Tiere vor der Kamera
Meise mit Sahnehäubchen und andere Tiere
In einer sanften Dünenmulde baute Peter sich das Hide, ein zeltartiges, getarntes Gebilde mit Löchern zum Schauen und Filmen. Vor Morgengrauen kamen Peter und sein Assi zum Hide, Peter kroch hinein, der Assi ging weg. Da Möwen nicht bis zwei zählen können, glaubten alle Möwen, die Luft sei rein und ließen Peter ihr Privatleben filmen.
Anfang der siebziger Jahre waren wir ausgezogen, mit Sack und Pack und Kameras und viel Film und suchten ein Dutzend Antworten auf tausend Fragen über das Verhalten der Tiere. Und immer gab es mehr Probleme, als ein normaler Mensch sie erwartet: Kamera aufstellen, Licht messen, Film einlegen von der rechten Sorte, Tonbänder aufspulen. Tiere haben einige unangenehme Eigenschaften. Sie sind nie da, wo die Kamera ist, und sie tun nie das, was sie sollen. Was macht man in solchen Fällen? Man holt sich einen Fachmann, einen Professor oder wenigstens Doktor. Einen, der alles weiß über Krähen oder Katzen, Taufliegen oder Elefanten, mit ihnen sozusagen auf Du und Du steht. Gegen Honorar verrät er seine Geheimnisse und führt ein schwitzendes oder frierendes Team an den Ort der Tat – auf den lotrechten Felsen, in die trostlose Savanne, ins Moos, auf Bäume, ins Aquarium. Und dann sagt er, passt auf! Gleich passiert was. Es passiert nichts. Entweder es regnet grade oder der Assi hat mit dem Stuhl geklappert oder der Tonmeister wurde gestochen oder das Tier hatte gerade schlechte Laune. Warten also, warten. Legt das Barbenweibchen nun seine Eier – oder nicht? Wird es die Kleinen aufziehen oder auffressen? Reicht das Licht für die nächtliche Löwenjagd? Wird das Fliegenmännchen balzen? Es hat – aber da war die Kamera ausgeschaltet. Die Löwenjagd war unterbelichtet, das Löwengebrüll übersteuert. Der Regisseur flucht auf den Fahrer, der Fahrer auf die Straße.
Es gibt Lichtblicke, immer wieder und auch da, wo niemand sie erwartet. Im afrikanischen Busch sitzt Pater Jarman mit seiner Frau Matti auf der Veranda. Grillen musizieren. Jarman setzt die Tasse ab, es ist Teatime, auch in Afrika und sagt: Wissen Sie, Dik-diks wollen Sie filmen? Da werden Sie kein Glück haben, die Viecher sind viel zu klein und verstecken sich im dicksten Gebüsch
. Da sagt Matti: Guck mal in den Garten, was siehst du da? Dik-dik, eine ganze Familie, was haben die in meinen Blumen zu suchen?
Peter: Siehst du und was macht das Männchen gerade?? Es markiert mit seinem Augensaft deine schönen Lilien
. Er flüstert: Ihre Kamera? Müsste doch hübsch sein, aber langsam, die Tiere merken alles.
Auf diese Weise kamen wir zu wunderschönen Aufnahmen der graziösen Antilopen, die nicht größer sind als ein mittlerer Terrier. Harvey Croze wühlte in den gigantischen Kothaufen riesiger Elefanten, weil er herausfand, dass die Urwaldriesen zwar Akazienbüsche herausrupfen, sie aber neu pflanzen, weil der Same vor dem Keimen durch ihren Magen gehen muss. Der kleine Harvey wusste alles über die grandiosen Urtiere und teilte sein Wissen mit uns. Und dann brachte Brian Bertram uns doch noch zu unserer Löwenjagd – der Abend brach herein über der Serengeti, eine Gruppe Weibchen löste sich vom Löwenrudel und ging auf Büffeljagd – gemeinsam machten das die tapferen Damen, killten die Beute, und wer war zuerst am Fleischtopf: die Männer natürlich, wie immer. Und die Kleinen kamen zuletzt, manche verhungerten, The Social Cat
wurde ein wunderbarer zu Herzen gehender Film, sogar die Amerikaner mochten ihn.
12.000 Kilometer weiter im Norden auf den einsamen Lofoten hielt Beat Tschanz dem Kameramann sein Privatissimum über das Klettern im Allgemeinen und über Trottellummennester im Besonderen. Passen Sie auf, ich hab schon zwei Assistenten hier verloren, es ist rutschig!
Der Professor hing mit Rucksack an der lotrechten Wand, 180 Meter über dem Abgrund und sammelte die Eier der Trottellummen von zentimeterbreiten Simsen. Später in der Bretterbude, die ihm als Labor diente, würde er den Küken in den Eierschalen die Rufe der Eltern vom Band vorspielen und prüfen, ob sie den Klang der elterlichen Stimmen auch noch erkannten, wenn sie auf den Simsen hockten und auf Nahrung warteten, welche die überanstrengten Eltern heranschleppten. In der Universität Leiden filmte Peter mit erheblichem Aufwand das Revierverhalten des dreistracheligen Stichlings im Aquarium. Drei Stichlinge waren seine Schauspieler: Harry, Joe und John. Alles war fast im Kasten, ein Assi reinigte das Aquarium – John war weg! Alles blieb stehen, grauenvoll, Katastrophe, können nicht weiter… Ein Handwerker machte sich zu schaffen an den Wasserrohren – und murmelte: da ist er ja! John hatte sich versteckt, mochte wohl nicht länger gefilmt werden, wir jubelten, hätten ihm gern einen Kranz gewunden.
Ein verrücktes Volk diese Tierfilmer und -forscher. In seinem Film Mein Freund der Austernfischer
bewies der Ethologe Niko Tinbergen, dass die hübschen Vögel über zwei höchst wirksame Techniken verfügen, mit denen sie Muscheln öffnen, um an das leckere Fleisch zu gelangen: Das Stechen und das Hämmern, und diese Kunst vererben sie auf ihre Nachkommen. Dies genau hat Peter gezeigt. In seinem Filmwerk Signals for Survival
, der einen italienischen Filmpreis gewann, zeigte Tinbergen, dass es der rote Fleck am Schnabel der Silbermöwe ist, der das Überleben der Küken sichert, sie picken am roten Punkt und die Möwe würgt den Nahrungsbrei hervor. Überpinselt man den Fleck, verhungert die Brut. Das filmte Peter vom Hide. Sein Freund Hugh Falkus wanderte derweil in den Dünen von Walney Island und diagnostizierte jede Spur im Sand, ob Igel oder Schlangen oder Füchse, die eben junge Kaninchen verspeisten. Erik Zimen hütete eine Wolfsgruppe im Bayerischen Wald, er wurde von seinen Wölfen, auch vom Leitwolf Näschen, als Boss anerkannt, so lange er sich wölfisch korrekt verhielt, sie mochten ihn, und er verstand ihre Gruppenkämpfe und die sorgsame Aufzucht der Kleinen. Manchmal trafen sie sich am Waldesrand und heulten gemeinsam den Mond an. Jürgen Nicolai hielt Zwiesprache mit seinem Dompfaffen, der das Lied Der Jäger aus Kurpfalz
fehlerfrei sang. Er wurde zum Leitvogel für eine ganze Filmserie. Peter Parks fahndete zwischen den steilen Uferfelsen der Gezeitenzone nach geöffneten Napfschnecken und anderem nassen Kleingetier, das er für seinen Film über das Überleben in der Gezeitenzone brauchte. Uwe Schmidt fing Stubenfliegen und fand heraus, warum sie schneller flüchten, als wir zuschlagen. Der Meeresforscher Hans Fricke tauchte im Roten Meer und beobachtete Röhrenaale bei ihrem täglichen Tun auf dem sandigen Meeresboden.
Chefkameramann Peter Fera mit Tonmeister Folker Winkelmann bannte alles Kreuchende und Fleuchende auf seine Filme, ohne Rücksicht auf Menschen und Verluste und auf sich selbst, wenn die Moskitos am schlimmsten stachen. Im westlichen Urwald Afrikas gelangen ihm seltene Aufnahmen wilder Schimpansen, wie sie laut brüllend und mit Steinen und Knüppeln werfend gegen einen Leoparden kämpften. Sein Film Unsere armen Vettern
lief um die Welt. Erwin und Edith von Dessauer begaben sich mit ihrem VW Bus an die Südspitze Argentiniens. An die Punta del Norte, in eine Gegend, wo nicht einmal Füchse sich Gute Nacht sagten, so einsam. Nur See-Elefanten, tonnenschwer, mit ihren viel kleineren Weibchen kämpften blutüberströmt um die Vorherrschaft über den Harem und kopulierten lautstark. Und verschwanden wieder im Ozean.
Man konnte kaum ordentliche Tierfilme machen, ohne vorstellig zu werden bei den Naturwissenschaftlern der BBC in Bristol. Die hatten 1953 mit ihren Tierfilmen begonnen und manche Preise eingeheimst. Dort saßen die wahren Künstler, wie David Attenborough, dort gab es das weltweit größte Tierstimmen-Archiv. Ich traf die Bristroler Mitte der 60er Jahre. Man hatte eben was Skurriles entdeckt und fuhr mit mir nach Longhanborough. Dort lebten viele freundliche Blaumeisen. Wie in Großbritannien üblich bekamen die Bürger ihre Milch vor die Haustür gestellt. Eine kühne Blaumeise hatte herausgefunden, wie man mit dem Schnabel die Staniolkappe der Flasche aufpickt, um an die leckere Sahne zu kommen. So hatte sie bald ein Sahnehäubchen auf dem Kopf. In kurzer Zeit fanden alle anderen Meisen den Trick raus und die Hausfrauen riefen um Hilfe. Ein anderes Beispiel für mich: Im Zoo stand ein schön bunter Eisvogel. Besucher pflegten ihm Brotkrumen zuzuwerfen, in der Hoffnung, er würde sie aufpicken. Das tat er auch, aber nicht für sich, er warf das Brot in den Teich und lauerte, bis kleine Fischlein es aufschnappten – und schon hatte er einen fetten Bissen. Spitzfindig muss man sein, auch in der Tierwelt, die Engländer grinsten wissend.
Ihnen war geläufig, dass es den Tierfilm gibt, solange Filme existieren, seit 1895. Sie alle anzuschauen ist eine Lebensaufgabe. Und es gibt herausragende Beispiele. 1934 drehte der englische Zoologe Julian Huxley den faszinierenden Film The Private Life of the Gannets
, das Privatleben der Tölpel. Dieser Streifen gewann als erster Naturfilm einen Oscar. 1959 schuf Eugen Schumacher Die letzten Paradiese
, drehten Hans und Lotte Hass ihre Abenteuer im Roten Meer
und ihre Bekanntschaften mit bösen Haien. Walt Disney schrieb Tierfilmgeschichte mit The living Desert
. Einer der zehn besten Tierfilmer aller Zeiten ist der Südafrikaner Alan Root, der den grandiosen Film schuf The African Lion
, und von dem die grausigen Aufnahmen stammen von den Krokodilen, die meterhoch aus dem Wasser springen und die Gnus in den Tod zerren – das hatte man nie gesehen. Mitte der 50er Jahre entdeckte auch das Fernsehen den Tierfilm, so entstanden Sielmanns Expeditionen ins Tierreich
und Schumachers Auf den Spuren seltener Tiere.
Nicht zuletzt Grzimeks Die Serengeti darf nicht sterben
. Wundersam ironisch und doch tief beteiligt bot Horst Stern dem Publikum mit rostiger Stimme ausgerechnet zu Weihnachten 1971 seine Bemerkungen über den Rothirsch
(alle Förster bekamen Herzinfarkte), ach und seine beiden zauberhaften Spinnenfilme Leben am seidenen Faden
und später die Serie Sterns Stunde
. In die Herzen der BBC-Seher schrieb Chris Parsons sich mit seinem Film The Major
, die Geschichte einer riesigen uralten Eiche mit all ihren Bewohnern und Teilhabern, von der Raupe bis zum Greif, vom Eichhörnchen bis zu den Kindern, die unter der Eiche spielten.
Heute ist der Tierfilm kaum noch spannend, belehrend oder aufregend, er ist Teil des großen Film- und Fernsehmarktes. Kommerzielle Verkaufsorganisationen wie BBC Enterprises und Wild Median machen das Geschäft. Doch wenn Ernst Arendt und Hans Schweiger ihren Film zeigen über die Schneeaffen in Japan, bin ich wieder hin und weg. Und denke: der Tierfilm wird nie sterben!