Meine Raucherkarriere
Ich erinnere mich nur noch dunkel an den Tag, als ich das erste Mal geraucht habe. Es war allerdings keine echte Zigarette, sondern ein aus Kartoffelkraut oder anderen trockenen Blättern gedrehtes Ding, das annähernd so aussah wie ein Glimmstängel. Es muss im Jahre 1944 gewesen sein, als wir evakuiert waren. Wir saßen hinter einer Kartoffelmiete mit größeren Jungs zusammen. Ich habe nur einen Zug gemacht und anschließend minutenlang gehustet, das reichte für die kommenden Jahre!
Nach der ersten Krautzigarette
gab es immer wieder warnende Beispiele. Im Jahre 1949 fuhr ich mit meinem Berliner Cousin während der Großen Ferien zu Verwandten in die Nähe von Oranienburg. Dort gab es zwei Cousins zweiten Grades, der eine Asthmatiker und Muttersöhnchen, der andere grobschlächtig, derb und vor Gesundheit strotzend. Er half wacker auf dem Hof seiner Eltern mit und als Dreizehnjähriger rauchte er schon regelmäßig, auch in deren Gegenwart. Er platzte beinahe vor Angeberei, als er uns das Dorf und die Gegend zeigte. Dabei steckte er sich mindestens vier Zigaretten hintereinander jeweils mit der Kippe der vorherigen an. Zu Hause wieder angekommen, fiel er kreidebleich vom Stuhl und musste sich übergeben. Gleichzeitig ging es auch weiter südlich
, also unten los. Er hatte eine satte Nikotinvergiftung und musste einige Tage das Bett hüten. Als er wieder rumlaufen konnte, schwor er, nie wieder zu rauchen. Die paar Tage, die wir dort waren, ging es. Ob er es wirklich durchgehalten hat, weiß ich nicht, wir haben uns seitdem nicht mehr wiedergesehen.
Meine Raucherkarriere begann recht spät, etwa mit 18 Jahren. Meine große
Schwester arbeitete als Kontoristin bei einer Zigarettenfirma in Berlin, wo sie neben dem Gehalt eine kleine Menge Deputat-Zigaretten bekam. Meine Großmutter kaufte
sie ihr ab, das heißt, sie brauchte nicht soviel Kostgeld abzugeben
. Ich wohnte mit meinen beiden Schwestern damals noch bei den Großeltern. Die Mädchen arbeiteten schon, aber der Stammhalter
ging noch zur Schule. Ich bekam monatlich zehn D-Mark Taschengeld, mit denen ich natürlich keine großen Sprünge machen konnte. Zigaretten kaufen war nicht. Ab und zu steckte mir Oma allerdings eine Kleinpackung Paicos
zu, das waren vier Zigaretten à 7 ½ Pfennige, zusammen kosteten sie also 30 Pfennig. Diese Packung konnte man jedoch nicht am Automaten ziehen. Dort gab es aber für einen Fünfziger 6er-Packungen aller gängigen Sorten, die alle 8 ⅓ Pfennige kosteten. Teurere Zigaretten rauchte man in meinen Kreisen
nur, wenn man angeben wollte.
An Schulen durfte in den 1950er Jahren nicht geraucht werden, auf dem Schulhof nicht und schon gar nicht im Gebäude. Das hielt uns in der Oberprima allerdings nicht davon ab, auf der Toilette ein Raucherkollegium
zu veranstalten. Meist waren wir zu viert oder sogar zu fünft in zwei Kabinen und standen auf dem Klositz während eine Zigarette reihum ging. Alle zogen hastig an dem Mundstück, damals meist noch ohne Filter. Die Glut wurde schnell lang und spitz, so dass der Rauch ziemlich heiß in die Mundhöhle gelangte. Aber dieses Ritual stärkte unser Ego, und wer dabei sein durfte, fühlte sich irgendwie erwachsener, männlicher.
Im Sommer 1955 fuhren wir öfter an Wochenenden mit unserer Clique auf Fahrrädern in den Berliner Grunewald, um dort zu zelten. Manchmal waren es 15 und mehr Jungen und Mädchen. Abends freuten wir uns auf das Lagerfeuer mit handgemachter Musik. Es gab immer zwei, drei Klampfen. Ich spielte Mundharmonika und wer kein Instrument spielte, sang einfach mit. Flirten und Kuscheln war angesagt, aber Alkohol gab es nicht. Einmal bot mir jemand eine John Player's No.6
, eine Virginiazigarette, an. Merkwürdigerweise schmeckte sie süßlich, als ich sie kurz nach dem Mundharmonikaspielen rauchte. Ich empfand das als sehr angenehm und blieb dann längere Zeit bei dieser Sorte.
Nach dem Abi begann ich bei einer Behörde meinen Vorbereitungsdienst, d.h. schlicht, ich lernte auf Inspektor. In den Augen meines Ausbilders war ich aber nicht viel mehr als ein einfacher Stift, der bisweilen auch schon mal eine Selter
oder Bulette aus der Kaufhalle für ihn holen musste. Und weil der Dienststellenleiter Asthma hatte, durften selbst die Gruppenleiter in seiner Gegenwart nicht rauchen. Die Anwärter und Lehrlinge hatten - wie in der Schule - striktes Rauchverbot. Damals waren die Dienststellenleiter noch kleine Könige und konnten in ihrem Bereich solche Verbote selbst verfügen.
Meine Prüfung legte ich 1959 ab. Ein knappes Jahr später erhielt ich meine eigene Arbeitsgruppe, die aus etwa sechs bis sieben Mitarbeitern bestand. In meiner Gruppe rauchten fast alle. Die Marken, die seinerzeit am besten gingen, waren Ernte 23
, Styvesand
und HB
. Zigarettenreklame war an der Tagesordnung und oft so witzig, dass ihre Slogans zeitweise zum allgemeinen Sprachgebrauch wurden. Viele Ältere erinnern sich gerne an das HB-Männchen und den Spruch: Halt, wer wird denn gleich in die Luft gehen …?
der manchmal abgewandelt etwa so klang: … der Olle ist wieder mal wie HB-Männchen in die Luft gegangen!
Keiner hatte etwas gegen das Rauchen einzuwenden, und dass Rauchen tödlich sein könnte, kümmerte niemand. Man bekam am Automaten für eine Mark seine 12er-Packung. Nach einer Preiserhöhung, die ich noch dunkel in Erinnerung habe, gab es 21er und auch 25er Packungen, aber die Stückpreise schwankten geringfügig. Bei einer weiteren Erhöhung ließ sich eine dem neuen Einzelpreis entsprechende Anzahl von Zigaretten in der Automatenpackung zu 2,- D-Mark nicht mehr unterbringen, also wurden die Packungen etwas geringer gepackt. In der Zellophanhülle befand sich dann zum Preisausgleich ein 10-Pfennigstück. Es gab tatsächlich Pfennigfuchser, die rechneten vor, dass die einzelne Zigarette in einer bestimmten Packungsgröße um 1/10 Pfennig teurer war! In diesem Bereich spielte sich das damals ab - für uns heute lächerlich.
Später kamen die Leichtzigaretten in Mode. Waren bei der Einführung der Filterzigaretten die Meinungen schon aufeinander geprallt, so wurden die leichten Zigaretten von vielen abgelehnt. Richtige Männer rauchten sowieso nur filterlose Fluppen
wie Gold Dollar
, Reval
, Overstolz
, Rote Hand(Rothändle)
oder Gauloises
, vereinzelt auch die ovale Nil
der Austria-Tabakregie oder die ziemlich festgestopfte Senoussi
. Es gab auch ganz Versnobte, die die englische Muratti
- filterlos aber mit echtem Korkmundstück - rauchten. Die kostete immer schon etwas mehr. Bald kam die lange, aber recht dünne Damenzigarette Cliff
. Deren Slogan: Cliff kommt wie gerufen!
wurde auch gern abgewandelt. Renner, auch für Vielraucher, wurde dann die Lord-Extra
, eine ganz leichte Zigarette mit angeblich viel weniger Schadstoffen
, aber noch leidlichem Geschmack. Ich folgte meist dem Trend und rauchte alle eben aktuellen Sorten, die Lord-Extra war mir aber zu leicht.
Im Jahre 1963 habe ich das erste Mal mit dem Rauchen aufgehört. Es war eine Wette, tat aber meinem Geldbeutel gut. Dummschafig wie man halt in der Jugend ist, habe ich nach anderthalb Jahren doch wieder angefangen. Aber dann war der Bann gebrochen. Ich wusste, wenn ich wollte, könnte ich sofort wieder aufhören, und es klappte mehrmals ganz gut.
Mark Twain soll einmal gesagt haben: Sich das Rauchen abzugewöhnen, ist ganz einfach. Ich habe es schon 100 Mal geschafft
. Mein 100. Mal liegt jetzt 17 Jahre zurück.
Anmerkung:
Die Zigarettennamen sind Eigentum der Herstellerfirmen. Ohne Nennung dieser Namen aber wäre die Geschichte farblos.