Karibikurlaub 1983
„Da müsst Ihr unbedingt mal hinfahren, dort findet ihr das reinste Paradies“, so schwärmten uns Bekannte Anfang der 80er Jahre von einem kleinen Küstenort in der Dominikanischen Republik vor.
Von so viel Begeisterung angesteckt, planten wir unseren nächsten Urlaub in die Karibik. Es sollte eine abenteuerliche Reise werden.
Es gab zu dieser Zeit in der Dominikanische Republik noch wenig Touristen aus Europa. Amerikaner nutzten dieses Land allerdings schon häufig für billige Wochenendausflüge.
Heute ist die Dominikanische Republik eine Touristenhochburg und wird von knapp vier Millionen Urlaubern jährlich besucht.
Das Land liegt auf Hispaniola, der größten Insel der Großen Antillen und umfasst zwei Drittel der Insel, während den westlichen Teil der Staat Haiti einnimmt.
Wir hatten die Adresse von einem deutschen Vermieter, der in die Dominikanische Republik ausgewandert war. Er bot kleine, nach heutigem Standard sehr einfach eingerichtete Ferienhäuschen zu einem Spottpreis
an. Wir mieteten gleich zwei nebeneinander liegende Häuschen, eins für unsere 15-jährige Tochter und eins für meinen Mann und mich. Der Ort hieß Sosua und liegt im Norden der Insel, nahe der Stadt Puerto Plata, die auch einen Flughafen hat.
Als wir das Flugticket nach Puerto Plata buchen wollten, erfuhren wir, dass die Dominikanische Republik von europäischen Fluggesellschaften nicht angeflogen wurde, da die Flughäfen den Sicherheitsstandards nicht entsprachen.
Wir flogen nun zuerst nach San Juan, der Hauptstadt von Puerto Rico. Diese Insel liegt ca. 250 km östlich von der Dominikanischen Republik und ist ein US-amerikanisches Außengebiet. Das heißt, es ist kein eigenständiger US-Bundesstaat. Das Staatsoberhaupt ist aber der US-Präsident – damals war es Ronald Reagan – und die Einwohner besitzen die Staatsbürgerschaft der USA.
Wir mussten also bei der Einreise das lange und strenge Einreiseprocedere der USA über uns ergehen lassen. Der Zoll prüfte gründlich das Gepäck jedes einzelnen Fluggastes auf Drogen und Nahrungsmittel. Mein Eindruck war, dass sich die Zollbeamten mehr für Lebensmittel interessierten, deren Einfuhr in die USA streng verboten ist. Ich beobachtete, wie einem Mitreisenden der Apfel, den er gerade aß, von einem Zöllner aus der Hand gerissen und in den Müll geworfen wurde.
Endlich im Land, mussten wir eine Nacht in San Juan verbringen, da an diesem Tag kein Flug mehr in die Dominikanische Republik ging. Eine Fähre gab es nicht.
Man erzählte uns, dass die einzige Fähre vor ein paar Wochen in Seenot geriet und auf der kleinen Insel De Mona, die ein reines Naturreservat ist, strandete. Die Passagiere saßen auf der menschenleeren Insel fest und konnten erst nach drei Tagen wieder nach Hause zurückgebracht werden. Seitdem war der Fährverkehr zwischen den Inseln unterbrochen.
Am nächsten Tag ging es dann mit einer dominikanischen Fluggesellschaft weiter nach Puerto Plata. Wir flogen die kurze Strecke mit einer Boeing 727, die, deutlich erkennbar, viele Flugstunden hinter sich hatte. Die Sitze waren überholungsbedürftig, die Anschnallzeichen und sonstige Beschriftungen waren in arabischer Schrift und die Reinigung des Flugzeuges fand sichtbar nur in großen Abständen statt. Beim Start und bei der Landung knarrte und schepperte es in der Kabine und leere Flaschen rollten über den Boden. Wir fühlten uns ziemlich unbehaglich während des kurzen Fluges und waren froh, als wir endlich gelandet waren.
Nach der Landung stiegen wir aus dem Flugzeug, nahmen unser Gepäck, das direkt auf das Rollfeld gestellt wurde, und liefen damit zum kleinen Flughafengebäude, in dem wir auch gleich von unserem deutschen Vermieter in Empfang genommen wurden. Zoll gab es keinen, jedenfalls bekamen wir ihn nicht zusehen.
Wir fuhren die ca. 20km zu unserem Urlaubsort Sosua und bezogen unsere gemieteten Ferienhäuschen, die ganz neu gebaut waren. Wir waren hellauf begeistert. Die kleine Anlage lag in einem sehr schönen tropischen Park, alles war gepflegt und sauber, aber nach heutigen Maßstäben sehr einfach.
Wir wollten uns selbst versorgen und sahen uns deshalb nach Einkaufsmöglichkeiten um. Auf dem ca. 500m langen Weg zum Strand gab es einen Verkaufsstand, der aus Bambusrohr und ein paar Palmwedeln bestand, an dem es ein paar Bananen, Melonen und etwas Gemüse zu kaufen gab. Etwas weiter war eine größere Hütte, an der Market
stand. Im Inneren war es ziemlich dunkel. Es standen offene Säcke mit Mehl, Reis und anderen Nahrungsmitteln auf der blanken Erde. Auf einem kleinen Tresen lagen Brot, Gemüse und Lebensmittel, die ich nicht kannte und dazwischen liefen kleine Krabbeltiere. Das war wohl der Supermarkt
des Ortes. Na prima
, dachte ich, selbstversorgen können wir wohl vergessen
.
Dann kamen wir an den traumhaften Strand, der allen Klischees, die man von der Karibik hat, entsprach. Die von den Stürmen zerzausten Palmen neigten sich fast waagerecht zum Meer und spendeten dem weißen Sand des Strandes Schatten. Die Fischer waren mit ihren Booten auf dem Meer. Am Strand standen die Frauen, die den frischen Fang sofort auf provisorisch aus Autofelgen gebauten Grills brieten und an die Dorfbewohner und Touristen verkauften. Dazu wurden Chips
gebraten. Das waren Scheiben aus Kochbananen, die ganz ausgezeichnet schmeckten, aber außer dem Aussehen nichts mit den Bananen, die wir kennen, gemeinsam haben.
Es gab auch Händler, die Kokosnüsse verkauften. Den Nüssen wurde mit der Machete das obere Teil abgeschlagen, sodass man an die Kokosmilch kam. Diese wurde dann mit Rum verdünnt
und mit einem Strohhalm serviert.
An der Strandbar, einer Art Kiosk, konnte man Bier und Cola und natürlich den allgegenwärtigen Rum kaufen. Die Fischer brachten auch ihre frischen Austern hierher. Diese wurden geöffnet und an die wenigen Touristen verkauft. Überwiegend waren Einheimische am Strand.
Das änderte sich aber schlagartig an den Wochenenden, an denen eine große Anzahl amerikanischer Touristen den Ort bevölkerten. Dann wurde vorübergehend statt des Dominikanischen Pesos, der US Dollar die gängige Währung. Das bedeutete für uns, dass sich die Preise am Wochenende vervielfachten.
Obwohl wir täglich am Strand sehr guten, frisch gegrillten Fisch angeboten bekamen, verpflegten wir uns häufig selbst, denn wir hatten ein kleines Wunder entdeckt.
Nach den wenig vertrauenerweckenden Einkaufsmöglichkeiten fanden wir einen Laden, der voll den europäischen Maßstäben entsprach. Er hatte eine Schlachterei mit Kühltheke, Molkereiartikel, die alle hygienisch einwandfrei gelagert waren, und auch andere Waren des täglichen Bedarfs. Die Angestellten des Geschäftes sprachen alle deutsch.
Neugierig geworden, wie ein Stück Deutschland an diesen abgelegen Ort in der Karibik kam, bekamen wir etwas Geschichtsunterricht:
1938 öffnete Rafael Trujillo, der damalige Diktator der Dominikanischen Republik sein Land für jüdische Emigranten, die aus Hitlerdeutschland geflohen waren. Einige dieser Flüchtlinge ließen sich rund um die Gemeinde Sosua nieder. Diese Einwanderer brachten Kenntnisse in der Milch- und Fleischverarbeitung mit und legten so die Grundlage für eine noch heute in der Karibik bestehende Nahrungsmittel-Industriekette.
Wir konnten uns jetzt für einen Bruchteil des Preises in Deutschland mit dem besten Fleisch und guten Lebensmittel eindecken.
Im Nachbarhäuschen hatte sich ebenfalls ein deutsches Ehepaar mit einem Mädchen, das im gleichen Alter wie unsere Tochter war, eingemietet. Wir alle hatten gleich guten Kontakt.
Abends grillten wir zusammen oder wurden von anderen Nachbarn zum Barbecue eingeladen. Wenn wir dann spät mit Taschenlampen durch den Park zurück zu unseren Häuschen gingen, glotzten uns im Schein der Lampen riesige Ochsenfrösche an. Anfangs grausten wir uns vor diesen Tieren, die jeden Abend in großer Zahl auf den Grünflächen herumsprangen, doch sie hielten sich in angemessenen Abstand zu uns Menschen. Am Tag waren sie nicht zu sehen.
Wir mieteten uns gemeinsam mit der anderen deutschen Familie einen Kleinbus, in dem wir sehr eng zusammengepresst mit 6 Personen Platz fanden. Wir fuhren damit in die Mangrovenwälder, durch die wir eine Bootstour unternahmen. Die Bäume ragten dort mit den Wurzeln aus dem Wasser und machten den Eindruck, als wollten sie auf die Reise gehen. Wir fuhren an traumhaft schöne, einsame Strände, kamen aber auch durch Orte mit ärmlichen kleinen Hütten, denen man ansah, wie bitterarm die Bevölkerung war und dass der Fortschritt noch in weiter Ferne lag.
Gegen Ende der Ferien waren wir mit unserer Tochter und ihrer neuen Freundin am Strand. Die Eltern des Mädchens machten allein einen Ausflug mit dem Minibus.
Wir hatten die ganzen Tage beobachtet, dass ein Segelkatamaran mit einem einheimischen Skipper Segeltörns innerhalb der Bucht von Sosua machte. Nachdem wir uns die ganze Zeit nicht entscheiden konnten, ob wir mitfahren sollten, entschlossen wir uns dieses Mal, mit den Kindern einen Segeltrip zu wagen.
Es war anfangs auch ein großer Spaß, über das Meer zu segeln. Doch plötzlich änderte sich das Wetter. Es wurde dunkel, starker Wind kam auf und es fing an zu regnen. Der Skipper wollte sofort zurück zum Strand und machte dabei wohl einen Fehler, sodass das Schiff kenterte.
Ich und die Mädchen schwammen sofort vom Schiff weg, während mein Mann und der Skipper versuchten, den Katamaran zu drehen. Zum Glück hatten wir alle Schwimmwesten an.
Die beiden Männer konnten das Boot mehrmals aufrichten, aber durch den Drehimpuls kenterte das Schiff gleich wieder in die andere Richtung. Nach etlichen Versuchen ließen die Kräfte nach und wir saßen alle zusammen auf dem manövrierunfähigen, gekenterten Katamaran.
Wir trieben so aus der Bucht von Sosua hinaus, um die Landzunge herum und konnten den Strand nicht mehr sehen. Gleichfalls waren auch wir von der Küste aus nicht mehr sichtbar. Das Unwetter hielt unvermindert an.
Langsam kam Panik auf. Die Regel lautet ja: man soll nach dem Kentern am Schiff bleiben und auf Hilfe warten. Aber galt die auch hier? Ich dachte daran, wie es den Passagieren von dem Fährschiff erging und folgende Gedanken gingen mir noch durch den Kopf:
1.) Wir werden vorerst nicht vermisst werden, denn die Eltern des Mädchens sind bestimmt nicht vor Einbruch der Dunkelheit zurück! Sie wissen auch nicht, dass wir mit dem Boot auf dem Meer sind!
2.) Der Skipper mit seinem Boot ist ein Ein-Mann Unternehmen, wer weiß, wann er vermisst wird!
3.) Es gibt keinerlei Strandaufsicht, die beobachtet hätte, dass wir hinausgefahren sind!
4.) Gibt es hier Haie?
In der Karibik gibt es selbstverständlich Haie!
Plötzlich kam ein kleines Segelboot auf uns zu mit einem jungen Einheimischen an Bord. Er machte das Angebot, die Kinder mit an Land zu nehmen und dann für Hilfe zu sorgen. Die beiden Mädchen waren sofort bereit und sprangen auf das Boot. Ich war noch unschlüssig, ob ich die Mädchen allein auf das kleine Boot lassen konnte mit der Ungewissheit, ob sie sicher ankommen oder ob ich mit auf das Boot gehen sollte mit der Gewissheit, dass es dann hoffnungslos überladen war. Ich entschloss mich für das Letztere. Ich konnte doch die Kinder nicht allein lassen.
Es kam, wie es kommen musste. Auch dieses Boot kenterte. Es war aber nicht allzu schwer, es wieder aufzurichten und so erreichten wir nach einer gefühlten Ewigkeit den Strand. Die Mädchen rannten sofort in unser Urlaubsdomizil, um sich im Bett aufzuwärmen, denn uns war trotz der hohen Wasser- und Lufttemperatur recht kalt geworden.
Ich versuchte Hilfe für die beiden Männer, die noch draußen auf dem Meer waren, zu holen.
Die Einheimischen tanzten und sangen im strömenden Regen am Strand. Die Verständigung war schwierig, denn sie sprachen kaum englisch und ich kein spanisch. Außerdem schien mir die Gruppe nicht mehr ganz nüchtern zu sein.
Am Strand lag ein altes Boot mit Außenbordmotor. Ich versuchte den Besitzer zu finden. Ein an der Strandbar sitzender Amerikaner, eine Art Späthippie
, gab sich als Inhaber zu erkennen und fragte mich mürrisch, was ich zahle, wenn er hinausfährt. Er konnte doch sehen, dass ich nur im Badeanzug war und kein Geld bei mir hatte! Ich versprach ihm, dass er die geforderte Summe sofort nach der Rettung der Männer bekäme.
Er fuhr dann mit einem klapprigen Fahrrad in den Ort, um Benzin für den Motor zu holen. Nachdem wertvolle Zeit verstrichen war – ich hatte kein Zeitgefühl mehr – kam er mit einem Kanister Benzin zurück und brachte nach einigen Versuchen den alten Motor zum Laufen. Dann fuhr er aufs Meer hinaus, bis er nach einiger Zeit auch hinter der Bucht verschwunden war. Ich wartete endlos lange am Strand, bis er wieder auftauchte. Er hatte meinen Mann, den Skipper und noch einen Surfer an Bord, sowie den Katamaran und ein Windsurfbrett mit gebrochenem Segel im Schlepptau. Der Motorbootfahrer konnte also auch noch einen Surfer aus Seenot retten.
Wir gingen dann in unser Ferienhaus und schliefen uns bis zum nächsten Tag gründlich aus. Bis auf eine leichte Erkältung hat unser Ausflug keine Schäden hinterlassen.
Am Morgen brachten wir dem Motorbootsbesitzer die geforderte Entlohnung und rundeten noch etwas auf. Dem jungen Segler, der mich und die Mädchen an Land brachte, mussten wir eine Geldsumme regelrecht aufdrängen, denn er wollte nichts annehmen. Wir sahen ihm aber an, dass er sich sehr darüber freute. Der Skipper bot uns für unsere Unannehmlichkeiten eine Freifahrt mit seinem Segelboot an, was wir jedoch dankend ablehnten.
Kurz darauf war unser Urlaub zu Ende. Wir flogen mit der sogenannten Never come back
Airline zurück nach Puerto Rico und von dort sofort mit der Lufthansa weiter nach Deutschland.
Nach all den schönen und auch gefährlichen Erlebnissen waren wir froh, wieder zu Hause zu sein. Wir schworen uns, nie wieder auf das Wasser oder in die Luft zu gehen.
Diesen Schwur haben wir aber schon bald wieder gebrochen.