US-Amerikaner
Während ich diese Erinnerungen schreibe, findet in Amerika gerade der Wahlkampf für die Wahl des neuen US-Präsidenten statt. Es kandidieren diesmal Barak Obama und Mitt Romney. Ich werde von den Medien genau informiert, wer von den beiden was wann und wo gesagt und getan hat. Manchmal bekomme ich den Eindruck, der Präsident wird hier in Deutschland gewählt und nicht in den USA.
Warum fühlen wir uns so eng mit den Amerikanern verbunden?
Als Nachkriegskind will ich nun aus eigener Erfahrung berichten, wie stark meine Kindheit und Jugend von den US-Amerikanern geprägt wurde.
Meine erste Begegnung kenne ich nur aus den Erzählungen meiner Mutter, denn ich war noch zu klein, um alles zu verstehen.
Mein Vater starb 1946 kurz vor meiner Geburt an den Spätfolgen des Krieges. Für meine Mutter war es schwer, als Witwe mit einem Kleinkind die Nachkriegszeit zu überstehen. Eine große Hilfe waren für sie damals die Hilfspakete mit Kleidung und Lebensmitteln, die sie aus den USA erhielt. Diese Pakete wurden anonym gespendet. Meine Mutter fand aber in der Tasche eines Wintermantels, der in einem Paket war, einen Zettel mit der Adresse des Spenders aus den USA. Sie nahm daraufhin Kontakt mit dem Absender des Hilfspaketes auf. Es handelte sich um eine Farmerfamilie aus dem Bundesstaat Nebraska, der ziemlich in der Mitte der USA liegt. Nun stellte das Schicksal eine Weiche.
Die US-Familie bot meiner Mutter an, mit mir in die Vereinigten Staaten zu kommen. Sie sollte sich auf der Farm nützlich machen und mich wollte man in der kinderreichen Familie als zusätzliches Kind betreuen. Meine Mutter nahm in ihrer misslichen Lage dieses Angebot gerne an.
Nachdem die Farmerfamilie eine Bürgschaft für uns beide übernommen hatte, wurden die Auswanderungspapiere schnell ausgestellt. Das Schiff für die Überfahrt war bereits gebucht, aber da stellte das Schicksal die Weiche wieder zurück.
Meine Mutter lernte meinen zukünftigen Stiefvater kennen und machte die Auswanderung kurz vor der Abreise in die USA wieder rückgängig.
Ein Sohn dieser Farmerfamilie wurde einige Jahre später als GI (Bezeichnung für US Soldaten) in Hanau stationiert, nur wenige Kilometer von unserem Wohnort entfernt. Er besuchte uns während seines Aufenthaltes in Deutschland mehrmals und es entwickelte sich eine nette Freundschaft.
Ich verbrachte nun meine Kindheit und Jugend statt in den USA, in Offenbach am Main, der Heimatstadt meiner Mutter. Offenbach liegt im Rhein/Main Gebiet und gehörte zur amerikanischen Besatzungszone.
Meine erste persönliche Erinnerung an Amerikaner, ich war etwa vier Jahre alt, ist eine Weihnachtsfeier, die von US-Soldaten für deutsche Waisenkinder ausgerichtet wurde. In einem großen Saal, in dem ein riesiger geschmückter Weihnachtsbaum stand, fand die Bescherung statt. Jedes Kind bekam ein Weihnachtspaket und einen Jutebeutel voll mit Süßigkeiten. In meinem Paket waren ein Sparbuch der städtischen Sparkasse, auf das 5 Mark eingezahlt waren, ein Kinderakkordeon und eine Negerpuppe (die Bezeichnung Neger war damals noch wertfrei und nicht diskriminierend wie heute). Diese Puppen waren zu dieser Zeit so aktuell wie heute Barbiepuppen, jedes Mädchen wollte so eine Puppe haben. Man sah ja auch in den Straßen viele dunkelhäutige Babys und Kleinkinder.
Nach der Bescherung wurde gesungen und zur amerikanischen Weihnachtsmusik getanzt. Es gefiel mir als Kind, dass die Musik nicht so feierlich war wie bei uns, sondern dass man dazu richtig herumhopsen konnte.
Ein riesiger schwarzer Mann lachte mich mit seinen großen weißen Zähnen an, nahm mich auf die Schulter und tanzte mit mir durch den ganzen Raum. Es war ein wunderschöner Tag für mich.
Viele Jahre später fand ich das Sparbuch wieder und löste es bei der Sparkasse ein. Außer den 5 DM von der Weihnachtsfeier waren keine weiteren Einzahlungen dazugekommen. Mit Zins und Zinseszins brachte es zwar kein Vermögen, aber für ein nettes Abendessen zu zweit reichte es.
Die Städte Hanau und Frankfurt sind in unmittelbarer Nähe von Offenbach und waren Hauptstützpunkte der US-Army in Deutschland. In Offenbach gab es auch eine Kaserne der Militärpolizei. So traf man überall in der Stadt auf amerikanische Soldaten.
Diese konnten ihre eigenen Autos aus den Staaten nach Deutschland überführen lassen. Wir bestaunten die Amiwagen
, wie wir sie nannten, die durch unsere viel zu engen Straßen fuhren. Es waren sehr große, meist bonbonfarbene Straßenkreuzer wie Cadillacs, Chevrolet und Crysler. Überwiegend die Jungens drückten sich an den Scheiben die Nasen platt, um die Wagen auch von innen zu bestaunen. Wir Deutsche fuhren damals noch drollige Kleinwagen wie den Messerschmidt Kabinenroller, bei dem man das Dach öffnen musste um einzusteigen, die BMW Isetta, auch Knutschkugel genannt, bei dem die ganze Vorderfront zum Einsteigen geöffnet werden musste, oder das Goggomobil. Konnte man sich schon ein richtiges Auto leisten, fuhr man VW Käfer, Opel Rekord oder den damaligen Traumwagen, die Borgward-Isabella.
Als ich älter wurde, spielte die Musik eine große Rolle. Wir konnten den amerikanischen Soldatensender AFN, der aus Frankfurt sendete, gut empfangen. Wir hörten da zum ersten Mal Rock and Roll von Bill Haley und Elvis Presley, Jazz und schwarze Musik von Louis Armstrong und Ray Charles. Den Sender konnten wir aber nur heimlich hören, denn diese Musik empfanden die Erwachsenen als unmoralisch und sie wurde als Urwaldmusik
tituliert. Hier wurden zu dieser Zeit die Schlager von Vico Torriani und Fred Bertelmann gespielt.
Ab 1958 leistete dann Elvis Presley seinen Militärdienst in Friedberg. Der Ort ist nur wenige Kilometer von Offenbach entfernt. Ältere Schüler pilgerten am Wochenende zu der Kaserne und zu seinem Wohnort in Bad Nauheim, um einen Blick auf ihn persönlich zu erhaschen. Leider war ich zu dieser Zeit noch zu jung, um mitzugehen, aber montags wurde in der Schule genau berichtet, wer ihn gesehen hatte oder gar ein Autogramm von ihm ergattern konnte.
Es gab inzwischen auch Jazzkeller, die für Jugendliche nachmittags geöffnet hatten. Hier spielten überwiegend amerikanische Bands. Es wurde aber nicht gerne gesehen, dass wir Jugendliche in Lokale gingen, in denen Amis
verkehrten. Die meisten von uns mussten zu Hause sein, wenn es dunkel wurde, das betraf besonders uns Mädchen. Dass man auch vor Einbruch der Dunkelheit diese Lokale besuchen konnte, hatte sich bei den Erwachsenen zum Glück nicht herumgesprochen.
Später hatten viele meiner Schulkameradinnen amerikanische Freunde, manche heirateten US-Soldaten und gingen mit ihren Männern in die Vereinigten Staaten, nachdem deren Militäreinsatz in Deutschland beendet war. Diese jungen Frauen wurden von vielen glühend beneidet und von anderen als Ami-Flittchen
beschimpft. Ich habe leider nie erfahren, ob sie im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auch wirklich ihr Glück fanden.
Als junge Erwachsene haben wir als Paare die Offiziersclubs der US-Army besucht. Man musste am Empfang seinen Ausweis abgeben und wurde einer kurzen Sicherheitskontrolle unterzogen, dann ging man ins Casino
und war in Amerika. Die Tanzorchester spielten hier Swing, Boogie Woogie und Rock’n’roll, Jazzbands überwiegend Oldtime Jazz. Es gab ausschließlich Livemusik und die Tanzfläche war riesengroß. Jeder Drink, egal was es auch immer war, kostete einen Quarter, also einen viertel Dollar. Der US Dollar war damals ungefähr 4 DM wert.
Es wurde Wert auf korrekte Kleidung gelegt, die Herren trugen Jackett und Krawatte und bei den Damen waren Hosen nicht gerne gesehen. Später habe ich bei USA-Aufenthalten festgestellt, dass hier die Kleiderordnung sehr lässig gehandhabt wurde.
Die US-Soldaten hatten ihre eigenen Supermärkte, die PX-Stores,Der Army & Air Force Exchange Service, abgekürzt AAFES, ist eine Konsumgüterversorgungskette mit eigenen Ladengeschäften des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums, die der Versorgung der US Army und der US Air Force dient. Der Vertrieb erfolgt über die Geschäfte auf den Stützpunkten, die als PX
für Post Exchange oder BX
für Base Exchange bezeichnet werden. Grundsätzlich sind die erhältlichen Waren, wie zum Beispiel Bekleidung, Haushaltswaren, Kosmetika und Elektronik, steuerfrei. Aus diesem Grund dürfen ausschließlich Militärangehörige der US-Streitkräfte sowie, unter bestimmten Voraussetzungen, Angehörige von verschiedenen NATO-Einheiten diese Verkaufseinrichtungen nutzen.Quelle: Wikipedia.de in denen GI's und US-Zivilangestellte unverzollte, amerikanische Waren kaufen konnten. Besonders billig und deshalb für uns Deutsche interessant waren Whiskey und Zigaretten. Fast jeder in unserer Gegend kannte jemanden, der wiederum jemand kannte, der zu diesen Supermärkten Zugriff hatte. Die damals noch preiswerten deutschen Zigaretten wurden durch die noch billigeren amerikanischen Chesterfield, Marlboro oder Lucky Strike ersetzt. Den amerikanischen Bourbon-Whiskey gab es in den großen einhalb Gallonen Flaschen (ca. zwei Liter) auf jeder Party.
Einmal jährlich öffnete der Militärflughafen der US-Luftwaffe, der einen großen Teil des Rhein-Main-Flughafengeländes in Frankfurt beanspruchte, seine Tore zum Tag der offenen Tür. Dies wurde von der Bevölkerung gut angenommen und ich war auch häufig dort.
Ein Grund, warum wir immer wieder zu dieser Veranstaltung gingen, war ein riesiger Kühl-Truck voll Speiseeis. Von der Laderampe wurden große Boxen Eis für einen minimalen Preis verkauft. Die meisten Besucher kamen deshalb mit großen Kühltaschen und deckten sich für die nächsten Monate mit dem sahnigen Speiseeis ein. Für uns waren diese Einkäufe der Anlass, die erste Gefriertruhe zu kaufen, ein Haushaltsgerät, das damals noch neu auf den Markt war.
Auf dem Flughafengelände konnte man das große Transportflugzeug Lockheed C-5 Galaxy
besichtigen sowie verschiedene andere Militärflugzeuge.
Als Rahmenprogramm gab es ein von den Soldaten organisiertes Volksfest, das im Nachhinein an einen Kindergeburtstag erinnert. Es wurden einfache und derbe Spiele veranstaltet. Zum Beispiel saß ein junger Mann in voller Kleidung auf einem ca. zwei Meter hohen Brett, darunter stand eine große Plastikwanne mit Wasser. Die Konstruktion des Brettes war so, dass man mit einem Ball einen gewissen Punkt treffen musste, damit das Brett kippte und der Mann ins Wasser fiel. Jeder Ballwurf kostete einen viertel Dollar und wenn man traf und der Mann mit sämtlichen Klamotten ins Wasser klatschte, gab es ein großes Freudengeschrei.
Mit geringen Mitteln und einfachen Aktionen wurde eine fröhliche Stimmung erzeugt, die auf alle Besucher übersprang.
Da alles etwas größer war als bei uns, wurden auch Riesen-Steaks und Riesen-Burger sowie MarshmallowsMarshmallow (auch Mäusespeck, Hamburger Speck, Schaumzucker, Fruchtspeck selten Zuckerspeck ist eine Süßigkeit aus Eischnee, Geliermittel, Zucker sowie Aroma- und Farbstoffen. Ursprünglich wurden Marshmallows aus den Wurzeln des Echten Eibischs (Althaea officinalis) hergestellt. Ihr Name leitet sich von der englischsprachigen Bezeichnung Marsh Mallow (deutsch: Sumpf-Malve) für diese Pflanze ab. Heute wird aus Kostengründen meist Gelatine als Geliermittel verwendet, es sind aber auch Marshmallows mit koscherem oder pflanzlichem Geliermittel (Agar, Carrageen) erhältlich sowie Produkte, die ganz auf Geliermittel verzichten (z.B. Marshmallow-Fluff
).Quelle: Wikipedia.de gegrillt. Letzteres ist ein Schaumzucker, der auf einen Spieß gesteckt und über dem Feuer geröstet wurde.
In den späteren Jahren ließ der Einfluss der US-Armee aufgrund der geänderten politischen und wirtschaftlichen Lage auf unseren Alltag nach.
Jeans, Coca-Cola und Kaugummi sowie viele spätere Importe aus den USA wie Windows, Apple, McDonald und viele andere praktische und unsinnige Dinge werden sicher auch in Zukunft in unserem täglichen Leben selbstverständlich sein.
Nachdem ich meine persönlichen Erinnerungen an die frühen Jahre der US-Army in Deutschland niedergeschrieben habe, steht nun fest, dass der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika Obama heißt. Es ist die zweite Amtszeit eines schwarzen Präsidenten.
Dass ein Schwarzer einmal Präsident der USA werden würde, war damals vollkommen undenkbar.