Ferien in Dänemark
Heute ist es ganz einfach, ins Ausland zu reisen. Du gehst in ein Reisebüro und meldest dich für eine Reise an in ein Land, das du gerne mal sehen möchtest. Die ganze Welt bis auf ein paar Länder steht dir offen, aber in diese Länder willst du sowieso nicht. Ich halte von diesen Reisen nicht allzu viel. Nicht dass ich auch mal gerne die Etosha-Pfanne sehen möchte, ich denke eher an die Menschen dort und stelle mir vor, dass diese auch mal gerne unser Land sehen möchten und sie dabei bei mir im Vorgarten stehen. Das möchte ich nicht haben. Es gibt so viele neugierige Menschen, die damit prahlen, wo sie schon überall gewesen sind. Aber wenn du sie fragst, ob sie sich schon mal die Kirche in Klein-Nüchel angesehen haben, dann wissen sie gar nicht, wo das liegt, dabei ist das gar nicht weit von hier. Aber das wollte ich eigentlich gar nicht erzählen.
Als ich zwölf Jahre alt war, durfte ich auf Verwandtenbesuch nach HaderslebenHaderslev war seit seiner Gründung im Hochmittelalter Teil des Herzogtums Schleswig, gehörte nach dessen vollständiger Loslösung vom dänischen Gesamtstaat von 1867 bis 1920 zu Preußen und somit von 1871 bis 1920 zum Deutschen Reich. Noch heute lebt eine deutsche Minderheit (deutsche Nordschleswiger) in der Stadt. in Dänemark reisen, mitten im zweiten Weltkrieg. Das gab es nur für Kinder bis zu 16 Jahren. Ich durfte als einzige aus der Familie unsere Großmutter besuchen, die dort nach dem ersten Weltkrieg geblieben war und für Dänemark optiert hatte. Sie war eine kleine rundliche Frau, die immer knöchellange, schwarzweiß gemusterte Kleider trug. Dann trug sie noch einen KapotthutSiehe Lexikon, Kapotte/Kapotthut, einen schwarzen Mantel, eine Handtasche und einen Stock. Sie hatte nicht viel Geld und musste sehr aufpassen, dass sie immer etwas in die Milch zu krümeln hatte, wie sie es nannte.
Einmal die Woche gingen wir in die Knickeierfabrik
. Das war ein Geschäft, das Eier aufkaufte und diese maschinell nach Größe sortierte, um sie dann auf die Läden zu verteilen. Beim Sortieren gingen immer welche entzwei und die holten wir uns. Sie hatten eben einen Knick. Dafür gab es sie halb geschenkt.
Auf dem Rückweg mussten wir immer über den Markt, wo Oma sich jedes Mal mit dem Fischhändler in die Wolle kriegte. Er war ein großer Mann, der seine frischen Aale lauthals anpries. Er hatte zwischen seinen großen FingernBeim sogenannter Aalgriff wurde der Aal über Ring- und Zeigefinger gelegt und mit dem Mittelfinger darüber gehalten. So konnte er nicht entwischen. je einen Aal gleich hinter dem Kopf eingeklemmt, sodass diese sich um seinen nackten Arm kringelten. Das konnte Oma auf den Tod nicht leiden. Sie beschimpften sich — sie auf Hoch- und Plattdeutsch und er auf Dänisch. Alle Leute auf dem Markt kannten das schon und hatten jede Woche ihren Spaß daran. Ich habe nie erlebt, dass Oma bei ihm Fisch gekauft hat. Sie meinte, er wäre ein Tierschinder.
Einmal wollte sie bei einem Blumenhändler eine Topfblumen für meine Tante kaufen. Es sollte eine CampanulaDie Glockenblumen (Campanula) sind die größte Pflanzengattung in der Familie der Glockenblumengewächse (Campanulaceae). sein. Aber sie wusste nicht, wie die Blume hieß. Sie erklärte sie dem Verkäufer mit ihrem schlechten Dänisch, aber der verstand sie nicht oder wollte sie nicht verstehen. Zuletzt hat sie dann eine andere Blume ausgesucht, die ihr aber zu teuer war, und sie handelte den Preis herunter um glatte zwei Kronen. Als wir aus der offenen Ladentür mit der eingewickelten Blume herausgingen, hing an dieser die Campanula. die war noch teurer. Sie ließ den Topf wieder auswickeln und die Campanula einwickeln und hat nichts dazubezahlt. Wie sie das angestellt hat, das weiß ich nicht, ich war nicht wieder mit in den Laden hineingegangen, das ging mir doch zu weit.
Wenn ich Langeweile hatte, ging ich zu Bäcker Moll, unserem Nachbarn. Er hatte im Keller unter dem Laden seine Backstube. Dort habe ich Kuchenbacken gelernt. Blätterteig mit Pflaumenmus, Kringel drehen, runden Zwieback, viele Sorten Kekse und was er sonst noch backte. Schwarzbrot und Rundstücke wurden morgens gebacken, wenn ich noch schlief.
Wenn es nachmittags nichts zu backen gab, ruderten wir auf dem Damm, das ist das letzte Stück der Haderslebener Förde. Wenn ich rudern musste und er seine Beine hinten zum Abkühlen ins Wasser steckte, konnte ich mit den Rudern das Wasser kaum erreichen. Denn er war so ein Dicker
und ich man eine halbe Portion und der Bug ragte weit aus dem Wasser. Die Leute an Land haben fix über uns gelacht, und wir hatten auch unseren Spaß daran. Er las dann in meinen Karl-May-Büchern und gab mir seine BerlingskeDie Berlingske ist die älteste heute noch erscheinende dänische Tageszeitung. Tidende, eine Dänische Zeitung. Dabei konnte ich doch gar kein Dänisch.
Nebenbei haben wir auch geangelt — Aal und Weißfisch. Oftmals hatten wir zehn Fische gefangen. Die kochte Bäcker Moll in einem Topf, der nur noch einen Henkel hatte, in seiner Backstube am immer heißen Ofen und stellte sie dann auf das Katzenkopfpflaster auf die Straße. Von allen Seiten kamen dann die Katzen und hatten ein Festessen. Die wussten alle Bescheid, die hatten uns losgehen gesehen und warteten schon auf das Geräusch der hingestellten Teller.
Diese Ferien bei meiner Großmutter und meinem alten Freund Bäcker Moll möchte ich in meinem Leben nicht missen. Sie bedeuten mir mehr als ein voller Strand auf Mallorca oder Skilaufen in den Alpen. Nichts auf der Welt kann das aufwiegen, was ich in Hadersleben mit diesen Menschen erleben durfte.