Rhodia Mann und die Mode Afrikas
Ankunft Nairobi in flirrender Morgensonne. Der Duft afrikanischer Erde drängte sich in meine Seele, richtete freudiges Magenrumoren an. Neugierig wanderte der Europäer durch die Straßen. Wo in den 70ern noch adrette weiße Kolonialhäuschen standen, ragten nun Wolkenkratzer. Die afrikanisch-britische Kleinstadt war zur Metropole geworden mit Betonkästen und Bretterslums. Im Villenviertel fand ich die imposante Gründerzeitvilla des FAO-ExpertenFAO: Food and Agriculture Organization Dr. Mann. Er empfing mich mit jovialem Lächeln. Seine Leidenschaft waren pornografische Sprüche, mit denen er seine leicht gequälte Umgebung unterhielt. Das Haus bot das Ambiente eines ethnologischen Museums, Wände und Böden bedeckt mit Masken, Strohteppichen, Gewändern in Leinen und Leder, Waffen in Holz und Eisen, Schmuck der verschiedenen ostafrikanischen Stämme. Ich wanderte umher, ließ mich einfangen von der vertrauten Fremdheit. In der düsteren Bar des Hotels langweilten sich schwarze Schönheiten in weißen Wollgewändern, unaggressiv, zufrieden mit dem gespendeten Tuskerbier – immer bereit, dem weißen Mann dienstbar zu sein gegen Bares.
Im Presse-Office an der Hauptstraße ging es britischer zu als das Empire erlaubt, dunkle Flure, schmutzige Türen, hastig tuende Sergeants, Wartende. Im Vorzimmer der Presseoffizierin zwei schwatzende Sekretärinnen, doch die schwarze Dame von der Presse, in schmucker Uniform, reichte mir liebenswürdig die nötigen Papiere. Ich ließ mich durch Nairobi fahren auf der Suche nach Motiven zur geheimnisvollen Geschichte der Mode. Ich wand mich durch die bunten Textilstraßen mit den Baumwolltüchern, die lebhaften Stoffmärkte, die Armenviertel. In der Hotellobby hockte meine Fachberaterin, Rhodia Mann, beim britischen Tee, die patente, braungebrannte, erstaunlich kämpferische Farmersfrau, deren Gesicht verriet, dass sie viele Stunden im Landrover und im Busch zubrachte. Rhodia führte bewegte Klage, dass Filmleute immer zu wenig Zeit mitbrächten für das große Land und zu wenig Geld für Honorare und Tagesspesen und Benzin. Rhodia kannte die Menschen unter den Massai und den Kikuyu gut und war dabei, mit Begeisterung und handgewirkter Kenntnis ein Kochbuch zu schreiben mit Rezepten, nach denen ostafrikanische Stammesfrauen zu kochen pflegten. Der amerikanische Verleger erhoffte sich davon ein gutes Geschäft bei Leuten, die nicht nur gekochten Kohl mochten.
Wir nahmen den Aperitif im Stanley-House, wo sich die High Society von Nairobi in stilvollen Roben beobachten ließ und wanderten hinüber in den weitläufigen Uhuru-Park, wo Menschengruppen auf weitem Rasen und an bunten Teichen lagerten. Hier sollte übermorgen Madaraka
stattfinden, das große staatlich befohlene Volksfest. Die Nacht währte kurz, denn die Tuskerbiere in der schwarzen Bar flossen kalt und die Kehlen waren trocken.
Rhodia berichtete morgens, die Massai würden bei unserem Vorhaben wohl mitmachen. Am späten Nachmittag verführte eine tiefschwarze Dame, die in der einbrechenden Dunkelheit kaum zu erkennen war, mich zu einem geheimnisvollen Ausflug. Ein Taxi wurde gerufen, die Fahrerin grinste wölfisch-wissend. In schwarzer Nacht ging es vor die Stadt. Ich versuchte, draußen irgendwelche Markierungen zu erkennen, vergebens. Fahrerin und Begleiterin guckten sich an und sagten ... soon we will be there...! Na ja, kidnapping wird hart bestraft. Halt unter Akazien. Ein Schakal jaulte fern. Drinnen: niedrige Decke, kleine hölzerne Tische, Tierfratzen ... man hatte mich ins lokal-berühmte Restaurant mit dem passenden Namen Carnivore
gelockt. Meine schwarze Lady hatte Hunger. Männer mit Fleischspießen legten vor: gebratene Antilope, Nilpferd, Schildkröte, Warzenschwein.... wir haben jeder wohl drei Pfund diverser Fleischsorten fast ohne Zutaten (eben Carnivore) gegessen und mit Rotwein hinuntergespült. Mir wurde blümerant, und als die Lady im Taxi ihre langen Hände versprechend auf meine Hosenbeine legte, fiel mir Dringliches dazu nicht mehr ein. So schieden wir als Freunde carnivoren Fleisches.
Mühsam quetschten wir uns in den winzigen Leihwagen. Stunden rumpelte das Gefährt mit uns über Landstraßen. Das Land war fruchtbar, quoll über von Gemüse und Obst. Satte braune Erde überall. Halt in Tree-tops vor dem Outspan-Hotel, mit Haufen von Touristen und kitschbeladenen Tischen. Von der Kaffeeterrasse blickte man weit ins Land bis zum majestätischen Mount Kenya, der sein Haupt in Wolken gehüllt hatte. Hinter hohen Strohzäunen ein kleiner Platz, Rasenfläche. Holzbänke. Bald kamen die wildbemalten Kikuyus. Und tanzten für die Kamera. Einer zitierte:
Einst war das seltene Leopardenfall sichtbares Zeichen der Häuptlingswürde und den Stammesfürsten vorbehalten. Heute tragen die Kikuyu Frauen tagsüber Jeans und Acryl-Pullover. Doch Touristen wollen echtes Schwarzafrika. Und so verkleiden sie sich einmal am Tag und tanzen mit den Männern vier oder fünf der alten Stammestänze, jeder mit eigenem Namen und seiner besonderen Bedeutung. Viele Tänze dieses größten Volkes in Kenia wurden früher getanzt, um die Beschneidung der Jungen und Mädchen, also ihren Eintritt in die Welt der Erwachsenen, zu feiern. Das ist schon lange her.
Der Boss dieser Gruppe brauchte Monate, um die Tanzfiguren und Liedertexte originalgetreu einzuüben. Es bleibt Theater, Show, Erinnerung an eine Vergangenheit, in der Leder und Fell zum Alltag vieler Völker gehörten. Wer die Wandlung zum Europäischen bedauert, hat eines noch nicht verstanden: Dort, wo der Schwarze Kontinent unabhängig wurde, lehnt er seine eigene Volkstümlichkeit ab, weil sie ihm primitiv erscheint und ihn an die Zeit der Unterdrückung durch die Kolonialherren erinnert.
Stop im alten Dorf Nyeri. Eine Orgie von Farben auf dem riesigen Stoffmarkt, der Kameramann drehte, und Rhodia bewachte den Wagen vor Dieben.
Über schlechte Straßen ins Rift Valley, die allen Paläontologen heilige Stätte ehrwürdiger Fossilien. Ungezählte Knochen fernster Vorfahren hatte man hier schon gefunden. Heute sah man nur Paviane und Impalas. Und die Einfahrt in den Lake Nakuru Nationalpark. In der modernen Lodge wartete der schwarze Besitzer im schwarzen Anzug und servierte Trinkbares. Es erschienen die verabredeten Massai, und es sah nach Regen aus. Und alle trugen Baumwolle – es gab ein Palaver, denn die Massaimädchen wollten die von uns mitgebrachten alten Lederklamotten beileibe nicht anziehen, was das Drehbuch aber vorsah, sie fanden das blöd. Die frustrierte Rhodia tobte in Suaheli und Englisch und zog dem Manager die Hälfte des Honorars ab, was der nicht mochte. Es blieb keine Zeit, die farbtrunkene Kulisse zu bestaunen – den glänzenden Nakurusee, davor die Schwärme von Geiern, die sich um die Brocken auf dem Müllplatz stritten.
1.Mai. Freiheitstag, Madaraka-day. Wir waren mit dem frühesten vor Ort. Präsident Moi auf der geschmückten Tribüne hielt eine aufmunternde Rede im Sportstadion vor tausenden seiner Untertanen, die verhalten jubelten. Tanzgruppen in den buntesten Gewändern aus allen Stoffen paradierten vor dem Staatsoberhaupt. Frontabschreiten, Ehrenkompanie in rot, Musikcorps, Massenchöre. Der Kameramann eilte über den weiten Platz und drehte bunte, lebhafte Szenen.
Danach ins Haus des Dr. Mann, wo das reizende, sehr junge Model mit Rhodias Hilfe nacheinander in sieben verschiedene modische Ledergewänder gehüllt und auf dem Wagendach des Landrovers dekorativ gefilmt wurde. Als Kontrapunkt zu den wilden Kukuyus.
Am Bahnhof stand wartend der uralte, hübsch restaurierte Kolonialexpress Nairobi-Mombasa. An weißen Damasttüchern sitzend, bewunderten die Gäste das Abendrot über der Savanne, während der Zug durch eine sich ständig wandelnde Landschaft keuchte. Wohltuender Schlaf im weißbezogenen Bett aus Mahagoni. Einfahrt in Mombasa . Das Frühstück im historischen Speisewagen britisch-vorzüglich. Wir wanderten durch die romantisch verwinkelte, alte Stadt, betrachteten die Burg, fuhren mit einem freundlichen Driver durch die Gassen und drehten lebhafte Szenen von Frauen und Kindern auf den Märkten und in den Straßen, Illustrationen zur fremdartigen, stark vom Islam beeinflussten Mode, vor allem bei den Männern mit dem traditionellen Fez.
Im Hotel waren uns 400 Mark gestohlen worden, und der Detektiv fand den Dieb nicht, wieso auch. Man schrieb eine Bescheinigung für den Zoll. Rhodia erhielt ihr wohlverdientes Honorar, sie hatte in der kurzen Zeit mehr für das Gelingen des Films getan, als man bezahlen konnte. In Frankfurt wurde die Zeit knapp, der Marathonlauf über lange Gänge zur Londonmaschine, abflugbereit, aber freundlich wartend. Es würde weiter gehen nach Manchester – wo die Baumwolle einst regierte und das Empire trug.