Skizzen aus der Archäologie
Trasse durch die Vergangenheit
Buschow ist ein Dörfchen in Brandenburg, klein, unbedeutend, hässlich – aber der Ort archäologischen Geschehens. In Buschow nämlich waren Fachleute damit beschäftigt, sogenannte Notgrabungen zu veranstalten. Weil hier die breite Trasse der neuen ICE-Linie Hannover-Berlin verlaufen sollte, musste festgestellt werden, welche Siedlungsreste und kostbare Bodendenkmäler aus der Eisenzeit und der Zeit der Völkerwanderung man durch die Bauarbeiten zerstören würde. Die jungen Archäologen arbeiteten so rasch sie bei der mieseligen Witterung mit Regengüssen konnten. Sie deckten Siedlungsreste auf und wieder zu, sammelten Scherben, die dann zusammen geklebt und katalogisiert wurden. Zum Essen trafen sich alle im alten Bauernhaus bei Pellkartoffeln mit Heringsstipp. In Markau standen wir in einer Siedlung aus der vorrömischen Eisenzeit, wie uns der junge Archäologe erklärte. Solche Siedlungen findet man, indem man auf die Bodenverfärbungen achtet, die sich in den hellen Sandböden abzeichnen. Vor uns lagen Pfostengruben, also Standspuren ehemaliger Gebäude, in diesem Fall die eines zweischiffigen Hallenhauses, das sehr groß war, wie man aus dem System der Profilstege erkennen konnte.
Nebenan machte Martina der Freundin vor, wozu ein steinerner Spinnwirtel gut ist, und sie fühlte sich mitten drin im Alltag der Germanenfrauen, wie sie ihre Wolle spannen für Rock und Hemd. Sandra nahm zu Protokoll, was die Spaten freilegten. Ihre Zeichnungen waren deutlicher als flüchtige Fotos, denn sie malte mit den Augen des Archäologen. Rasch noch ein Grubenprofil, bevor der Bagger es abräumt.
Bei Nennhausen hörte man den Zug schon von weitem auf dem schmalen Bahndamm kommen. Hier standen wir auf einem ehemaligen Niedermoor, auf einem feuchten Standort also. Dieser war dicht besiedelt in der späten Bronzezeit, also 1000 – 800 vor Chr., erklärte der zuständige Archäologe. Die vielen Gruben, die wir sahen, waren Reste von Hausfundamenten, von denen so viele gefunden wurden, dass die Archäologen sich fragten, wie eng die Leute gehaust haben mögen. Am angeschnittenen Boden konnte man sehen, dass es verschiedene Horizonte gab, Vorratsgruben und Werkgruben, überdeckt von einer Brandschicht. Darüber eine zweite Schicht, also verschiedene Horizonte, verschiedene Terra
, wo Leute gegangen sind, wo sie gearbeitet haben.
Auf einer weiteren Grabung befanden wir uns an der Stelle einer Siedlung aus der Zeit um 400 nach Chr. Die Archäologen wussten das so genau, weil sie viele Brunnen ausgegraben hatten. Das Holz der Brunnenverkleidung konnten sie mit Hilfe der Jahresringe datieren. Da war die Verfüllung des nicht mehr genutzten Brunnens, an der sie auch die Pollenanalyse einsetzen konnten und die Dendrochronologie, und sie erhielten ein sehr komplexes Bild von den Gehöften aus der Völkerwanderungszeit. Sie mussten sich beeilen und rasch weiter graben, in Makau, im Kreis Nauen, bei Neugarten, in Groß Wudicke, die meisten Siedlungen stammen aus der Bronzezeit. Die Bahn drängelte, die Trasse musste in Angriff genommen werden, die Trasse durch die Vergangenheit.
Es war eine alte Bergstadt
Freundliche Archäologen in Dresden wiesen uns den verschlungenen Pfad ins Erzgebirge. Nach einigem Suchen und Fragen fanden wir mitten im Hochwald – nichts. Doch unsere Archäologen deuteten listig auf Mauerreste unter dem Laub. Herr Schwabenicki, aufgewachsen unter der Ägide des DDR-Systems, misstrauisch den Westlern gegenüber, klärte die Unwissenden auf: Dies ist nicht irgendeine Grabung, meine Herren, dies ist der Treppenhauer, und es handelt sich um die Reste der mittelalterlichen Bergbaustadt namens Bleiberg, gegründet im 13.Jahrhundert.
Damals betrieb man einen sehr ergiebigen Silberbergbau. Die hier geprägten Münzen findet man in ganz Europa. Bergleute, Bewohner, Händler und Handwerker wurden reich. Nicht lange. Das 14.Jahrhundert erlebte den Ausbruch der Pest von 1349-1350. Ein Drittel der Bevölkerung wurde dahingerafft. In Mitteleuropa herrschte eine Wirtschaftskrise. Die noch lebenden Menschen hatten mehr Edelmetalle als je zuvor und der Silberpreis fiel ins Bodenlose. Der Bergbau ging zugrunde. Bleiberg verfiel zu Ruinen.
Ursula Schneeberger erzählte, an den Baum gelehnt, die Sage des Ortes. Am rechten Ufer der Zschoppau, in unmittelbarer Nähe des Dorfes Sachsenburg, liegt der Treppenhauer, ein Berg, auf welchem in alten Zeiten eine Burg gestanden haben soll. Der alte Burgherr, so erzählt die Überlieferung, hatte zwei Söhne, ehrenhafte und mutige Ritter.
Wir erfuhren nie, wie das Märchen endete. Tönerne Spinnwirtel zeigte man uns und Töpfe aus der Bergmannsküche, auch Gegenstände aus dem damals sehr teuren Glas, und natürlich die schön geprägten Silbermünzen. Kerstin Eckstein kannte sich aus mit den Mineralien. Das hier im Revier vorkommenden Bleierz wird nach der Gewinnung in kleinen Öfen verschmolzen. Aus den Bleiglanzbrocken gewinnt man Blei und aus dem Bleibrocken wird das Silber ausgebracht – und daraus Münzen geprägt.
Pfennige nannte man die Münzen damals, sie waren einseitig geprägt und nur ein Jahr gültig, dann schmolz man sie um. Und die Silbermetropole schützte man mit Wällen und Gräben, man sieht sie noch im Wald. In der Nähe steht ein Freilichtmuseum, wo man die verschiedenen Haustypen der Bergmannszeit nachgebildet hat. Recht wohnlich bei den brennenden Scheiten im Ofen. Nun ja, es war halt eine alte Bergstadt.