Eine Reise in die Sächsische Schweiz 1993
Nachdem die Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR gefallen und die Deutsche Einheit am 3. Oktober 1990 vollendet war, fuhren mein Mann und ich erstmals in die neuen Bundesländer
, wie man jetzt sagte. Zuerst besuchten wir die Orte, in denen mein Mann seine Kindheit verbracht hatte. Seine Familie wurde 1945 aus Schlesien vertrieben und ein Teil davon ist in Hessen gelandet, seine Eltern aber waren in Brandenburg hängengeblieben, wo er auch zur Welt kam. Als Zwölfjähriger ist er 1958, noch vor dem Mauerbau, mit seiner Mutter in den Westen zur Restfamilie rübergemacht
.
Nach dieser Fahrt in die Vergangenheit besuchten wir anschließend die Urlaubsorte, an denen mein Mann mit seinen Eltern die Sommerferien verbracht hatte. So fuhren wir 1993 auch in die Sächsische Schweiz
. Unser Ausgangspunkt war Königstein in Sachsen, wo wir direkt an der Elbe ein schönes Hotel fanden. Von hier aus unternahmen wir unsere täglichen Ausflüge. Hoch über der Stadt liegt die Festung Königstein, eine der größten Bergfestungen Europas, die wir auch besichtigten. Ich hatte noch nie etwas davon gehört. Für mich lag die DDR damals fast so weit weg wie der Mond. Es war alles wirklich Neuland. Wir hatten keine Verwandten oder Bekannten drüben
und auch sonst keinen Kontakt dorthin. In der Schule ging das Fach Heimatkunde nur bis zur innerdeutschen Grenze, später umfasste das Fach Geographie nur die große weite Welt.
Wir machten Wanderungen in der Bastei und wagten auch den steilen Aufstieg über die vielen Treppen zur Basteibrücke. Von hier aus hat man einen fantastischen Ausblick auf die Felsentürme der Bastei und über die Elbe. Es sieht alles etwas unwirklich aus, und die bizarren Felsformationen erinnerten mich an riesige Stalagmiten in einer Tropfsteinhöhle, nur über der Erde.
In Rathen besuchten wir das Natur-Open-Air Theater, das mitten in den Felsen liegt. Wir sahen die Oper Der Freischütz
, die hier im Standardprogramm ist und deren Handlung in der Wolfsschlucht sehr an die tatsächliche Umgebung erinnert. Pünktlich, als es auf der Bühne zum großen Unwetter kam, prasselte auch auf uns ein Starkregen nieder, mit Blitz und Donner, der zwischen den hohen Felsen besonders laut krachte, sodass die Vorstellung abgebrochen werden musste. Authentischer konnte man die Oper von Carl Maria von Weber nicht erleben!
Dieser Starkregen war aber die Ausnahme, denn wir hatten sonst sehr schönes Wetter während des Urlaubs. Bei einer Fahrt mit einem Dampfschiff von Rathen nach Pirna holte ich mir einen heftigen Sonnenbrand.
Einen Ausflug machten wir auch nach Dresden. Hier sah ich die Ruine der Frauenkirche. Man hatte damals schon den Plan, sie wieder aufzubauen. Für mich ein unmögliches Vorhaben, denn rund um die Ruine waren unendlich viele Steine, die man aus den Trümmerbergen noch verwenden konnte, in einzelnen Planquadraten aufgeschichtet und gekennzeichnet. Wie sollte das funktionieren? Fünfzehn Jahre später konnte ich die barocke Kirche nach dem Wiederaufbau besichtigen. Sie sieht genauso aus, wie auf den Bildern vor dem Krieg, doch die Fassade ist jetzt hell. Im Mauerwerk kann man die dunklen Steine erkennen, die noch von dem alten Gebäude stammten, die hellen Steine wurden neu hinzugefügt. Das Unmögliche wurde wahr.
Da mein Mann damals noch ein starker Raucher war, fuhren wir mehrmals bei dem kleinen Ort Smilka an der Elbe über die tschechische Grenze. Der Grenzübertritt verlief völlig problemlos. Tschechien gehörte damals noch nicht zur EU, und so waren direkt hinter der Grenze Duty-Free Läden, in denen wir uns jedes Mal mit der erlaubten Menge an Zigaretten und auch alkoholischen Getränken eindeckten. Bis zum Ende der Reise war der Zigarettenbedarf meines Mannes für längere Zeit gesichert und auch die Hausbar konnte wieder gut gefüllt werden.
Wir fuhren einmal auch in die Tschechische Republik hinein, direkt an der Elbe entlang, die hier Labe
heißt. Wir hofften hier direkt am Ufer ein schönes Lokal zu finden. In einem Waldstück stand am Straßenrand ein Auto und eine Frau winkte uns heran. Wir dachten an eine Autopanne und hielten an, um zu helfen. Da sahen wir dahinter im Wald einen Wohnwagen mit blinkenden Herzchen. Bei näherem Hinsehen war es offensichtlich, dass es sich bei der Frau um eine Prostituierte handelte. Unsere Hilfsbereitschaft war im Nu verschwunden und wir fuhren weiter. Auf dieser Fahrt sahen wir noch mehrere von diesen blinkenden Herzchen-Wohnwagen, fanden aber kein Lokal. Wir fuhren bis zum nächsten Ort Děčín (vor 1945 mal Bodenbach). Wir hatten Hunger und hofften hier ein gutes Restaurant zu finden. Als wir in der Innenstadt unser Auto parkten, merkten wir, dass wir keine tschechischen Kronen für die Parkuhr hatten, mit einer Kreditkarte kamen wir hier nicht weiter. Als wir dann sahen, dass mehrere Autos eine Parkkralle hatten, verging uns die Lust auf Tschechien und wir fuhren zurück nach Deutschland. Die Schönheiten dieses Landes konnten wir erst einige Jahre später bei einer Kur in Karlsbad genießen.
Es war ein sehr schöner Urlaub mit vielen neuen Eindrücken, vor allem für mich. Auf der Rückfahrt machten wir noch einen Abstecher nach Potsdam und fuhren dann über die Autobahn 24 Richtung Heimat. Wir passierten dabei auch die ehemalige Zonengrenze Gudow/Zarrentin.
Dieser Grenzübergang war einer der wenigen innerdeutschen Grenzübergänge und die direkte Verbindung von Hamburg nach Berlin. Heute ist ers nur noch die Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Die Schikanen, denen die westdeutschen Reisenden bei Grenzübertritt ausgesetzt waren, sind allgemein bekannt. Das war auch der Grund, warum mein Mann zu DDR-Zeiten keinen ostdeutschen Boden betreten wollte.
Kurz nach dem wir diesen geschichtsträchtigen ehemaligen Grenzübergang passiert hatten, machten wir Halt an einer Tankstelle. Bei der Ausfahrt hielten uns zwei Zöllner mit einer roten Anhaltekelle an. Barsch befahl uns der Jüngere: Aussteigen! - Kofferraum öffnen!
Wir wussten nicht, wie uns geschah, doch folgten wir seinem Befehl und öffneten den Kofferraum. Ich war schon verärgert über seinen Ton. Dachte er vielleicht ein mittelaltes Paar in einem Mittelklassewagen sind Drogen- oder Waffenschmuggler?
Er fragte: Haben sie was zu verzollen?
Wir verneinten wahrheitsgemäß und ich fragte spöttisch: Ist ihnen entgangen, dass es hier keine Grenze mehr gibt?
. Später wurde ich dann belehrt, dass Zöllner im gesamten Bundesgebiet Fahrzeuge anhalten und durchsuchen dürfen. Dabei dürfen sie die beteiligten Personen vernehmen und illegal mitgeführte Waren beschlagnahmen.
Der Zöllner, der uns schon so angeschnauzt hatte, wühlte nun unseren Kofferraum durch und fand natürlich die vielen unverzollten Zigaretten und den Alkohol. Jetzt wurde er richtig aggressiv. Er herrschte uns an, woher die Waren kommen. Mein Mann erklärte, dass wir drei Wochen in der Nähe der Grenze zu Tschechien Urlaub gemacht hatten und bei jedem Grenzübertritt die erlaubte Menge von Zigaretten und Alkohol mitgebracht haben. Der Zöllner wollte die Quittungen sehen, die wir leider nicht mehr hatten. Nun wollte er es ganz genau wissen. Wir mussten die Koffer öffnen, und er nahm alles auseinander und wühlte in unserer Wäsche herum. Den Sack mit Schmutzwäsche schüttete er auf den Boden und selbst meine kleine Kosmetiktasche verschonte er nicht. Der ältere der beiden Zöllner stand nur dabei und sah uns manchmal mitleidig an.
Nachdem er auch den Innenraum des Autos durchsucht hatte, ging es dann um den mitgebrachten Alkohol und die Zigaretten. Als wir ihm jedoch die Hotelrechnung von Königstein vorzeigen konnten, in der auch die Dauer des Aufenthaltes vermerkt war, beriet er sich mit seinem Kollegen und sagte dann, Sie können fahren
, nachdem wir eine gute Stunde, bei glühender Hitze, auf der Tankstellenauffahrt verbracht hatten.
Ich war inzwischen so aufgebracht über diese Behandlung, dass ich zum Abschied sagte, dass er wohl die Zeit verschlafen habe. Die Schikanen an der ehemaligen Grenze sollten wohl der Vergangenheit angehören.
Zu Hause angekommen, wurde der aufgestaute Ärger noch einmal verstärkt, weil wir die im Kofferraum verstreuten Sachen erst wieder einpacken mussten. Wir erzählten allen Freunden und Bekannten von unserem DDR-Grenzübertritt
im Jahr 1993.
In meiner Firma hatten wir ständig mit dem Zoll zu tun, sodass wir auch eine Zollbeauftragte hatten. Ich habe ihr die Geschichte natürlich auch erzählt. Es fiel ihr nicht schwer herauszufinden, wer der Leiter des Hauptzollamtes in Schleswig-Holstein war und wie man ihn persönlich kontaktieren konnte. Ich habe dann an diesen Herrn einen Brief geschrieben und meinem ganzen Ärger Luft gemacht.
Ein paar Tage später erhielt ich einen Anruf von einem Mitarbeiter des Hauptzollamts in Kiel. Er stellte sich als Vorgesetzter der beiden Zöllner vor. Er bat mich um Entschuldigung und sagte, dass es noch junge Kollegen gibt, die im Übereifer über das Ziel hinausschießen. Er hätte sofort veranlasst, dass junge Beamten noch eine Schulung über den Umgang mit den Bürgern erhalten.
Dass überhaupt eine Reaktion kam, fand ich schon bemerkenswert, doch dass ich eine Woche später noch durch Fleurop einen Blumenstrauß vom Hauptzollamt in Kiel bekam, hat mich vollends überrascht.
Somit war Ende gut, alles gut
.