Das alte Hamburg
Wenn auf dem Schulplan Wandertag stand, hat mein Vater mit vielen Klassen eine Tour durchs alte Hamburg gemacht.
Von einer solchen Tour hat mir Dagmar Grell geb. Timm erzählt. Es war im Krieg, sie meinte 1943. Mein Vater hat den Kindern gesagt, sie müssten immer zusammen bleiben, keiner dürfe sich von der Gruppe entfernen, jeder war für sich und auch für die anderen mit verantwortlich.
Mit der Hochbahn ging es erstmal zum Jungfernstieg und dann durch die Straßen mit den alten Fachwerkhäusern aus früheren Zeiten. Wo sie genau gegangen sind, wusste sie nicht mehr, nur dass sie in Richtung Hafen unterwegs gewesen waren. Mein Vater zeigte ihnen die engen Gassen, wo keine Bäume standen, ja nicht stehen konnten — für sie war kein Platz. Er machte sie darauf aufmerksam, dass jede Etage ein Stück weiter herausgebaut war, wie man es noch heute in den Krameramtsstuben sehen kann. Er sagte zu ihnen: Seht es euch genau an, vielleicht bekommt ihr das nie wieder zu sehen.
Das hatte die damals neun Jahre alte Dagmar in sich aufgenommen und nicht wieder vergessen, weil sie es nicht verstand. Sie könnte doch noch einmal hierher gehen.
Gefrühstückt haben sie in den Wallanlagen auf dem Rasen. Alle hatten müde Füße von dem alten Kopfsteinpflaster der alten Straßen. Dann ging es zum Michel und zu den Krameramtsstuben und hinunter zum Hafen. Dort stiegen sie wieder in die Hochbahn, die sie zurück zum Ochsenzoll brachte.
Viel hatten sie gesehen und über das alte Hamburg gelernt. In der nächsten Heimatkundestunde haben sie davon gesprochen. Die Kinder hatten viel Spaß dabei und mein Vater nicht weniger.
Dann kam der TerrorangriffOperation Gomorrha Ende Juli 1943, befohlen wurden diese Angriffe von Luftmarschall Arthur Harris, dem Oberbefehlshaber des Britischen Bomber-Command. auf Hamburg und das meiste von dem, was sie sich angesehen hatten, fiel in Schutt und Asche. Das schöne alte Hamburg war für immer verloren für alle Zeiten.
Wie hat dein Vater das wissen können, dass wir das nie wieder zu sehen bekommen?
fragte sie mich. Das weiß ich auch nicht, aber ich habe oftmals etwas von ihm gesagt bekommen, das später eingetroffen ist.
gab ich ihr zur Antwort. Wenn ich heute alte Fachwerkhäuser sehe
, erzählte sie weiter, dann muss ich immer an deinen Vater denken. Und dann sehe ich sie mir genau an und freue mich, dass sie noch bewohnt sind und liebevoll gepflegt werden.
Ich habe mich bei Dagmar Grell für diese Geschichte bedankt, sie hat mir meinen Vater wieder ein Stück näher gebracht.