Mein Leben in der Landwirtschaft
Im Juli 1958 übernahmen meine Eltern einen alten Bauernhof als Pachtbetrieb von einem Ehepaar in Heidrege, Kreis Pinneberg. Die Ländereien auf dem neuen Hof waren stark vernachlässigt. Der Boden hatte ca. 20 Punkte, auf gut deutsch Karnickelsand
. Wir hatten jedoch wieder etwas Milchvieh und Mastbullen. Die Haupteinnahme kam aber aus dem Verkauf der Ferkel, von ungefähr 20 Zuchtsauen und einer Deckstation für Sauen. Auf mein Anraten fingen wir wieder an, Legehennen zu halten und die Eier an Geschäfte, Eisdielen und Privathaushalte zu verkaufen. Auf diese Art hatten wir ständig Bargeld in der Hand.
Mein privates Leben, also mein privates Umfeld, entwickelte sich sehr schnell zum Positiven. Ich nahm Kontakt mit örtlichen Bauernsöhnen auf und an jedem Wochenende tauchte mein Cousin Peter Mohr mit dem Lieferwagen seines Vaters bei uns auf. Er brachte jedes Mal zehn bis 15 Endstücke von Schweine- oder Rinderbraten mit. Er hatte auch immer rund 200 D-Mark in fünf D-Mark Scheinen in der Tasche.
Meine Mutter hat uns nach der Arbeit am Samstag das Fleisch gebraten, Damit hatten wir eine gute Grundlage für eine lange Nacht. Ab ging es mit dem schnellen Ford FK 1000 zum Tanzen. Irgendwo war immer was los. Zwar fehlte mir für diese Streifzüge das nötige Kleingeld, aber Peter hatte immer genügend dabei.
Mein Lehrherr Robert Ramcke und auch meine Eltern drängten mich, die Meisterprüfung zu machen, um später vielleicht Verwalter auf einem Versuchsbetrieb zu werden. Dazu brauchte ich ein Fremdjahr in der Landwirtschaft. Ich sah mir drei erstklassige Betriebe in verschiedenen Regionen von Schleswig-Holstein an. Meine Wahl fiel auf den Saatgut-Betrieb von Hans Bartels in Sierksrade, Kreis Herzogtum Lauenburg. Sierskade war ein Nest mit ca. 200 Einwohnern. Von einigen Feldern konnte man die Wachttürme der Zonengrenze sehen. Hier verweilte ich vom 1. Juli 1960 bis zum 30.Juni 1961. Während dieser Zeit vertrat mich zu Hause mein früherer Mitlehrling in Quickborn, Bruno Dedler.
Der Betrieb von Bauer Bartels war ca. 80 Hektar groß, die einzelnen Flurstücke in etwa neun Hektar 90 Punkte Boden, schwerster Lehm. Angebaut wurden verschiedene Getreidesorten als Saatgut. Auch Rüben als Saatgut und fürs Vieh. Erbsen für die Konservenfabrik Erasko in Lübeck und Raps für die Lockerung des Bodens. Ferner betrieb der Hof noch Milchviehhaltung, besaß einige Mastschweine und sehr viele Legehennen. Die Anzahl weiß ich nicht mehr genau.
Maschinell war der Betrieb für seine Zeit sehr gut ausgerüstet. Ein 50 PS Fordson wurde zum Pflügen mit Spatengreifern und einem Drei-Schar Raabe Beetpflug ausgestattet. Ein 24 PS IHC McCormik diente zu Pflegearbeiten und schnelle Fahrten zum Melken auf der Weide. Irgendwer hatte bei dem Trecker die in Deutschland vorgeschriebene Motordrosselung ausgebaut, das Ding lief mindestens 40 Kilometer pro Stunde.
Außerdem war auf dem Betrieb noch ein 3 m breiter Schmotzer vorhanden. Das Gerät wurde von einem Gas befeuerten VW-Motor angetrieben, zur Aussaat von Getreide und zum Hacken des Getreides und der Rüben eingesetzt. Da der Schmotzer an beiden Seiten einen Fahrersitz und Lenkrad hatte, konnte man punktgenau mit ihm arbeiten.
Zu meiner großen Freude, gab es auch eine fahrbare Melkanlage! Und das Schärfste war die Getreidesortier-, -reinigungs- und -abffüllanlage auf dem Getreideboden. Sie war größer und moderner als die Anlage des großen Getreidehändlers Ströh in Bad Oldesloe. Also, rundherum ein moderner und leistungsstarker Betrieb.
Der Bauer Hans Bartels war ein kleiner drahtiger Mann, der im Krieg beide Beine unter dem Knie verloren hatte. Er arbeitete eng mit einem Betriebsberater zusammen und setzte gewinnbringende Ideen sofort in die Tat um. In dem Jahr vor meiner Ankunft baute er nur einmal neun Hektar Dill an, weil in Südamerika die Ernte verfroren war. Er erzielte damals damit einen Reingewinn von 200.000,-D-Mark, in Worten: Zweihunderttausend. Fast zwei Einfamilienhäuser! Unvorstellbar.
Zu meiner Zeit kaufte Herr Bartels in Holland für viel Geld zwei Zuchtsauen und einen Eber (veredeltes Landschwein). Er wollte den besten Züchter aus Schleswig-Holstein vom Thron stoßen.
Für ein Jahr hat er es später geschafft: Auf der landwirtschaftlichen Ausstellung in Rendsburg wurden seine Tiere mit Auszeichnungen prämiert. Ich habe diesen Mann für seine knallharte Art manchmal gehasst, aber auf der anderen Seite auch wieder bewundert.
Das Jahr war vom Arbeitseinsatz her hart, aber wiederum sehr lehrreich. Für heutige Zeiten unvorstellbar: zur Toilette gehen während der Arbeitszeit war nicht gestattet. Entweder vor 6 Uhr, während der Mittagspause oder nach 18 Uhr.
Ein Ereignis war für mich auch total neu. Herr Bartels kaufte in einem Nachbarhof eine Arbeiterfamilie von einem Bauer frei. Er bezahlte deren Schulden beim Krämer (Lebensmittelladen), Schuster usw. Die Familie zog in ein ordentliches Einfamilienhaus ein, das direkt am Hof lag und auch zum Hof gehörte. So hatte Herr Bartels einen festgenagelten Deputatarbeiter, nebst Frau, die er für alle anfallenden Arbeiten einsetzen konnte.
Ich hatte ein großes Zimmer im Haupthaus. Unten waren zwei Duschen nur für das Personal. So etwas hatten wir zu Hause nicht. Bei uns wurde sich noch im Vorraum zum Kuhstall aus einer Schüssel auf einem Dreibock gewaschen und am Wochenende in einer Zinkwanne gebadet.
Für eine gelegentliche Tafel Schokolade putzte mir das Hausmädchen meine guten Schuhe, und die Tochter nahm meine Oberhemden auf dem Schulweg mit nach Ratzeburg zum Waschen und Bügeln.
Die Freizeit am Wochenende verlief meistens sehr harmonisch, teilweise auch aufregend ab. Einmal fand ein Dorffest auf einer großen Diele statt. Diese war mit einem Tanzboden ausgelegt. Auf jeder Seite standen Bänke, auf der einen saßen die Mädchen, auf der anderen Seite die Jungen. An den wenigen Tischen vor der Theke saß die ältere Generation. Wie bei uns früher in der Tanzschule. Wenn ich ein Mädchen zum Tanz aufforderte, wurde getuschelt, weil mich hier kein Mensch kannte.
Das Jahr war um und ich landete wieder auf dem Hof in Heidrege. Auf mein Anraten hatte mein Vater inzwischen meinen Traumtrecker gekauft. Einen Hanomag C224. Ein Mittelding zwischen Schlepper und Geräteträger. In einem Kleinbetrieb für alle Arbeiten einsetzbar. Frontlader. Zweischar-Volldrehpflug mit Pilotsystem, Mähbalken, Heuwender und Miststreuer machen das Leben einfacher.
Am 19. August 1961 war in Barmstedt, wie in jedem Jahr, Stoppelmarkt. Ich war immer noch auf der Suche nach einem geeigneten weiblichen Wesen. Und wen traf ich dort? Lotti, meine Freundin aus der Jugendzeit, die ich lange Zeit aus den Augen verloren hatte. Lotti, bewacht von einer Schar junger Männer vom Hof Ramcke. Das war der sogenannte Wendepunkt in meinem Leben, das Beste was mir je passieren konnte!
Ich habe Lotti nicht wieder laufen lassen. Wir haben nächtelang diskutiert. Über die vergangenen vier Jahre und über die Zukunft. Zwischendurch habe ich Lotti bei den schriftlichen Arbeiten auf der Hauswirtschaftsschule in Elmshorn geholfen. Sie schloss diese Ausbildung mit der Note sehr gut
ab.
Ein Jahr später, genau am 19.August, haben wir uns heimliche verlobt. Offiziell etwas später. Unsere Ringe haben wir uns in Hamburg gekauft und anschließend herrlich im Alsterpavillon gegessen. Ein Jahr darauf, leider nicht am 19. August, sondern am 25. Oktober 1963 haben wir geheiratet. Am 19. August ist Erntezeit
, sagte mein Schwiegervater.
Am 1. Juli 1963 habe ich nach einigen zusätzlichen Lehrgängen an der Landwirtschaftsschule in Elmshorn meine Meisterprüfung als Landwirt bestanden. Wir waren mit acht Kandidaten in dem Jahr im Kreis Pinneberg angetreten. Drei Mann schafften es zur letzten Prüfung in St. Michaelisdonn. Als einziger habe ich diese doch sehr schwere Prüfung mit einer Note 2,6 bestanden. Das war leider eine Drei!
Als ich abends ziemlich abgespannt nach Hause kam, war außer meinen Eltern noch Lotti mit ihren Eltern anwesend. Mein früherer Lehrchef und zukünftiger Schwiegervater tadelte mich ob der Note Drei bei der bestandenen Prüfung. Das hätte eine sehr gut
werden müssen. Dieses, glaube ich, war der erste schwere Bruch in unserer Beziehung.