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Die 50er bis 70er Jahre, Nierentisch und Tütenlampe
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Der Patriarch

Zu der Zeit, als aus Lehrlingen Auszubildende wurden, das war Anfang der 70er Jahre, war ich in der Personalabteilung eines mittelständischen Industriebetriebes beschäftigt.

Der Chef von knapp 1000 Mitarbeitern war kein Manager oder Geschäftsführer, sondern der Alleininhaber der Firma. Er war ein großer älterer Herr, dem man durch sein imposantes Auftreten schon von weitem ansah, dass er der Boss war. Er gründete sein Unternehmen gleich nach dem Krieg. Ältere Mitarbeiter erzählten mir, dass sie am Anfang nur für eine warme Mahlzeit am Tag gearbeitet haben und froh über diesen Job waren.
Der Unternehmer war eine Art Übervater für seine Mitarbeiter, der dafür sorgte, dass es ihnen gut ging, dafür aber auch Leistung forderte.

Es gab in der Firma damals schon einen Betriebskindergarten: Meine Mitarbeiter können sich besser auf ihre Arbeit konzentrieren, wenn sie ihre Kinder in der Nähe haben und gut betreut wissen.
Ein Masseur kam in den Betrieb, den die Mitarbeiter während der Arbeitszeit aufsuchen konnten: Damit meine Mitarbeiter gesund bleiben und ihre Arbeit machen können.

Die gesamte Belegschaft konnte während der Arbeitszeit Sammelbestellungen bei verschiedenen Versandhäusern tätigen, die Rücksendungen erledigte die betriebseigene Versandabteilung: Sonst verweigern meine Angestellten Überstunden, weil sie noch einkaufen müssen. Da mir die Löhne und Gehälter bekannt waren, kann ich auch sagen, dass die Bezahlung für das gesamte Personal überdurchschnittlich war.

Sofern es der Herr des Hauses jedoch für nötig befand, konnte er auch hart abstrafen. Wenn jemand wiederholt Fehler machte oder gar anderer Meinung als der Chef war, folgten sofort Konsequenzen. Das konnte ein Lohnabzug, eine Versetzung in eine untergeordnete Position oder die sofortige Entlassung sein.
Diskussionen über die nach Gutdünken getroffenen Entscheidungen wurden nicht geduldet. Das hatte aber für das Unternehmen keine rechtlichen Konsequenzen, weil niemand zum Arbeitsgericht ging, denn ein Arbeitsplatzwechsel war problemlos. Zu dieser Zeit konnte man sich die Stellen noch aussuchen, weil die Firmen händeringend nach Personal suchten. Die Arbeitslosenquote lag damals unter einem Prozent und die Regierung zog sogar in Erwägung, die Arbeitsämter abzuschaffen.

Der Betrieb bildete auch viele Lehrlinge aus. Für den betrieblichen Unterricht der kaufmännischen Lehrlinge war ich teilweise zuständig. Es war noch keinesfalls üblich, dass es neben der Berufsschule auch einen firmeninternen Unterricht gab.
In dieser Zeit trat das Berufsbildungsgesetz in Kraft, in dem die Rechte und Pflichten der Lehrlinge sowie der Ausbildungsbetriebe genau festgelegt wurden. Ausbildungsfremde Tätigkeiten durften nicht mehr verlangt werden. Lehrlinge hießen jetzt Auszubildende oder Auszubildender, kurz AZUBI.
Wurden vorher die Lehrlinge in vielen Firmen als billige Hilfskräfte eingesetzt oder mit Arbeiten beschäftigt, die mit der Ausbildung nichts zu tun hatten, schlug nun das Pendel auf die andere Seite. Häufig kam bei einer Anweisung an einen AZUBI der Satz: Steht das auch in meinem Ausbildungsplan? Bat man um eine persönliche Handreichung hießes oft: Dazu bin ich als Auszubildender nicht da!

Eines Tages kam eine große Menge Firmenprospekte aus der Druckerei, auf denen der Preis einer Ware falsch angegeben war. Der Fehler lag bei einem Mitarbeiter, der dies bei der Druckfreigabe übersehen hatte. Statt eines Neudruckes, der ziemlich teuer geworden wäre, entschied der Chef, dass alle Prospekte mit dem richtigen Preis überstempelt werden sollten. Er wandte sich an die kaufmännischen Auszubildenden und bat sie, zwischendurch die Prospekte zu stempeln. Es kam wieder der übliche Satz: Dafür sind wir als Auszubildende nicht zuständig. Darauf sagte der Hausherr mit seiner tiefen sonoren Stimme ganz langsam: Das müssen Sie als Auszubildende auch nicht tun. Zuvor duzte er noch alle Lehrlinge.

Am nächsten Morgen stand sein großer, schwarzer Schreibtisch direkt am Eingang zur Verwaltung. Diese Stelle musste jeder Mitarbeiter und Besucher passieren, wenn er in ein Büro oder Ausstellungsraum wollte. Auf dem Schreibtisch türmten sich die Fehldrucke stapelweise. Dahinter saß unser Chef, grüßte jeden Ankommenden freundlich, stempelte die Prospekte und ließ sich auf kein Gespräch ein. Der Empfang und die Telefonzentrale waren angewiesen, alle Termine für diesen Tag abzusagen.

So saß der alte Herr den ganzen Tag an seinem Schreibtisch – mitten auf dem Präsentierteller – und stempelte einen Prospekt nach dem anderen. Am Tag darauf war der Spuk vorbei und über den vergangenen Tag wurde kein Wort verloren. Der Patriarch machte wieder den täglichen Rundgang durch seine Firma, grüßte die meisten der Mitarbeiter mit Namen, kümmerte sich um jedes noch so kleine Detail und verteilte Lob und Tadel mit den entsprechenden Konsequenzen.
Die Auszubildenden fragten nach, ob noch Prospekte zu stempeln wären. Der Rest wurde dann ohne Protest in Teamarbeit von Angestellten und Auszubildenden erledigt. Den Satz Dafür sind wir Auszubildenden nicht da hörte ich nur noch ganz selten.

Nach dem Tod des Firmeninhabers wurde aus dem Unternehmen eine GmbH mit einem Geschäftsführer und mehreren Gesellschaftern. Nach wenigen Jahren existierte die Firma nicht mehr.

  • Autorin: Margot Bintig, Oktober 2012
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