April-April
oder – die Schuhbesohlungsbeihilfe
Als ich 1959 nach bestandener Prüfung einem Sonderdezernat meiner Behörde zugeteilt wurde, das sich mit dem Auslandsrentenrecht (für Umsiedler, Vertriebene und Flüchtlinge) befasste, das während meiner Ausbildung nur am Rande gestreift wurde, empfand ich das zunächst als Zumutung. Ich hatte von diesem Arbeitsgebiet nur eine schemenhaft Ahnung.
Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Dieses Sonderdezernat wurde gerade neu strukturiert und erweitert, und viele junge Leute kamen aus dem ganzen Haus dorthin, die sich genauso wie ich erst in die neue Materie einarbeiten mussten. Das schweißt zusammen, so dass wir schon nach kurzer Zeit wirklich ein toller Haufen waren - jedenfalls die Neuen. Zwar waren die Gruppen- und Abschnittsleiter fast alle so um die 50 Jahre und älter, aber die Sachbearbeitergilde war frisch, die meisten so wie ich etwa 25 -30 Jahre alt. Natürlich waren auch ältere dabei, mit denen wir aber prima zusammenarbeiteten.
Damals wurden die Akten noch nach althergebrachter Art innerhalb des Dezernates von den Registraturkräften hin- und hergetragen. Die Damen und Herren Registratoren hatten also ganz schön zu laufen, man hätte sogar derbe Arbeitsbekleidung gebraucht, denn das Tragen der Akten verdarb so manche Jacke und Rock. Einige Herren besorgten sich daher auf eigene Kosten graue Arbeitskittel, um sich ihre normale Bekleidung nicht zu schnell zu verschmutzen.
Das alles war bekannt und ab und zu auch schon mal Gesprächsthema, wenn wir mit unserem Registrator ein Tässchen Kaffee zusammen tranken. Er war für dieses Thema besonders dankbar und konnte dann so richtig niedlich abschimpfen, denn er lebte in seinen fortgeschrittenen Jahren noch immer bei Mutti. Seine trippelnden Schritte, sein betont höfliches Benehmen und seine etwas affektierte Sprache inspirierten uns zu der Annahme, dass er vom anderen Ufer wäre
, damals noch negativ befrachtet, und wir foppten ihn öfter, aber auf die Nette.
Anfang der 1960er Jahre saßen wir noch im Mutterhaus
, das seit Bestehen der Behörde vor ein paar Jahren zum zweiten Mal angebaut wurde. Es gab also einen Altbau, einen Neubau und einen Erweiterungsbau. Ein merkwürdiger Bau-Mix am Berliner Fehrbelliner Platz, in dem etwa 8.000 Menschen arbeiteten. Es gab etliche Kilometer Flurgänge, deren Zimmernummerierung jedoch so ausgetüftelt war, dass jeder gleich wusste, dieses Zimmer ist im Altbau, jenes im Erweiterungsbau. Deshalb war es auch einigermaßen bekannt, dass die Zimmernummern des Personalbüros mit 2001 begannen. Dies muss ich vorweg bemerken, denn das spielt in der nachfolgenden Aprilgeschichte eine wesentliche Rolle.
Ich bekam bald eine eigene Arbeitsgruppe mit einer relativ jungen Besatzung, aber wir hatten auch zu den Nachbargruppen guten Kontakt, da jeweils immer drei Zimmer durch Innentüren verbunden waren. Der März 1963 kam und wir mussten uns wieder einmal anhören, dass unser Herzchen
- so nannten wir unseren Registrator heimlich – erneut 12 Mark beim Schuster gelassen hatte, damit der seine Absätze neu besohlte, … die ich mir hauptsächlich hier abgewetzt habe!
Wir bedauerten ihn zum wievielten Male und dann entstand ein neckischer Plan: damals gab es noch keine Fotokopierer, und wer wirklich etwas kopieren musste, hatte einen besonderen Antrag zu stellen. Die Kopien kamen meist erst 1-2 Tage später wieder an. Daher wurden die meisten Verfügungen im Schneeballsystem von den Schreibkräften abgeschrieben. Meist lag das für den Gruppenleiter bestimmte Exemplar in seinem Fach in der Hauptregistratur, die in der Regel einem Bienenstock glich. Es ging dort ein und aus, und wenn eine Akte oder eine Stellmappe schnell mal woanders hingeschickt werden sollte, kamen auch die Sachbearbeiter selbst in diesen Bienenstock
. Es fiel also nicht auf, wenn mal ein anderer als die Damen oder Herren Registratoren dort auftauchte.
Wir setzten uns also zusammen und entwarfen - eigentlich nur für unser Herzchen
- ein amtliches
Schreiben, in dem unter einem erfundenen Aktenzeichen des Personalbüros den Registratoren anboten wurde, … in Anerkennung der besonderen Arbeitssituation eine Schuhbesohlungsbeihilfe von maximal 12,-- DM halbjährlich unter Vorlage entsprechender Quittungen zu gewähren.
Anträge gäbe es in Zimmer 2011, das war die laufende Nummerierung für die Herrentoilette. Jemand von uns war kurz dort und hatte sie sich aufgeschrieben! Die amtliche
Verfügung wurde mit einem Aktenzeichen versehen, das man eigentlich leicht hätte durchschauen können: 2001 – 0104-63, unterschrieben war es von Herrn (oder Frau) A. Pril.
Damit nun dieses Schreiben einen noch authentischeren Touch
bekäme, wurde es von unserer Schreibkraft auf dünnem Durchschlagpapier abgeschrieben, wie üblich mit 6 Blatt - mehr war nicht möglich. Mein Sachbearbeiter sollte nun einen der Durchschläge am 1. April gegen 10:00 Uhr in unser Fach legen, das unser Registrator in seiner netten, wichtigtuerischen Art stündlich observierte und mir alle eingehenden Sachen auch sofort vorlegte. Die anderen fünf Durchschläge unseres Juxschreibens sollten vernichtet werden, aber das kam wohl zu leise an. So wurden die übrigen Exemplare ebenfalls verteilt.
Es verging keine Stunde, als wir auf dem Gang tumultartiges Durcheinander hörten. Einige Registratoren hatten sich zusammengerottet und beratschlagten nun, ob sie gemeinsam zum Personalbüro gehen oder ein einzelner dort im Zimmer 2011 die Anträge abholen sollte. Unser Herzchen kam mit der Jux-Verfügung ins Zimmer gerannt, knallte sie mir auf den Tisch und war außer sich vor Aufregung, denn er hatte seine Schuhreparaturrechnung gestern schon weggeworfen
, daran erinnerte er sich mit roten Ohren. Was soll ich denn nun machen?
, fragte er mich aufgeregt, kann man das nicht eventuell sogar glaubhaft machen?
Vor lauter Aufregung kam er gar nicht auf die Idee, sich eine neue Rechnung zu besorgen - geschweige denn, dass es sich um eine Superverarsche
handeln könnte. Wir hatten große Mühe ihm zu erklären, dass das doch offensichtlich ein Aprilscherz sei, das würde man doch sehen! Dieses Aktenzeichen und dann die Unterschrift! Eindeutig: April-April! Nun begriff er auch.
Ungläubiges Staunen und ein wenig Beklemmung lagen in der Luft, wir trauten uns auch noch nicht, uns zu outen, denn … mit sowas macht man doch keine Scherze!
quetschte Herzchen hervor. Dann setzte er sich auf seinen Platz. Nach einer Weile ging er nach draußen, um seinen Kollegen zu erzählen, dass wir ja heute den ersten April hätten, aber da war es schon zu spät. Das Schreiben wurde in Windeseile abgeschrieben, kam so auch in andere Dezernate. Am nächsten Tag hörten wir aus dem Personalbüro, dass man dort zunächst über die vielen Besucher verwundert war, dann aber zwei Sachbearbeiter abstellte, die sich in der Gegend der Herrentoilette aufstellten, um jeden, der sich dort einen Antrag abholen wollte, darauf hinwiesen, dass sie einem derben Aprilscherz aufgesessen seien.
Wir sind zwar verdächtigt worden, Urheber dieses April-Scherzes gewesen zu sein, zugegeben haben wir das aber nicht!