Rette deine Schwester!
Im Jahr 1955 arbeitete ich als Divisionschef für technische Dokumentation in der Material-Beschaffungs Direktion der Argentinischen Luftwaffe (Jefe División Documentación Técnica de la Dirección General del Material Aeronáutico).
Das Amt liegt unmittelbar am Justizpalast und etwa einen Kilometer Luftlinie von der Casa RosadaDie Casa Rosada (span. für Rosa Haus) ist der argentinische Präsidentenpalast. Sie befindet sich in der Hauptstadt Buenos Aires an der Ostseite der Plaza de Mayo im Stadtteil Montserrat. entfernt. Als am 16. Juni des oben genannten Jahres Flieger der Luftwaffe und der Marine die Plaza de Mayo
bombardierten mit der Absicht den Diktator Perón zu töten, konnten wir sie im Tiefflug am Fenster des Büros vorbeifliegen sehen. Perón hatte sich jedoch in Sicherheit gebracht und die Bomben verursachten größtenteils bei den unbeteiligten Zivilisten erhebliche Verluste. Es gab mehr als 300 Tote und über 800 Menschen wurden verletzt. (Siehe meine Geschichte Auch wurde bekannt, dass die Marineinfanterie sich auf die Seite der Putschisten gestellt hatte...
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Das Stadtzentrum hatte sich in ein Chaos verwandelt und überall gab es Straßensperren. Der Hafen, die Eisenbahn- und Busstationen wurden von verschiedenen Militäreinheiten besetzt und jedermann versuchte, heil in seine Wohnung zu kommen. Das Zivilpersonal unserer Direktion wurde nach Hause geschickt und das Militärpersonal in Alarmzustand versetzt. Als Divisionschef musste ich auf meinem Posten bleiben, obwohl ich Zivilbeamter war.
Am frühen Nachmittag wurde mir ein Telefonanruf durchgestellt und ich hörte meine Mutter, die mir mit beklommener Stimme mitteilte, dass meine Schwester AlexAlex steht als Kurzform für den weiblichen Vornamen Alexandra
sich im Hafen auf einem Schiff befinde und dieses nicht verlassen dürfte. Das Schlimmste dabei war: das Schiff hatte Befehl bekommen, unverzüglich auszulaufen!
Meine Schwester hatte nämlich eine Beziehung mit einem holländischen Seemann. Unserer Mutter hatte erzählt, es sei ein Offizier der Handelsmarine. Tatsächlich war es nur der SmutjeSmut, Schmutt, Schmuud oder Smutje heißt ein (auch unausgebildeter) Koch an Bord von Schiffen. An Bord von Passagierschiffen spricht man hingegen vom Koch oder auch Schiffskoch. an Bord eines holländischen Frachters. Aber das war ja Nebensache. Ich musste verhindern, dass sie zwangsweise nach Europa fahren würde.
Ich meldete mich bei meinem Vorgesetzten und bat ihm um Erlaubnis, das Gebäude verlassen zu dürfen. Als der Brigadier von meinem Vorhaben erfuhr, stellte er mir einen Dienstwagen zur Verfügung und ich durfte einen Unteroffizier aus meiner Division als Fahrer mitnehmen. Der Unteroffizier schnallte seine Pistole um und wir fuhren in einem Jeep der Luftwaffe los. Im Hafen angekommen, mussten wir etliche Posten der Marineinfanterie passieren. Mit dem Militärfahrzeug und meinem Ausweis vom Luftfahrtministerium war das kein Problem und bald hatten wir den Liegeplatz des Schiffes in Erfahrung gebracht.
Ich schickte den Unteroffizier die Gangway hinauf mit dem Auftrag, nach meiner Schwester zu fragen und sie an Land zu bringen unter dem Vorwand sie werde als Zeugin zum Verhör bei der Luftwaffenbehörde benötigt
. Bald sah ich meine verängstigte Schwester vom Schiff herunterkommen und erklärte ihr rasch unsere Situation. Sie war so überrascht, dass sie kein Wort sagen konnte. Und das war auch gut so.
Wir fuhren mit unserer Zeugin
ohne weiteres aus dem Hafen hinaus und bald saß Alex in einem Bus in Richtung nach Hause.
Zurück im Amt, bedankte ich mich beim Brigadier und meldete meiner Mutter die Rettung. Noch am Abend dieses Tages mussten die Putschisten kapitulieren und die Attacke auf das Regierungsgebäude galt als erfolglos. Erst im September des gleichen Jahres gelang es den argentinischen Streitkräften, die Regierung Peróns zu stürzen.