Eine denkwürdige Reise
15 November 1978. Die geräumige Maschine der SA 250 Frankfurt-Johannesburg ist nur mäßig besetzt. Nach dem Take-off lassen sich schmale Sessel um zwei oder drei andere verlängern, Kreuz und Füße schonend in den toten Stunden. Der Lautsprecher verkündet Grüße, Flughöhe und Tempo in den geläufigen Sprachen. Grau-rosa Stewardjacketts feilbieten Hörrohre für Musik und Film und fragen den Sir nach seinen Trunkgewohnheiten. Foliogroße Speisekarten versprechen Genüsse aus diversen Küchen. Rotgelackte Finger schieben schwere Kastenwagen durch schmale Gänge, speien fließbandgepackte Gerichte aus, hygienisch, lauwarm, geschmacksarm und steril. Abräumen, zurücklehnen. Weißes Kissen für den Kopf, plastikversiegelte Buntdecke für das Gegenteil. Dösen im Brummen der Maschinen und Summen ferner Gespräche. Kinderlachen. Hinter den verglasten Luken verdämmert der Tag. Geographie wie man sie lernte, verliert ihre Gültigkeit – wo sind wir? Aber das ist ja keine Reise, kein Fahren, um zu erfahren. Menschen als Frachtgüter, eng gepackt wie die Koffer unten im Bauch, das Ziel die Ankunft. Kein Erinnern. Was heißt schon Seele, wenn es um IATA und ihre Preise geht.
Pauschal die Preise, pauschal die Fracht, tote und lebende. Gefletschtes Gebiss deutet verordnete Steward-Passagier-Gesinnung an. Müde. Die Fensterluken täuschen, hinausschauen, wo es nichts gibt als den feindlichen Raum, der den Menschen tötet, wäre er nicht eingeschlossen in der Kapsel aus Metall – Gefangener. Welche Anpassung für Seele und Verhalten, nicht zu schreien nach Luft, wegwollen. Dann löscht man das Licht, lässt Leinwand herab, klappt Apparat aus der Decke. Streifig und knatternd flimmert uralter Chaplin-Film. Deshalb die Röhren, denn nur sie bringen den Ton zum Bild. Wesen huschen durch die Gänge, bringen fort und heran, sorgend um das Wohl der Schützlinge. Die letzten warten vor dem Klo, wo blaue Chemie sich der lagernden Reste annimmt. Ruhe im Schiff, alle Geister geh zu Bett! Nur die vorn im Cockpit wissen, wie es weitergeht. Mitternacht. Geisterstunde. Geklirr hebt an, Füße trampeln, Schreie. Die große Maschine sackt, fällt, fängt sich, schaukelt und stampft wie das Schiff im Meer. Ein Unglück? Überfall? Benommene Blicke aus den Luken in die schwarze Nacht. Ich fuhr heftig zusammen, als ein greller weißglühender Blitz dicht an der Bordwand vorbei irgendwo nach unten rauschte. Quirlende Wolkenfetzen. Ach - nur ein Gewitter. Wo sind wir? Kongo? Äquator? Dann mag es wohl sein, ein Tropengewitter, aber bis hinauf in die sichere Höhe von 11000 Metern? Vertrauen in die Technik, von Kind auf gelernt, weicht der Angst vor Kräften, die viel stärker sind. Erinnern: Wie ist das im Fall der Fälle? Sauerstoffmaske – Schwimmweste, Notausgänge? Ob Panik entsteht? Kann man da unten schwimmen, wie lange? Kommt man überhaupt an? Draußen schwingen die riesigen Flügel, als wollten sie helfen auf der Flucht vor der Schwärze. Bald tritt Ruhe ein, aber der Reisende träumt noch lange von dem, was hätte sein können. Und hätte fast die Küste übersehen im ersten Dämmern.
Rote Wellen endlosen Sandes, Fortsetzung so scheint es der Wellen des Meeres auf das Land. Südafrika? Südwest wohl besser. Die Namibwüste, Todeswüste, Diamanten, Schutztruppe… Lüderitz – Lettow-Vorbeck. Bald dann flache Halbwüste mit Tafelbergen wie Knoten auf leinenem Tuch, das Gebänder wasserloser Flüsse, dünne Straßenstriche. Ins graublaue übersetzte Landkarte, die Konturen lupenscharf in der frühen harten Sonne. Leerer Himmel. Die Maschine fällt. Auf dem schneller vorüber ziehenden Land kann man schon graue Bäume sehen und Büsche. Ganz still steht eine braune Gazelle da, als ob sie abwartet, bis der graue Raubvogel verschwunden ist? Knirschendes Aufsetzen auf der Piste, ausrollen, stehen. Große Buchstaben auf kleinen Gebäuden nennen den Namen: Windhoek. Hauptstadt von Südwest. Durch offene Türen weht der warme Duft Afrikas, jener Duft nach Erde und Gras und Sand, der sofort die vielen Bilder des Kontinents ins Bewusstsein drängt, Bilder früherer Reisen, fast vergessen. Dieser Duft trug bei zu dem Wort, dass immer wiederkehre, wer einmal in Afrika war. In Windhoek steigen ein paar Leute aus und andere ein. Im kleinen Warteraum bietet der deutsch sprechende Kellner mäßigen Kaffee, eine Gruppe Japaner schart sich um die Auslagen einheimischer Kunst. Die ersten Fotos. Aber Flugplätze sind seelenlos und das Hinterland weit.
Inzwischen wurde es Donnerstag. Ein Hüpfer, verglichen mit der Reise bisher. Und wieder Landung. Johannesburg. Großstadt mit Großflugplatz. Vor viele Länder haben die Götter den Pass gesetzt, doch hier ganz besonders. Vier, Fünf Schlangen (weißer Reisenden) bilden sich flugs in der kahlen Ankunftshalle, betont geduldig wartend vor winzigen Schaltern, wo hinter Wänden versteckt weißgekleidete weiße Polizisten die ausführliche Lektüre aller einzelnen Seiten aller Pässe pflegen. Das Misstrauen lugt aus Ecken und Gesichtern. Will hier jemand unbotmäßig und gänzlich unerlaubt einwandern, um teilzuhaben an der gesegneten Zivilisation des gelobten Landes? Hat auch jemand vergessen, den Rückflug im Voraus zu bezahlen, um so der Regierung zur Last zu fallen? Hat vielleicht gar keine Adresse? Die 15 Meter vom Ende der Schlange bis zur Barriere der Weißgekleideten können in einer Stunde überwunden werden. Das Gepäck ist längst da, der Karren mit der Werbeaufschrift bringt es zum Counter, wo man Wagen mietet. Formalitäten sind bald erledigt, im Keller wartet der schwarze Boy und zeigt auf den gelben Golf. Abenteuer der Fahrt. In Südafrika mit seiner Apartheid denkt man rechts, fährt links, aber rechtsgesteuert. Das will geübt sein. Mäßige Stadtkarten führen falsche Wege, aber irgendwann ist das gebuchte Hotel gefunden, der Wagen geparkt, Schlüssel ausgehändigt und der wieder schwarze Boy bringt das Gepäck in große Zimmer, wartend auf den Obolus.
An der dunklen Bar grölen jüngste Zecher und gießen große Gemäße hellen Bieres in die Kehlen. Weiße unter sich. Die schwarzen Gesichter gehören dienstbaren Geistern, die Getränke bringen, Gläser räumen, spülen. Trinken tun sie woanders. Ihre Gesichter verraten nicht, was sie von ihren weißen Jungherren halten, oder denken sie lieber gar nicht? Die Nacht ist unruhig, von unten tönen die trunkenen Rufe, röhren Motorräder bis in den Morgen.
Freitag, 17.November. Erster Ausflug nach Karte und Instinkt zurück zum Flughafen. Das Gepäck muss aus dem Zoll geholt werden. Was immer Behörden erfinden können, um es auch ganz bestimmt ganz schwierig zu gestalten, hier wurde es zur Perfektion entwickelt. Bis hin zur kleinen Briefmarke, die auf einen bestimmten Abschnitt eines bestimmten Formulars gehört und nur zu bestimmten Zeiten auf einer bestimmten Post zu erwerben ist. So vergeht ein Vormittag. Über die Autobahn im vorschriftsmäßigen Tempo von 90 km/h nach Pretoria, der Hauptstadt des Landes. Pretoria ist fast gemütlich im Vergleich zur hochhausstrotzenden Handelsmetropole Johannesburg. Baumbestandene Straßen, backsteinerne Gebäude, Parks, ein bisschen Erinnerung an die berühmte Geschichte vom großen Treck. Denkmäler von Männern, die irgendetwas sehen oder suchen oder gefunden haben. Wuchtig im bunten Park das Museum. Düstere Hallen voller Relikte aus vergangenen Zeiten des Lebens. Im Erdgeschoß ein großer Raum mit riesengroßem Tisch. Tassen und Töpfe und Kannen. Regelmäßig zur englischen Teatime versammeln sich die Mitglieder des Stabes hier. Aber der Tee ist gut. Schilder an den Türen verraten Rang und Namen des Insassen. Mich empfängt eine gereifte Schönheit, Dr. Elisabeth, kürzlich befördert zur Leiterin der Paläontologischen Abteilung, eine bedeutende Dame also. Also ich habe wenig Zeit, wir können uns unterwegs weiter unterhalten, muss die Tochter abholen von der Schule. In den Mercedes also, zitronengelb und groß und neu. Statussymbol in einer Welt, deren höchster Status immer noch das depigmentierte, weiße Gesicht ist. Und natürlich Geld, um die Kinder in teure Privatschulen zu schicken, damit sie früh schon geprägt werden auf das künftige Herrenleben. Und das Töchterlein wurde zur Villa gefahren mit der Mahnung, auch ja gleich ein Bad im Swimming-Pool zu nehmen. Erst nach dieser Mutterpflicht konnte wieder die Frühzeit ins Bewusstsein gerückt werden.
Um 10 Uhr am Walfisch. Dieser hängt riesig und ganz weiß und dekorativ aber irgendwie fehl am Platz an der rechten Frontseite des klassizistischen Museumsbaus. Elisabeth hat den Gatten mitgebracht, einen ruhigen Ingenieur, dazu eingeladen eine befreundete Familie mit Kindern. Und ein paar Hunde. Mit drei Autos marschiert die Kolonne hinaus über unbelebte Landstraßen, bis es irgendwo links abgeht. Angestrengt mühen sich die Stadtwagen steinige Dornenwege hinauf und hinab, bis es nicht mehr weitergeht. Sonntäglich gewandet marschieren alle das letzte steile Stück – nur wenige achtend der so eigentümlich anderen Landschaft, erinnernd an graue Frühzeiten, als Homo habilis ängstlich schnatternd hier umherlief, immer auf der Flucht vor falschen und echten Säbelzahntigern. Rotgesichtig von Hitze und Lauf, den großen Sonnenhut schlenkernd in der Hand kann es Elisabeth kaum erwarten, ihrem Publikum ihre Höhle vorzuführen, wie eine Geburtstagstorte. Sie hat das hier vor kurzem entdeckt und hat schon entschieden, dass man graben wird und sie sieht sich bereits in der Nachfolge der erlauchten Vorbilder Dart und Broom. Den Dolomit erläutert sie uns und die schöne Breccia mit den auch dem Laien erkennbaren Einschlüssen. Mindestens eine, wenn nicht zweieinhalb Millionen Jahre ist die Höhle alt, die Periode früher Menschenevolution. Mit ein bisschen Glück hofft sie schon bald den Südaffen Australopithekus, vielleicht gar Werkzeuge zu finden. Dann geht es wieder hinunter an die Stelle, wo die Wagen nicht weiter konnten. Holz wird gesammelt, kleingehauen, Steine zum Rund geschichtet, Feuer entzündet. Männer, Frauen und Kinder und Hunde lagern sich wie es ihnen passt, Dosen werden geöffnet, Kofferräume geleert. An alles hat man gedacht, ist es gewöhnt, so zu lagern irgendwo im weiten eigenen Land. Who cares? Von den Schwarzen spricht man nicht, sie sind nicht existent, höchstens eine akademische Fußnote.
Elisabeth, warum sind Sie Anthropologin geworden?
That you mustn’t ask me. Ist just a matter of chance, ich glaube es würde mir alles Spaß machen. Wissen Sie, I like the ides of doing scientific research and of trying to work at the boundary of where peoples knowledge reach. I would be as happy investigating modern spiders, I would be very attractive to Genetics, behaviour. I happened into this because we have this Transvaal Museum here and I was looking for something to do. I like to find out for the sake of finding out-
Könnte diese Art der Forschung vielleicht zur Erkenntnis unserer selbst führen?
Ja, zum Beispiel kommen viele Leute zu uns, die sind Vegetarier and they are terribly chocked to find out that the origin of man is not a vegetarian origin but is a meat eating origin, and that therefore genetically we are capable of eating meat and enjoying it
. Ihre Begeisterung lässt sie Augenzeuge sein, Jahrmillionen schrumpfen zu Tagen. Sie sieht das wie einen Film vor sich. Sie ist belesen im englischen Sprachraum, von deutschen Autoren hält sie wenig, kennt sie kaum. Allan Manns Studie über den Zahndurchbruch bei Mensch und Schimpanse ist wichtiger, dies und die Hirnentwicklung, die für sie den Markstein darstellt für den Übergang zum handelnden gestaltenden Wesen. Von dem Gerede über die Ökokatastrophen hält sie wenig, da ist sie ganz weit weg von Europa und Amerika, geborgen wie ihre Freunde in der splendid isolation des fernen Südafrika, des Paradieses für den weißen Mann.