Doppelte Hochzeitsreise
Nun war es soweit. Im November 1948 sollte unsere Hochzeit stattfinden. Wir waren schon zwei Jahre lang verlobt und ich hatte gerade die Bestätigung erhalten, dass meine Probezeit bei der Luftwaffe beendet und ich jetzt offizieller Beamter war.
Ich hatte mittlerweile zwei Wochen Urlaub im staatlichen Ferienort Chapadmalal
, am Meer beantragt. Für Paare in den Flitterwochen sollte es dort immer bevorzugte Unterkunftsmöglichkeiten geben.
Aber die erwartete Antwort verzögerte sich immer mehr und der Hochzeitstag stand schon vor der Tür.
Ich wollte kein Risiko eingehen und buchte unsere Hochzeitsreise nach einem beliebten Ferienort im Córdoba Gebirge, namens La Cumbre
. Wenige Tage später, als ich den Reisevertrag schon abgeschlossen und bezahlt hatte, erhielt ich die Nachricht, dass mein Antrag nach Chapadmalal
genehmigt worden war. Kurzentschlossen fragte ich meinen Chef, ob ich anschließend an meine Flitterwochen noch den Jahresurlaub nehmen könnte. Freundlicherweise willigte er ein (ich hatte ihn ja schließlich zu unserer Hochzeitsfeier eingeladen) und so konnte ich diese zweite Reise auch in unser Hochzeitsprogramm einschließen.
Die Hochzeit verlief wie geplant: Polterabend, Amtsgericht, Kirche, große Feier im Hause meiner Eltern, erste Übernachtung in einem Hotel in der Nähe der Plaza de Mayo. Mit der Zugabfahrt von Buenos Aires am nächsten Morgen begannen dann unsere ersten Flitterwochen.
Am Abend kamen wir in La Cumbre an und begaben uns in unser Hotel. Dieses war außerhalb der Stadt gelegen, umgeben von einer herrlichen Gebirgslandschaft. In Begleitung anderer Hotelgästen unternahmen wir etliche Ausflüge in die Umgebung. Gelegentlich mieteten wir uns Pferde, um die Bergpfade auf eigene Faust zu erkunden.
Eines Tages nahmen wir an einem Ausflug zu einem abgelegenen See mitten im Gebirge teil. Es wurde uns gesagt, man könne dort baden, vorausgesetzt man beherrsche die Schwimmkunst, denn der See wäre sehr, sehr tief. Dort angekommen bewunderten wir die zauberhafte Landschaft. Eine türkisfarbene, runde Wasserfläche, umgeben von dunklen Gebirgsgipfeln, und darüber der blaue Himmel. Wir wurden nochmals gewarnt, dass der See sehr tief und das Wasser ziemlich kalt wäre.
Ich schätzte die Entfernung bis zum nächsten Ufer als angemessen für unsere Schwimmkünste und ermutigte meine Frau, mit mir ins Wasser zu gehen. Am Anfang ging alles gut, wir kamen zwar etwas langsam voran, aber sonst, null problema. Wir waren aber kaum 20 Meter vom Ufer entfernt, da sagte mir meine Frau, sie sei etwas müde geworden, ob wir nicht zurückschwimmen sollten? Ich antwortete: Ach was, den Rest schaffen wir schon
.
Als sie sich aber immer weiter über ihre Müdigkeit beklagte, bot ich ihr an, sie in Schlepp zu nehmen. Das heißt, sie sollte sich mit beiden Händen an meine Taille halten und meine Beinbewegungen synchron begleiten. Also eine Art im Tandem
zu schwimmen. Eine Weile lang ging das auch gut, bis auch bei mir die Müdigkeit einsetzte. Ich hatte ja nicht nur mich, sondern auch noch zum Teil meine Frau voranzubringen.
Wir beschlossen also umzudrehen und zurück an das Ausgangsufer zu schwimmen. Zuerst legten wir uns aber auf den Rücken und sammelte unsere Kräfte, indem wir uns ruhig auf dem Wasser treiben ließen.
Erschöpft kamen wir am Ufer an. Unsere Ausflugsgefährten belächelten uns und fragten ganz leise: Habt wohl eine stürmische Nacht hinter euch?
. Natürlich fühlten wir uns ziemlich verlegen. Aber dann las ich auf einem Schild: 1025 Meter über dem Meeresspiegel
, und da fiel mir ein, warum wir die Überquerung nicht geschafft hatten! Auf dieser Höhe enthält die Luft viel weniger Sauerstoff als im Flachland, und da beim Schwimmen die Atembewegungen eine wichtige Rolle spielen, ist es selbstverständlich, dass es eine größere Anstrengung erfordert, eine selbe Leistung zu vollbringen.
Mit dieser einfachen Erklärung konnte ich also unsere Ehre
retten.
Viel zu schnell vergingen die zwei Flitterwochen und bald saßen wir wieder im Zug, auf der Rückreise. Aber kaum in Buenos Aires angekommen, stiegen wir schon in den Reisebus, um unsere zweiten Flitterwochen, diesmal am Meer, anzutreten.
Nach fünfstündiger Fahrt erreichten wir den Badeort Chapadmalal im Südosten der Provinz Buenos Aires. Es handelt sich um eine (damals) hochmoderne Strandanlage mit 8 großen Hotelgebäuden, einer Kapelle, Verwaltungshaus, Restaurants und eigenem Wald mit inbegriffenem See. Dieser Urlaubskomplex wurde von der Stiftung Eva Peron
errichtet, zur Erholung der Staatsbediensteten.
Endlich hatten wir die Gelegenheit, im heißen Sommermonat Dezember, den herrlichen Strand und das Wasser des Südatlantiks zu genießen. Das Schwimmen sollte uns ja auch viel leichter fallen, da das Salzwasser eine größere Tragfähigkeit hat und wir nicht mehr dem Einfluss des Sauerstoffmangels ausgesetzt sein würden.
Die ersten Schwimmversuche im Meer verliefen wie erwartet, und wenn wir mal höheren Brechern ausgesetzt wurden, stürzten wir uns einfach im Hechtsprung in die Welle hinein und tauchten am anderen Ende wieder auf. Es machte uns wirklich Spaß.
Aber eines Tages war es aus mit Lustig. Wir hatten uns schon mit dem Bademeister angefreundet. Dieser warnte uns allerdings davor, zu weit ins Meer zu schwimmen. Es gäbe starke Strömungen, die uns vom Ufer wegziehen
könnten. Meine Frau ging zuerst ins Wasser und ich unterhielt mich weiter mit dem Bademeister, als wir auf einmal merkten, dass sie versuchte, zurück an den Strand zu schwimmen, sich aber immer weiter vom Ufer entfernte. Sie hob schon den Arm, um Hilfe zu bitten.
Bevor der Bademeister sich entschließen konnte, ihr zur Hilfe zu eilen, war ich schon unterwegs. Mit großen Sprüngen raste ich über die flachen Ausläufer der Wellen und rief ihm noch zu: Überlassen Sie es mir, ich schaffe das schon!
. Sobald es mir der Tiefgang erlaubte, stürzte ich mich ins Wasser und setzte meinen schnellsten Crawlschwimmstil ein, um meine Frau aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien.
Dank der mir günstigen Strömung war ich auch bald bei ihr und hielt sie über Wasser, bis sie wieder zu Kräften kam. Dann versuchten wir, mit unserer Tandem-Technik
die Küste zu erreichen. Wir wurden aber vom Sog immer weiter vom Strand abgedrängt. Da sah ich aus der Entfernung, dass der Bademeister uns heftige Armzeichen machte und nach Süden deutete. Da erinnerte ich mich, dass er mal erwähnt hatte, dass es in dieser Richtung eine Sandbank gäbe, auf der man notfalls Fuß fassen könnte.
Also schwenkten wir 90 Grad nach links und schwammen parallel zur Küste weiter. Ich weiß nicht mehr, wie lange es gedauert hat, es waren bange, anstrengende Minuten. Wir trieben immer weiter ins Meer hinaus, kamen aber gleichzeitig gut in der angeschlagenen Richtung voran. Endlich spürte ich, dass mein Knie gegen etwas Solides stieß. Wir waren an der Sandbank angelangt und konnten nun aufrecht, das Wasser bis an die Waden, zum Strand zurückkehren!
Völlig erschöpft, aber glücklich, schlenderten wir über den heißen Sand zu unserem Ausgangspunkt zurück. Erst jetzt wurde uns bewusst, wie weit wir von der Strömung abgetrieben worden waren. Der Bademeister kam uns schon entgegen, er hatte uns keineswegs aus den Augen verloren. Mit einem breiten Lächeln fragte er: Na, seid ihr nun überzeugt, dass man gegen die Naturkräfte nicht ankommen kann?
Ja, das waren wir.