Nachkriegszeiten
Meine Vorfahren stammen aus Johannisburg bzw. Königsberg/Preußen, aber da ich im Jahr 1942 geboren wurde, bin ich froh, dass ich mich nicht an die vielen schrecklichen Kriegserlebnisse erinnern kann. Im Dezember 1943 ist mein Vater in Russland gefallen, leider habe ich an Begebenheiten mit ihm keine Erinnerung.
Durch die Flucht und Vertreibung aus Ostpreußen gelangte meine Mutter mit uns Kindern im Jahre 1945 in ein kleines Dorf im Kreis Herzogtum Lauenburg und fand langsam wieder ins Leben zurück. Wir wurden in einer Bauernvilla in zwei Zimmern im Obergeschoss einquartiert. Wasserholen erfolgte über den Flur aus einem Waschraum, der von mehreren Familien benutzt wurde. Abwasser konnte auch dort entsorgt werden, falls es nicht zu inhaltsreich
war. Sonst musste es zwei Treppen heruntergetragen und auf den sogenannten Misthaufen
gekippt werden. Hier wurden auch die Eimer der Gemeinschaftstoiletten entleert, die mindestens von zwei Familien benutzt wurden. Papier, natürlich Zeitung, brachte jede Familie für sich selbst mit. Ein Fortschritt trat ein, als wir unsere eigene Toilette erhielten, noch immer mit Eimer, aber ohne Benutzung durch andere Personen.
Meine leidgeprüfte Mutter hatte einen neuen Partner an ihrer Seite, der sie mit ihren vier Kindern akzeptierte. Es wurde geheiratet, und meine jüngste Schwester kam 1952 zur Welt. Nach zwei Jahren zogen wir in eine kleine und aus heutiger Sicht sehr primitive Siedlungshaus-Hälfte in Büchen ein.
Mit der bisherigen Wohnung verglichen war es wirklich komfortabel. Wir hatten ein richtiges Wohnzimmer (es wurde abends als Schlafzimmer für die Mädchen hergerichtet), wir Jungen hatten ein eigenes Zimmer mit Etagenbett, die Eltern hatten ihren eigenen Bereich, es waren ein Keller vorhanden sowie Gartenland.
Im Haus führte eine Treppe in das ausgebaute Dachgeschoss mit teilweise schrägen Wänden und, heute kaum vorstellbar, kein Kühlschrank, keine Waschmaschine, keine Zentralheizung, kein Badezimmer mit Toilette waren vorhanden.
Das Örtchen
befand sich im Stallgebäude neben der Waschküche und war über den Hof erreichbar. Es war also ein sogenanntes Plumpsklo
mit Klärgrube, eingeteilt in 3 Kammern, und eine Kanalisation gab es auch noch nicht. Hiermit mussten wir uns einige Jahre behelfen, bevor das Geld vorhanden war, um ein richtiges Badezimmer anzubauen. Bis dahin wurde sonnabends in der Waschküche der Waschkessel angeheizt, und die kleinsten Kinder wurden zuerst gebadet. Bevor das nächste Kind in die verzinkte Badewanne kam, wurde das Schmutzwasser von oben abgeschöpft und warmes Wasser zugefüllt.
Aber meine Mutter und mein Stiefvater waren heilfroh, endlich wieder ein richtiges Zuhause gefunden zu haben, und so wurden die Ärmel aufgekrempelt und daran gearbeitet.
Die Mutter meines Stiefvaters hatte bis dahin noch keine rechte Bleibe gefunden, und so wurde beschlossen, dass sie zu uns ziehen durfte und auch sollte, um somit praktischerweise durch ihre Miete zur Finanzierung des einfachen Hauses beizutragen.
Als ältere Dame benötigte sie natürlich ihr eigenes Reich, und so wurde der verbleibende Platz für uns alle doch recht eng. Das Elternpaar, die Oma und wir fünf Kinder im Alter von zwei bis vierzehn Jahren teilten uns die wenigen Räume.
Für die Oma wurde ein großes Zimmer im Obergeschoss geteilt, und es entstanden ein Schlafzimmer und eine Wohnküche. Es gab für sie hierin eine Waschgelegenheit sowie einen Herd zum Heizen und Kochen. Wir Kinder hatten keine großen Ansprüche an das Leben, aber zum Spielen und Erholen genossen wir nun wenigstens den großen Garten vor der Tür.
An die sehr steile Treppe zum Obergeschoss des Hauses kann ich mich heute noch besonders gut erinnern, aber uns Jüngeren machte es natürlich keine Schwierigkeiten, auch nicht nachts, diese zu bewältigen. Wir waren es eben gewohnt. Aber für die Oma muss es wohl oft schwierig gewesen sein, diesen gewissen Ort zu erreichen, besonders in der Nacht oder, wenn sie es gerade eilig hatte.
Eines Tages gab es Unruhe, und es hatte sich folgende Geschichte ereignet:
Unsere Oma hatte am frühen Morgen ein dringendes menschliches Bedürfnis. Da aber die Zeit zu knapp war, um über die steile Stiege hinab zum Örtchen über den Hof zu gelangen, erklomm sie mit Hilfe eines Hockers das Waschbecken, um sich dort zu erleichtern. Nach getaner Arbeit wollte sie zurückkehren auf den Fußboden, geriet aus dem Gleichgewicht und landete mit ihrem Allerwertesten auf der ziemlich heißen Herdplatte gleich neben dem Waschbecken. Sie biss die Zähne zusammen, klopfte an meine Zimmertür und bat mich mit schmerzverzerrtem Gesicht, meine Mutter nach oben zu holen. So kam also die Aktion der Oma ans Tageslicht.
Meine Mutter eilte in die Küche und holte zur ersten Linderung Quark zum Bestreichen der verbrannten Hautfläche. Ich wurde zur Apotheke geschickt, um eine Brandsalbe zu kaufen. Ein Arzt sollte nicht erscheinen, denn sonst wäre noch einer weiteren Person diese Angelegenheit bekannt geworden. So war es schon unangenehm genug.
Die Oma konnte nun einige Tage vor lauter Schmerzen nicht richtig sitzen. Ich nehme an, sie hatte diese Aktion nicht zum ersten Mal, aber dann wohl nie wieder durchgeführt.
Meine Mutter war eine kluge Frau, die anschließend ganz diskret einen Nachttopf für die Großmutter kaufte, um künftige Fälle dieser Art nicht mehr entstehen zu lassen.
Erst in den 1960er Jahren wurde ein richtiges Badezimmer mit Spültoilette angebaut, aber zu der Zeit war unsere Oma schon leider verstorben.
Diese Verhältnisse kann sich heutzutage wohl niemand mehr vorstellen, jedenfalls nicht von Seiten der jungen Leute.