Deutsch-Französischer Jugendaustausch
Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident General de Gaulle unterzeichneten im Januar 1963 den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag und beendeten damit offiziell die jahrhundertelange Erbfeindschaft
Der Begriff drückt propagandistisch aus, dass die Konflikte zwischen beiden Ländern vom Pfälzischen Erbfolgekrieg, die Koalitionskriege, der Befreiungskriege, den Deutsch-französischen Krieg von 1870/71 und den Ersten Weltkrieg bis schließlich zum Zweiten Weltkrieg mit friedlichen Mitteln nicht zu lösen gewesen wären, sondern auf quasi natürlichen Ursachen (Vererbung bzw. Erbschaft) beruhten. Der Elysée-Vertrag vom 22. Januar 1963 beendete diese Epoche der Feindschaft in den Beziehungen beider Länder, die seither durch ein enges Freundschaftsverhältnis innerhalb der Europäischen Union gekennzeichnet sind.Siehe Wikipedia.org zwischen den beiden Ländern. Kurz darauf wurde das deutsch-französische Jugendwerk gegründet, das noch heute sehr intensiv Jugendaustauschprogramme fördert.
Schon einige Jahre vor diesem Ereignis unterhielt meine Heimatstadt Offenbach am Main eine Städtepartnerschaft mit der französischen Stadt Puteaux.
Puteaux ist eine kleine Stadt westlich von Paris. Sie geht nahtlos in die Metropole über. So wie es auch zwischen Norderstedt und Hamburg oder Offenbach und Frankfurt der Fall ist.
Bereits im Jahr 1960, ich war gerade 14 Jahre, planten die beiden Partnerstädte einen Jugendaustausch. Zuerst sollten die französischen Jugendlichen nach Offenbach zu Gastfamilien kommen und im Jahr darauf die Kinder der Gastfamilien zu Familien nach Puteaux.
Meine Eltern meldeten sich bei der Stadt als Gastfamilie an und es wurde uns Monique, ein Mädchen in meinem Alter, zugeteilt. Im Sommer 1960 kam sie mit ca. 15 anderen Jugendlichen nach Offenbach. Monique und ich mochten uns von Anfang an, obwohl sie kein Wort Deutsch verstand und ich, sowie auch niemand aus der Familie, französisch konnte. Wir sprachen zwar alle etwas Schulenglisch, aber das reichte nicht für eine richtige Unterhaltung. Uns Jugendlichen fiel das aber kaum auf, denn wir konnten ständig zusammen lachen und mit Musik klappte die Verständigung auch ohne Worte.
Jeden zweiten Tag unternahm die Stadt mit uns allen gemeinsam Ausflüge. Im Ausflugsbus sangen wir zusammen die Songs von Elvis Presley, wir Deutsche die Schlager von Peter Kraus, und die Franzosen die neuesten Titel von Johnny Hallyday.
Unsere Tagestouren gingen nach Rüdesheim am Rhein, nach Heidelberg und in die umliegenden Mittelgebirge wie in den Taunus und den Odenwald. In Frankfurt haben wir den Zoo, den Palmengarten sowie viele bekannte kulturelle Einrichtungen wie das Senckenberg Museum, das Goethehaus und den Römer- das Frankfurter Rathaus, besichtigt.
Am besten in Erinnerung ist mir jedoch die Werksbesichtigung bei Coca-Cola geblieben. Nach der Besichtigung richtete die Firma noch eine Party für uns aus. Es gab ein rustikales Buffet, natürlich jede Menge Coca Cola und die neueste Musik zum Tanzen.
Wir waren begeistert, denn Discotheken gab es damals noch nicht. Diese Party hat enorm dazu beigetragen, dass sich auch deutsche und französische Jungen und Mädchen näherkamen.
Im Sommer darauf, ich war gerade 15 Jahre jung, fuhr unsere deutsche Gruppe von ca. 15 Jugendlichen, im Alter zwischen 15 und 18 Jahren nach PARIS. Dass wir eigentlich in den kleinen Vorort Puteaux fuhren, nahmen wir nicht zur Kenntnis.
Unsere Jugendgruppe war eine der ersten, die nach dem Krieg das Nachbarland besuchte. Unser Wissen über die Rolle Deutschlands im Zweiten Weltkrieg war sehr gering. In den Familien, den Medien und auch in der Schule war das damals kein Thema. Der Geschichtsunterricht in der Schule endete mit der Weimarer Republik.
Die Franzosen waren aber überwiegend sehr nett zu uns und manche freuten sich, wenn sie mit uns ein paar Worte in Deutsch wechseln konnten. Es gab allerdings auch einige, die Ihre Ablehnung uns gegenüber sehr deutlich zum Ausdruck brachten. In unserer Naivität werteten wir das als schlechte Kinderstube.
Wir kamen in keine Gastfamilien, denn es hatten sich nicht genügend Familien bereit erklärt, Deutsche aufzunehmen. Da zu dem Zeitpunkt Sommerferien waren, brachte man uns in einer Schule unter. Wir schliefen auf Feldbetten in der Turnhalle. Natürlich wurde diese für Jungen und Mädchen mit einer Zwischenwand getrennt. Sanitäre Anlagen waren auch vorhanden und gegessen haben wir in der Schulmensa.
Als Jugendliche fanden wir das aber keineswegs als Diskriminierung, denn aus unserer Sicht hätte uns kaum etwas Besseres passieren können.
Die Stadt Puteaux gab sich sehr viel Mühe, uns den Aufenthalt so schön wie möglich zu gestalten. Gemeinsam mit den französischen Jugendlichen, die uns in Offenbach besucht hatten, unternahmen wir auch in Frankreich Tagesausflüge. Wir bekamen alle Sehenswürdigkeiten von Paris zu sehen und hatten überall einen Sonderstatus, wie ihn sonst nur Prominente genießen.
Wir fuhren auch in die Normandie und in das Seebad Deauville.
Wie in Offenbach hatten wir auch in Puteaux jeden zweiten Tag frei zu unserer eigenen Gestaltung. Das waren für uns die schönsten Tage.
Wir waren alle in der Bundesrepublik Deutschland der 50er Jahre aufgewachsen. Das heißt, es war alles verboten, was nicht ausdrücklich erlaubt war. Und das war herzlich wenig.
Und jetzt hier in Frankreich, zum ersten Mal im Ausland und ohne Aufsicht der Eltern, hatten wir das herrliche Gefühl der grenzenlosen Freiheit.
Von unserer Schule in Puteaux war es nur eine Busstation bis zum Pariser U-Bahnnetz - der Metro. Wir hatten eine Freifahrkarte für das gesamte öffentliche Verkehrsnetz, die wir reichlich nutzten. Also machten wir uns an jedem freien Tag in kleineren Gruppen auf den Weg nach Paris. Allein die Metro war schon eine Attraktion, denn wir kannten ja nur die Straßenbahn. Wir fuhren stundenlang die verschiedenen Strecken ab, gingen an den bekannten Bahnhöfen nach oben und erkundeten die Stadt, um an der nächsten Station wieder weiterzufahren.
Es war auch ganz leicht sich zurechtzufinden, denn in jeder Metrostation war eine Tafel mit dem gesamten U-Bahnnetz, an der jede Haltestelle mit einem Lämpchen versehen war. Man musste nur sein Ziel eingeben und sofort blinkten vom Standort bis zum Ziel an jeder Station kleine Lichter. Die Metrolinien leuchteten verschiedenfarbig und so konnte man genau sehen, wo und in welche Linie man umsteigen musste.
Besonders gerne besuchten wir die großen Boulevards wie die Champs Elysees, St. Germain und St. Michel im Studentenviertel, sowie das Künstlerviertel Montmartre. Auf dem Place du Tertre, der noch nicht von Touristen überlaufen war, schauten wir den Malern zu und fühlten uns fast dazugehörig.
Stundenlang saßen wir in den Straßencaés und sahen dem turbulenten Treiben zu. Wir beobachteten sehr elegant gekleidete Menschen, sahen aber auch Frauen, die im Morgenrock und mit Lockenwicklern auf dem Kopf einkaufen gingen. Später liefen wir dann barfuß durch die Parks, aßen frisches Baguette und fühlten uns wie Gott in Frankreich.
In den Cafés bestellten wir Pernod, das französische Nationalgetränk. Es ist ein Anisschnaps, der mit Wasser aufgefüllt eine milchige Farbe annimmt. Nach unserem Alter wurde bei der Bestellung von Alkohol nicht gefragt. Der Grund für unsere Getränkeauswahl war, dass wir dabei lange und preiswert sitzen konnten und uns dabei sehr erwachsen vorkamen. Man bekam einen kleinen Schnaps in einem großen Glas serviert. Dazu gab es eine große gelbe Kanne Wasser, womit man den Pernod auffüllte. Die netten Kellner brachten auch gerne noch eine zweite und dritte Kanne kostenloses Wasser, mit dem wir unser Glas immer wieder nachfüllten. So kamen wir mit unserem nicht gerade üppigen Taschengeld gut zurecht.
Wir waren auch am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, in der Stadt und waren beeindruckt, mit welchem Aufwand dieser Tag von den Franzosen begangen wurde. Drei Flugzeuge flogen im Tiefflug über die Champs Elysees und versprühten die Farben der Nationalflagge, blau, weiß, rot, über die gesamte Länge der Straße. Es schien, dass das gesamte Militär, mit pompösen alten Uniformen, entweder mit der Reiterstaffel unterwegs war oder musizierend durch die Straßen marschierte.
Der Höhepunkt unserer Reise sollte der Abschiedsempfang im Rathaus werden. Im großen Festsaal war eine Tafel gedeckt, wie sie noch keiner von uns gesehen hatte. Auf jedem Platz lagen silberne Platzteller mit zwei Porzellantellern und einer kunstvoll gefalteten Serviette darauf, mehrere Silberbestecke lagen seitlich und oberhalb der Teller. Dazu kamen noch verschiedene Gläser, die rechts neben dem Gedeck aufgereiht waren. Auf der Tafel lagen lange Blumenbouquets. Anwesend waren die Honoratioren der Stadt, ausschließlich alte Herren. Man muss allerdings bedenken, dass bereits 40-Jährige für uns uralt waren.
Das Festessen bestand aus gefühlten
50 Gängen, denn nach dem 8. Gang hörte ich auf zu zählen. Die gereichten Mengen waren aber etwa so klein wie bei uns ein Gruß aus der Küche
. Die Kellner wuselten um uns herum, denn es gab jedes Mal neue Teller, anderes Besteck und natürlich wurde auch immer wieder Wein nachgeschenkt. Da kaum jemand die Sprache des anderen verstand, blieb es meistens beim Anlächeln und Prost
sagen.
Einigen von uns ist dieses Bankett gar nicht gut bekommen. Sie hatten am nächsten Tag auf der Heimreise im Bus erhebliche Magenprobleme
, die wohl auf den ungewohnten Alkohol zurückzuführen waren.
Zu Hause hatte uns der Alltag bald wieder, doch einige auf der Reise geschlossene Freundschaften hielten noch lange Zeit.
Später habe ich Paris noch oft besucht und es hat mir immer wieder gut gefallen, aber das tolle Freiheitsgefühl der ersten Reise hat sich nie wieder eingestellt.
Ein Grund dafür war sicher, dass es Ende der 60er Jahre auch bei uns in Deutschland lockerer wurde und Schilder wie Rasen betreten verboten
langsam abgebaut wurden.