Das Schwert
Etwa in den 1970er Jahren war ich auf einer Geschäftsreise in Spanien und hielt mich in einem Hotel in Madrid auf. Ich hatte alle meine Tage genau geplant, um so viel wie nur möglich Kunden besuchen zu können. Für die Feiertage hatte ich mir vorgenommen Museen zu besuchen. Nur mit einem Brückentag
hatte ich nicht gerechnet. Ich konnte doch nicht wissen, dass in Spanien ein solcher Tag als absoluter Feiertag
betrachtet wird.
Also musste ich mich entschließen, diesen leeren
Tag mit etwas Nützlichem auszufüllen. Ich blätterte in den Broschüren der Hotel-Lobby herum und da fiel mir die Stadt Toledo auf. Ich hatte schon viel von diesem historischen Ort gehört und jetzt bot sich mir eine unverhoffte Gelegenheit, ihn persönlich zu erkunden.
Also buchte ich kurz entschlossen eine Tagestour nach der, etwa 55Km südlich von Madrid liegenden Stadt. In Begleitung meist britischer Touristen erreichte unser Reisebus die ehemalige Hauptstadt Spaniens, die von drei Kulturen geprägt ist: die spanische, jüdische und muslimische.
Schon bei der Überquerung des Rio Tajos - von dessen, durch Industrieabfälle verschmutzten Gewässern ich mich enttäuscht fühlte — konnte man, hoch auf einem Hügel, die imposante Gestalt der Festung Alcazar de Toledo
betrachten. Dieses Gebäude war eigentlich das Hauptziel meiner Reise, da ich mir den Schauplatz der schauderhaften Ereignisse des spanischen Bürgerkriegs - von denen ich viel gelesen hatte - persönlich ansehen wollte.
1936 wurde der Alcazar von den Republikanern fast völlig ausgebombt und durch Kanonenfeuer zerstört. Seine Verteidiger - Soldaten und Guardia-Zivil-Männer, eine Handvoll Kadetten, sowie auch zahlreiche Frauen und Kinder — verharrten während der Belagerung im Erdgeschoss und in Kellern. Die Belagerung dauerte etwa 3 Monate, in deren Verlauf es beiderseits zu vielen Gräueltaten kam.
Zur Zeit meines Besuches war die Festung wieder nach den alten Plänen aufgebaut und als historisches Museum ausgestattet worden. Was mich hier am meisten beeindruckt hat, war das Arbeitszimmer des Kommandanten, Oberst Moscardó. Auf seinem Schreibtisch stand noch das Telefon, an dem er den Anruf seines Sohnes erhielt, der ihm mitteilte, er sei den Roten Brigaden in die Hände gefallen, dessen Anführer drohten ihn zu erschießen, wenn der Alcázar sich nicht ergibt.
Ohne zu zögern, antwortete Moscardó: Mein Sohn, empfehle Deine Seele dem Herrn und stirb wie ein Spanier!
. Kurz danach hörte er am Telefon die Schüsse, mit denen sein Sohn ins Jenseits befördert wurde.
Als Monate später General Franco mit seinen Truppen den Alcázar befreite, meldete Oberst Moscardó: Mein General, nichts Neues im Alcázar!
.
Noch tief berührt von den historischen Ereignissen, die ich gerade erfahren hatte, begab ich mich in die Stadt, um einige der vielen berühmten Waffenschmieden zu besuchen. Toledo ist bekannt für die Herstellung von feinstem Stahl für Schwerter und Messer. An mehreren Souvenirläden werden allerlei Gegenstände den Touristen angeboten. Ich kaufte mir eine Nachbildung des Schwertes, dass vom Cid Campeador im Kampf benutzt sein sollte. Zusätzlich erwarb ich noch zwei kleinere Säbel, die als Brieföffner dienten.
Auf meinem Rückflug nach Buenos Aires der einen Zwischenstopp in Boston einschloss, kam es auf dem Flughafen Barajas zu einem kleinen Zwischenfall. Der Abflug hatte sich etwas verspätet. Um den Einstieg der Passagiere zu beschleunigen, wurde vom Bodenpersonal angesagt, dass alle Passagiere mit Sitzreihen von 1 bis 44 durch die hintere Tür des Flugzeuges einsteigen sollten und der Rest durch die vordere. Natürlich war diese die falsche Ansage! In den Gängen des Flugzeuges entstand ein wahres Chaos. Die durch den hinteren Eingang eingestiegenen Passagiere drängten sich nach vorne und die anderen in die entgegengesetzte Richtung. Dann kam aber die Anweisung, sofort die Sitzplätze einzunehmen, da die Maschine startbereit war. Jeder legte sein Handgepäck irgendwo ab, um schnell an seinen Sitz zu gelangen. Mein Schwert hatte ich in Papier eingewickelt lose in der Hand, da es nicht in den Handkoffer passte. Aber auf Grund der Eile und des Durcheinanders an Bord hatten weder die Sicherheitskontrolleure noch das Bordpersonal etwas davon bemerkt…
In Boston angekommen, wurden die Passagiere der verspäteten Maschine auch schnell abgefertigt und keiner kümmerte sich um mein Schwert.
Aber beim Weiterflug nach Argentinien wurde ich von einem der Flughafen-Polizisten gefragt, was sich im Paket, das ich in meiner Hand hielt, befand. Ich antwortete ganz cool: A sword (ein Schwert). Ich sah, wie sich die Hand des Sheriffs instinktiv nach seinem Revolver-Griff bewegte, während er mich argwöhnisch anschaute. Öffnen Sie vorsichtig das Paket
, befahl er mir schroff. Dann entnahm er das Schwert und zog es aus der Scheide. Wozu tragen sie das bei sich?
fragte er ziemlich unfreundlich. Ich erklärte ihm, dass es sich um ein Souvenir aus Toledo handelte und ich noch zwei Brieföffner in meinem Handgepäck hätte.
Der Polizist rief einen Kollegen hinzu und beide untersuchten gründlich meinen Koffer. Sie legten die drei Waffen
beiseite und erklärten mir, sie seien vorerst beschlagnahmt. Später erfuhr ich, dass die drei Souvenirs ins Cockpit des Flugzeuges verfrachtet wurden.
Als wir im Flughafen Ezeiza von Buenos Aires landeten, wurden die Passagiere aufgefordert, nicht ihre Sitze zu verlassen, bis sie die Erlaubnis erhielten. Als erste stiegen zwei Zivilbeamte in die Kabine ein und identifizierten sich als Agentes de la Policía Federal
. Dann befahlen sie: Der Passagier Don Ernesto Potthoff möchte sich melden
. Ich hob meine Hand und wurde aufgefordert, die Beamten zu begleiten.
Mir war sehr mulmig zu Mute, denn in diesen Zeiten hörte man Vieles über verschwundene
Bürger, die irgendwie der Regierung verdächtig
vorgekommen waren. Einer der Beamten behielt meinen Reisepass und der andere führte mich ins Büro der Bundespolizei im Flughafen.
Auf dem Schreibtisch des leitenden Beamten lagen schon meine Tatwaffen
und ich wusste nun Bescheid, worum es sich handelte. Ich wurde erneut befragt, ob ich der Besitzer dieser Gegenstände wäre und wieso ich sie mit mir trug. Meine Erklärungen wurden sofort verstanden und ich bekam meine Souvenirs zurück. Der Beamte, der meinen Reisepass behalten hatte, kümmerte sich um mein Gepäck und die Einreise-Formalitäten.
Also machte ich mich auf die Suche nach meiner Familie, die schon ungeduldig vor dem Ankunft-Portal wartete. Als ich sie von hinten
ansprach, konnten sie vorerst nicht verstehen, woher ich kam. Als ich ihnen dann meine Story erzählte, mussten wir alle erleichtert lachen.
Mit dem tragischen Hintergrund der spanischen Historie hängt das Schwert nun in der Wohnung meiner ältesten Tochter in Buenos Aires als Zeugnis seiner eigenen Geschichte, nämlich einer verhängnisvollen Reise über zwei Kontinente.
Auch einer der Brieföffner blieb in Buenos Aires, aber den zweiten benutze ich täglich in meiner Wohnung in Norderstedt.