Auf Darwins Spuren
Die Medien berichten kürzlich über den 200. Geburtstag des Naturforscher Charles Darwin (geb.12.02.1809), der auf seiner 1831 begonnenen, etwa fünf Jahre dauernden Reise auf dem Schiff HMS Beagle
auch im Süden Argentiniens unterwegs gewesen ist und dort viele Informationen über die Feuerländer aufgezeichnet hat.
Zufälligerweise erhielt ich zur gleichen Zeit ein Foto aus Ushuaia (Feuerlands Hauptstadt), auf dem meine Urenkelin in den Armen einer Figur, die einen Häftling aus dem gleichnamigen Gefängnis darstellt, zu sehen ist. Die beiden zeitlich zwar weit von einander entfernten Ereignisse erweckten dennoch sofort meine Erinnerung an einen Besuch dieser Region vor nun schon etwa 30 Jahren …
Die jahrelangen Grenzstreitigkeiten zwischen Argentinien und Chile drohten 1978 in einer militärischen Auseinandersetzung zu eskalieren. Am 22. Dezember standen sich bereits die Hochseeflotten beider Nationen am Kap Hoorn gegenüber. Knappe sechs Stunden vor Beginn der Kampfhandlungen wurde der bevorstehende Kriegszustand auf Druck des Vatikans aufgehoben.
Bei diesem Streit ging es im Prinzip um die Souveränität über die drei kleinen und unbewohnten Inseln Picton, Nueva und Lennox an der Mündung des Beagle-Kanals. Ein Schiedsspruch der Königin Elizabeth II hatte diese Inseln Chile zugeteilt und so diesem Land eine erweiterte exklusive Wirtschaftszone auf dem Atlantischen Ozean geschaffen, was den Argentiniern selbstverständlich nicht gefiel. Trotz wiederholter Versuche, einen Kompromiss zu erreichen, verhielten sich beide Partien stur und es kam zu der oben genannten Kriegsdrohung.
Die argentinische Marine hatte schon längst ihre taktischen Vorbereitungen getroffen, und die offizielle Propaganda stellte die Bevölkerung darauf ein, dass die Inseln zurückerobert
werden müssten.
Einige Monate vor diesen Ereignissen bekamen einige Journalisten eine Einladung der Marine nach Feuerland zu fliegen, um sich in situ einen Eindruck der Situation zu verschaffen. Es handelte sich grundsätzlich um Journalisten aus dem maritimen Bereich, die in verschiedenen Medien (Zeitungen, Zeitschriften, Radio und Fernsehen) tätig waren. Ich gehörte natürlich dazu und hatte damals einen Verein unter der Bezeichnung Centro Argentino de Periodistas en Intereses Marítimos - CAPIM
(Verein Maritimer Journalisten) gegründet.
Also flog unsere Gruppe die etwa 2.500 Kilometer gen Süden. In Ushuaia wurden wir im Offizierskasino des Marinestützpunktes einquartiert. Dort bekamen wir ausführliche Auskünfte über die Lage der Situation und wurden auch in der Umgebung herumgeführt, um uns mit den geographischen Eigenschaften der Insel vertraut zu machen.
Natürlich besuchten wir auch die den Touristen der Region zugänglichen Sehenswürdigkeiten, unter ihnen das Museum (ehemaliges Gefängnis) und den nahe gelegenen Nationalpark.
Das Gefängnis
In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts galt der argentinische Ort Ushuaia auf Feuerland als Synonym für Haft und Verbannung (etwa wie Alcatraz und Sibirien in einem Begriff). 1947 schloss die argentinische Regierung das Zuchthaus und übergab die Anlagen der Marine. Diese nutzte die Gebäude anfangs für verschiedene Zwecke, hatte dann aber keine weitere Verwendung mehr dafür und stellte sie für die Einrichtung eines Museums zur Verfügung.
In den fünf Gebäuden der ehemaligen Strafanstalt werden jetzt Schiffsmodelle gezeigt, die chronologisch die Entwicklung des Schiffsbaus in den vergangenen fünf Jahrhunderten zeigen. Auch die Historie Feuerlands wird in diesen Räumen lebendig gehalten.
Daraus lässt sich folgern, dass der Name Feuerland der Region von Magellan erteilt worden ist, als er im Jahre 1520 den nach ihm benannten Wasserweg erstmals befuhr, vermutlich wegen der vielen Lagerfeuer der Eingeborenen, die überall an den Ufern zu sehen waren. Der Namen Ushuaia hat dagegen einen einheimischen Ursprung: in der Sprache der Yamanas bedeutet er Die Bucht, die sich nach Westen erstreckt
. Tatsächlich liegt die südlichste Stadt der Welt an einer Bucht am Beagle-Kanal.
Die Idee, die Region Feuerland als Strafkolonie zu nutzen, hatten die Argentinier von den Engländern und Franzosen übernommen. 1896 kamen die ersten Häftlinge nach Ushuaia, 25 Männer und neun Frauen, die in provisorischen Wellblechhütten untergebracht wurden. Mit dem Bau des nationalen Gefängnisses wurde dann 1902 östlich der kleinen Ortschaft begonnen. An den bis 1920 dauernden Arbeiten mussten sich auch die Häftlinge beteiligen.
Die Insassen dieser Strafanstalt waren meistens Mörder, Schwerverbrecher oder Wiederholungstäter. Zeitweilig wurden aber auch Anarchisten und Dissidenten dorthin verbannt.
Die nach Ushuaia Verbannten hatten es nicht leicht. Tagsüber mussten sie Bäume fällen und das Holz mit einer kleinen Eisenbahn zur der im Aufbau befindenden Stadt transportieren. Auch in dem nahe gelegenen Steinbruch wurden sie gnadenlos eingesetzt. Um jeden Fluchtversuch zu verhindern, wurden die Sträflinge tagsüber mit Ketten oder Eisenstangen an den Füssen gefesselt. Nachts wurden sie in Einzelzellen gesperrt. Einige durften ihre Arbeit in der Ziegelei oder der Buchbindewerkstatt verrichten.
Für jeden Fehler oder Nachlässigkeit wurden sie hart bestraft, sogar gefoltert. Das alles bei eiskaltem Wetter. Man bedenke, dass Ushuaia am 55. Breitengrad liegt, wo es selbst im Sommer nie richtig warm wird.
Nachdem 1947 das berüchtigte Zuchthaus geschlossen wurde, entwickelte sich die Region allmählich in ein attraktives Touristenzentrum, und heutzutage wird Ushuaia als das Tor zur Antarktis
bezeichnet, von wo aus Kreuzfahrtschiffe aller Nationalitäten ihre Touren in die Südpolarsee starten.
Rund um Feuerland
Um uns Journalisten einen besseren Überblick über die Region zu bieten, stellte uns die Armada ein Learjet Flugzeug zur Verfügung. Mit rasender Geschwindigkeit überflogen wir die Küste Feuerlands bis hinauf nach Rio Grande. Auf dem Rückflug bekamen wir zwar auch die bezaubernde Landschaft am Lago Lagnano zu sehen, doch es ging viel zu schnell, und schon waren wir wieder in Ushuaia gelandet. Meine Gedanken schweiften zurück in die Zeit, in der Fliegen noch eine Spazierfahrt
war, so wie es der legendäre Flieger von Tsingtau
Gunther PlüschowGunther Plüschow wurde durch seinen Einsatz als Marineflieger im Ersten Weltkrieg in der Kaiserlichen Kolonie Tsingtau, im Nordosten Chinas, als der
Flieger von Tsingtau
weltweit bekannt. Im Januar 1931 stürzte er tödlich mit seinem Flugzeug in der Nähe des patagonischen Lago Argentino ab.[1] damals erlebt hat. Der ehemalige deutsche Marineoffizier des Ersten Weltkrieges startete 1928 im chilenischen Hafen Punta Arenas die erste Luftpostlinie nach Ushuaia. Dafür setzte er sein Wasserflugzeug Silbercondor
, eine Heinkel HD24 Maschine, ein. Mit seinem Begleiter führte er auch etliche Erkundungsflüge über Feuerland und Südpatagonien aus. Hierbei entstanden die ersten Luftaufnahmen vom berüchtigten Kap Hoorn. In seinen Berichten beschreibt Plüschow begeistert die wechselnden Naturschönheiten der Region, die wir nun - allerdings in einer etwas anderen Weise - auch wahrnehmen konnten.
In mehreren Autos wurden wir zum Nationalpark gefahren, der sich bis an die chilenische Grenze erstreckt. Nichts deutet mehr auf die gruselige Vergangenheit der Holz fällenden Sträflinge hin. Zwar wirkt die Landschaft etwas aggressiv, ist aber trotzdem mit einer unglaublichen Schönheit verbunden.
Unzählige Pfade führten uns durch die unberührte Urlandschaft am Ende der Welt. Wir passierten einsame Buchten und erblickten über das kristallklare Wasser sogar die schneebedeckten Berge Chiles. Trotzdem waren wir froh, uns am Abend wieder in unserer Unterkunft ausruhen zu können.
Am nächsten Tag befuhren wir den Beagle-Kanal. Dafür setzte die Marine eines ihrer dort stationierten Schnellboote: ARA Intrépida
und ARA Indómita
, ein. Diese Marineeinheiten wurden 1974 auf der Lürssen-Werft in Bremen gebaut. Die 45 Meter langen Boote sind mit einem Oto-Melara
Schnellfeuergeschütz und Torpedos bewaffnet. Bei voller Kraft erreichen sie eine Geschwindigkeit von 38 Knoten (etwa 70 km/h).
Der Beagle-Kanal ist bekanntlich die letzte große Meeresstraße vor dem Kap Hoorn und trennt Feuerland von der südlich gelegenen chilenische Insel Navarino. Wir fuhren mit halber Kraft den Kanal entlang und bewunderten die Seelöwen und Kormorane aus nächster Nähe. Unsere Fahrt führte uns bis zur Estancia Haberton, der ältesten Schaf-Farm Feuerlands. Sie ist auch ein beliebtes Ausflugsziel. Wegen der Wetterbedingungen konnten wir leider nicht an Land gehen und kehrten mit dem Schiff nach Ushuaia zurück.
Was für Touristen einen erheblichen Aufwand bedeutet, wurde uns großzügig von der Marine geboten. Aber wir sollten uns ja mit dem künftigen Kriegsschauplatz
bekannt machen, um gegebenenfalls über die bevorstehenden Ereignisse professionell berichten zu können.
Glücklicherweise ist es nicht soweit gekommen und die Streitigkeiten wurden erstmals auf friedliche Weise beigelegt. Allerdings entflammte knapp zwei Jahre danach der Falkland-KonfliktLesen Sie dazu auch meinen Artikel: Wie ich den Falkland-Konflikt erlebte
.[2], in dem Chile zwar eine neutrale Rolle spielte, sich aber eher als Unterstützer Englands entpuppte.
Der schließlich 1984 unterzeichnete Friedens- und Freundschaftsvertrag
zwischen Chile und Argentinien bestätigte die chilenische Herrschaft über die drei Inseln an der Beagle-Kanal-Mündung, regelte aber auch die Navigationsrechte beider Nationen auf dem Kanal und setzte klare Grenzen in der südlichen Region des Kontinents.
Heutzutage fahren argentinische und chilenische Marineeinheiten gemeinsam Patrouille in den Südpolargewässern und dienen zum Schutz der unzähligen Kreuzfahrtschiffe, auf denen in der Sommersaison Tausende von Touristen aus aller Welt die Schönheiten der Antarktis bewundern können.
[1] Gunther Plüschow wurde durch seinen Einsatz als Marineflieger im Ersten Weltkrieg in der Kaiserlichen Kolonie Tsingtau, im Nordosten Chinas, als der Flieger von Tsingtau
weltweit bekannt. Im Januar 1931 stürzte er tödlich mit seinem Flugzeug in der Nähe des patagonischen Lago Argentino ab.
[2] Lesen Sie auch Wie ich den Falkland-Konflikt erlebte
.