und Uruguay, aber auch in Paraguay, Chile und Bolivien verbreitet ist. Im restlichen spanischen Sprachraum wird der Begriff dagegen für jede gegrillte Speise verwendet. (Barbecue) für die Gäste und die Belegschaft zu grillen.
Die Taufzeremonie und der Stapellauf verliefen wie üblich: Erst die Nationalhymne, dann mehrere Ansprachen, das Zerschellen der Champagnerflasche gegen den Bug und das langsame Dahingleiten des Schiffsrumpfes in das bräunliche Wasser des Rio Lujan. Das am Kai befestigte Schiff wurde bald vergessen und die Anwesenden begaben sich, vom Duft des asado
angezogen, an den Grillplatz, um das kulinarische Prachtwerk zu bewundern.
Auf dem meterlangen Rost schmorten schon die chorizos
(dicke Bratwürste), die dann in Brot gelegt, im Stehen verzehrt wurden. Sozusagen als Appetitmacher
. Die saftigen Steaks und Rippenstreifen (tira de asado
) begannen nun, ihre rotbraune Farbe anzunehmen. Weiter hinten wurden schon die Ferkel und Hähnchen auf den Rost gelegt. Es war eine riesige Palette von Schlemmereien, die dann auf langen Tischen zu appetitlichen Salaten und Brot serviert wurden. Dazu gab es noch jede Menge Getränke und einen vorzüglichen Rotwein.
Die verschiedenen Fleischarten wurden nacheinander in aller Ruhe verspeist. Man konnte sich dabei gemütlich unterhalten und der Begleitmusik zuhören. Das ganze Essen dauerte etwa drei bis vier Stunden und zum Abschluss sollte es noch verschiedene Sorten Eis als Nachspeise geben.
Wir hatten schon reichlich gespeist, als die kleine Cristina mir sagte: Vati, könntest du mich auf einen Rundgang durch die Werft begleiten? Ich möchte mir gerne noch die anderen Schiffe ansehen.
Ich fühle mich geschmeichelt, dass Schiffe, die mit meiner Berufstätigkeit verbunden sind, bei meiner Tochter solche Teilnahme erregten.
Wir spazierten eine Weile zwischen den Helgen, auf denen die Neubauten lagen. Dann fragte ich meine Tochter, was sie wohl an den Schiffen am meisten interessierte. Sie antwortete: Eigentlich nichts Besonderes. Mutti sagte doch immer, dass es gut ist, nach dem Essen etwas zu laufen, damit der Bauch sich schneller leert. Ich wollte mir nur etwas Platz für das Eis verschaffen …
Nun wusste ich Bescheid!
Nachsatz
Zu meinem Trost: In Bezug auf den Beruf und die Berufung meiner Töchter kann ich hinzufügen, dass, obwohl sie ganz verschiedene Laufbahnen gewählt haben, beide mit guten Leistungen im Schwimmen, Segelsport und Journalismus aufwarten können.