Eine Insel unter zwei Fahnen
Am 20.Juni 1980 liefen wir mit dem Segelschulschiff Libertad
in die San Juan Bucht ein und legten pünktlich um 11:00 Uhr am Touristenhafen der Hauptstadt Puerto Ricos an.
Wie vor jedem Hafenbesuch hatten wir uns schon genau über die lokalen Verhältnisse informiert: Ursprünglich hieß die Insel eigentlich San Juan
, die Hafenstadt dagegen Puerto Rico
(Reicher Hafen). Dieser Verschiffungshafen des von den Spaniern erworbenen
Goldes, wurde bald zu Spaniens bedeutendstem militärischen Vorposten in der Karibik ausgebaut.
Nachdem die nicht allzu üppigen Goldvorkommen der Insel erschöpft waren, stellten sich die Bewohner auf die Landwirtschaft um und der Hafen wurde in San Juan
umgetauft. Allerdings konnte sich die lokale Wirtschaft unter der spanischen Herrschaft nie richtig entwickeln.
Schließlich gewährten die Spanier der Insel Puerto Rico eine eingeschränkte Autonomie. Jedoch marschierte die amerikanische Armee kurz danach ein, und im Vertrag, der das Ende des Spanisch-Amerikanischen Krieges in 1898 besiegelte, wurde Puerto Rico an die USA abgetreten.
1917 bekamen die Einwohner Puerto Ricos die US-amerikanische Staatsbürgerschaft und 1952 erhielt die Insel den Status eines halbautonomen Bundesstaates, der mit den USA assoziiert ist. Kein Wunder, dass auf allen öffentlichen Gebäuden neben der Fahne Puerto Ricos die der Vereinigten Staaten von Amerika weht. Im Hafen liegen Schiffe der US Coast Guard, die Post wird von der US Mail betrieben, überall macht sich die Duplizität des spanischen und amerikanischen Einflusses spürbar.
Aber zurück zu unserer Ankunft. Schon auf der Festung El Morro
, die vor dem Hafen liegt, wurden argentinische Fahnen geschwenkt und hunderte Arme winkten uns zu. Am Kai warteten weitere hunderte von begeisterten Landsleuten, die sich nichts Besseres vorstellen konnten, als am argentinischen Nationalfeiertag (Tag der Fahne) das argentinische Schulschiff zu besuchen.
Die von der Bordkapelle gespielten Militärmärsche wurden von der Menge mitgesungen und beiderseits war die Freude riesengroß. Ein begeisterter Applaus krönte das tadellose Anlegemanöver und kaum war die Gangway ausgefahren, kamen schon die amerikanischen und hiesigen Behörden an Bord. Auch argentinische Diplomaten und Attachés, die aus Washington angereist waren, gaben sich die Ehre.
Als wir uns am ersten Tag für den offiziellen Empfang an Bord vorbereiteten, merkte ich zu meinem Schrecken, dass meine weiße Uniformjacke auf dem Rückenteil einen langen metallfarbenen Fleck hatte. Ich war offenbar beim Antreten an Deck mit einem frisch gestrichenen Stag in Berührung gekommen. Ich ließ die Jacke sofort zur Bordwäscherei bringen. Kurz darauf kam mein Bursche zurück und meldete, dass der Fleck zwar entfernt werden konnte, aber es kein Dampf gäbe, um die Uniform zu bügeln. Wenn das Schiff im Hafen liegt, werden einige Hilfsanlagen eben stillgelegt …
Zufällig bekam unser amerikanischer Verbindungsoffizier dies zu hören und bot sich sofort an, meine Uniform zu einer Reinigungsanstalt an Land zu bringen; ich bräuchte sie nur seinem Fahrer, der im Auto am Kai wartete, zu übergeben. So geschah es auch und ich ging weiter meinen Verpflichtungen nach.
Am Nachmittag wurde die übliche Pressekonferenz abgehalten. Als ich nach dieser Veranstaltung, bei der ich Tropenkleidung trug, durch das Bullauge den einheimischen Fahrer schlummernd in dem noch immer auf dem selben Platz stehenden Auto sah, überkam mich eine unangenehme Ahnung.
Ich schickte einen Mann hinunter um zu fragen, wann ich meine Uniform zurück bekäme. Die Antwort des Fahrers war: Es täte ihm leid, er wäre eingeschlafen und jetzt sei es sowieso zu spät, da die Reinigungsanstalt schon geschlossen hätte. Aber, kein Problem, am nächsten Morgen in erster Stunde würde er den Auftrag sofort erledigen
.
Die ersten Gäste kamen schon an Bord und der Kapitän wartete ungeduldig auf mich. Ich war der Verzweiflung nahe. Aber zum Glück hatte mein Kajütenkamerad eine zweite Uniformjacke und bot sie mir an. Jedoch die Größe stimmte nicht so ganz: Die Ärmel waren zu kurz und in der Breite gab es zu viel Spielraum. Notgedrungen setzte ich die Schulterstücke mit meinem Dienstgrad auf und rannte an Deck, um dem Kapitän beim Gästeempfang beizustehen.
Den ganzen Abend versuchte ich meine Arme auf dem Rücken zu verstecken, um die kurzen Ärmel nicht auffällig werden zu lassen und nebenbei meine Jacke nach hinten zu ziehen, um den unpassenden Sitz auszugleichen. Später, als nach vielen Getränken die Stimmung heiter wurde, kümmerte mich mein Aussehen schon weniger. Aber es war doch eine peinliche Lage, in die mich der puertoricanische Fahrer gebracht hatte. Bei diesen Leuten muss man eben viel paciencia
(Geduld) haben…
Die nächsten Tage verbrachten wir mit der Erforschung der Umgebung. Zunächst das Hafengebiet und die romantische Altstadt, dann die weiter liegenden Sehenswürdigkeiten.
Direkt neben der Libertad
lagen im Hafen einige Kreuzfahrtschiffe vor Anker, vollbesetzt mit meist amerikanischen Touristen, die hier ihre Tagesausflüge machten. In Begleitung unseres Feldgeistlichen (in seiner weißen Uniform kaum als solcher erkennbar), erstattete ich einem dieser Luxusliner einen Besuch ab. Als wir uns zu erkennen gaben als Offiziere des Segelschulschiffes, wurden wir freundlicherweise auf dem Schiff herumgeführt. Am eindrucksvollsten war das Oberdeck mit seinen Sportanlagen, von wo aus man einen herrlichen Blick auf das ganze Hafenviertel hatte.
An diesen friedlichen Augenblick, unter dem am Heck wehende Union Jack, erinnerte ich mich knapp zwei Jahre später, als ich als Kriegsberichterstatter auf dem Flottenstützpunkt Puerto Belgrano
während des Falkland-Krieges stationiert war. In Puerto Rico waren wir damals mit den Briten noch keine Feinde
…
Einen noch beeindruckenden Besuch machte ich mit einigen Kameraden, diesmal in Zivil bekleidet, zur Festungsanlage El Morro
. Diese befindet sich an der äußersten Spitze der Landzunge, auf der die Altstadt liegt. Die drei Meter dicken Wälle dieser sechsstöckigen, 42 m über dem Meeresspiegel
gelegenen Festung, haben bisher jedem Angriff standgehalten. Sogar Sir Francis Drake, einer der gefeiersten Piraten und Seeleute überhaupt, konnte die Durchfahrt seiner Schiffe in die San Juan Bucht nicht erzwingen.
Wenn man hoch oben auf dem Bollwerk steht und die vorbeifahrenden Schiffe betrachtet, ist es leicht zu verstehen, wieso keiner der Angreifer auch nur die geringste Chance hatte, an den schweren Langrohrgeschützen vorbeizukommen. Diese Geschütze stehen auf drehbaren Lafetten, die sich auf einem Schienensegment seitwärts schwenken ließen, so dass sie stets auf das vorbeifahrende Schiff gerichtet werden konnten.
Um den schnellen Nachschub der Munition zu gewährleisten, hatten die Spanier eine gewaltige Rampe gebaut, auf der die mit Kugeln und Kartuschen beladenen Karren hinaufgezogen wurden. Tiefe Rinnen im Gestein zeugen heute noch von der Reibungswirkung der Taue, die zur Beförderung der Munition gebraucht wurden.
Die Festung in sich besitzt ein Gewirr von unterirdischen Gängen, Verließen, Kasematten, Vorposten und Vorbauten. Wenn man aus diesen dunklen und kühlen Bunkern
wieder an das Tageslicht kommt, erfreut man sich umso mehr des auf der Insel über das ganze Jahr herrschenden sommerlichen Wetters.
Dank der freundlichen Einladung argentinischer Ortsansässiger, die uns in ihrem Geländewagen spazieren fuhren, lernten wir auch die belebten Badestrände und das moderne touristische Zentrum von San Juan kennen. Das Urlaubsparadies beginnt schon am Rand der Altstadt und besteht aus Hotels, Restaurants, Kasinos, Nachtclubs und Boutiquen, alles im höchst modernen Stil.
Bei einem Ausflug in Richtung zur am Karibischen Meer liegenden zweitgrößten Stadt Puerto Ricos Ponce
, wunderten wir uns über die Naturvielfalt dieser Insel. In südlicher Richtung trennen knapp 75 km den Atlantischen Ozean vom Karibischen Meer.
Auf unserer Route, umgeben von zahlreichen Naturschönheiten, kamen wir an Regenwäldern, Höhlen, Flüssen, an einer Wüste und einem Gebirge vorbei. Hier im Inland merkt man, dass noch ein drittes Erbteil den Charakter der Insel prägt. Wie sonst nirgends in der Karibik überlebte hier die Kultur der indianischen Ureinwohner, ebenso wie ihr Name für die Insel Borinquen
, bis zum heutigen Tag.
Wehmütig nahmen wir am 24. Juni Abschied von dieser Trauminsel und ihren offenen und freundlichen Menschen. Mit gesetzten Segeln entfernte sich die Libertad
langsam vom Hafen und fuhr die alte Stadtmauer entlang, bis zur furchterregenden Festung El Morro
.
Aber statt Kanonenschüsse winkten uns zum Abschied befreundete Amerikaner, Puertoricaner und Argentinier die letzten Grüße zu. Kaum hatten wir das gewaltige Bollwerk passiert, fingen die Segel die frische Brise des Atlantischen Ozeans ein, und die Libertad
schnellte ihrem nächsten Zielort entgegen.