Entwicklungshilfe
Während meiner langjährigen Tätigkeit im Personalwesen habe ich viele Menschen und ihre Biografien kennengelernt. In den 90er Jahren beschäftigte mich das Geschehen um einen Kollegen auch über die Dienstzeit hinaus, sodass es mir noch stark in Erinnerung geblieben ist:
Der Mitarbeiter war promovierter Ingenieur in leitender Position. Ich erlebte ihn als einen netten, älteren, grauhaarigen Herrn, der stets ruhig und freundlich war. Seine Mitarbeiter schätzen ihn als loyalen und kompetenten Vorgesetzten.
Am Rande von geschäftlichen Besprechungen unterhielten wir uns auch oft über private Dinge. Er war mit einer Afrikanerin verheiratet, über die er immer liebevoll und voller Wertschätzung sprach. Bei einer Betriebsfeier lernte ich seine Frau persönlich kennen und erlebte sie als eine sehr kultivierte Dame mit schwarzer Hautfarbe, die mir auf Anhieb sympathisch war. Das Ehepaar war nach meiner Einschätzung etwa gleichaltrig.
Der Kollege stand kurz vor der Rente und hatte große Pläne für die Zukunft. Er hatte vor, sein Wissen und Können, sowie auch private finanzielle Mittel, dem Aufbau und der Modernisierung des afrikanischen Heimatortes seiner Frau zur Verfügung zu stellen.
Bereits die letzten Jahre seines Arbeitslebens verbrachte er jede freie Zeit in Afrika, um dort mit Hilfe seiner Frau als Entwicklungshelfer tätig zu sein. Sein großes Vorbild war Karlheinz Böhm, der mit seiner Stiftung Menschen für MenschenAngesichts der Hungersnot in der Sahelzone wettete Karlheinz Böhm am 16. Mai 1981 in der Fernsehshow Wetten, dass…? mit dem Publikum,
Hilfe zur Selbsthilfe anbot.… dass nicht einmal ein Drittel der Zuschauer, die uns jetzt in Österreich, der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland zusehen, bereit ist, nur eine Mark für die hungernden Menschen in der Sahelzone zu spenden. Und diese Wette möchte ich gern verlieren.
Das Spendenziel wurde nicht erreicht, Böhm gewann somit seine Wette, aber es kamen rund 1,2 Millionen D-Mark zusammen.
Böhm bot daraufhin den Ländern Tschad, Sudan und Äthiopien seine Hilfe an. Von diesen reagierte Äthiopien als erstes auf dieses Hilfsangebot. Im Oktober 1981 flog Böhm erstmals nach Äthiopien und gründete am 13. November 1981 den Verein Stiftung Menschen für Menschen e.V.
in München, 1983 in Österreich, 1989 in der Schweiz, 1994 den Verein ohne Erwerbszweck Menschen für Menschen
in Belgien und 1995 den Deutschen Förderverein der Stiftung Menschen für Menschen e.V.
Im Jahr 2004 wurde die Äthiopienhilfe in eine Stiftung des bürgerlichen Rechts mit dem Namen Stiftung Menschen für Menschen – Karlheinz Böhms Äthiopienhilfe
umgewandelt.Quelle: Wikipedia
Nachdem ich selbst einige Mal in Afrika war und weiß, wie faszinierend dieser Kontinent ist, aber auch unter welchen schwierigen und unwürdigen Bedingungen viele Afrikaner leben müssen, fand ich es sehr interessant, mich mit dem Kollegen über seine Zukunftspläne zu unterhalten.
Leider blieb es nur bei den Plänen, denn das Schicksal wollte es anders. Während eines Afrika-Urlaubs erkrankte der Kollege. Er wollte sich nicht den afrikanischen Ärzten anvertrauen und flog deshalb kurzfristig, ohne seine Ehefrau, nach Deutschland zurück.
Er brach nach seiner Ankunft am Flughafen zusammen und kam sofort mit dem Notarztwagen in ein Krankenhaus. Er konnte noch kurz die Firma verständigen und sein engster Mitarbeiter brachte ihm die nötigsten Sachen wie Wasch- und Rasierzeug ins Krankenhaus. Dieser Mitarbeiter war sein einziger Kontakt, denn er hatte keine Kinder, offenbar auch keine Freunde und der Rückflug seiner Frau war erst ein paar Tage später gebucht.
Bevor die Ärzte eine genaue Diagnose stellen konnten, verschlechterte sich sein Zustand innerhalb kurzer Zeit dramatisch und er verstarb noch, bevor seine Frau zurück in Deutschland war. Außer seinem Mitarbeiter, der ihn besuchte, war er die letzten Tage seines Lebens ganz allein. Wir waren alle sehr traurig und fassungslos.
Aber die Fassungslosigkeit sollte noch anhalten. Ich musste das letzte Gehalt für den Verstorbenen, das noch weitere Gehälter für die Hinterbliebenen vorsah, sowie die Betriebsrente bzw. Witwenrente bearbeiten. Die Berechnungen und noch einige persönliche Gegenstände sollte seinen Erben, also seiner Witwe ausgehändigt werden.
Ich fiel aus allen Wolken, als eine junge, etwas forsch auftretende afrikanische Studentin zu mir kam und sich als die Witwe des verstorbenen Kollegen ausgab und mir offenbar gültige Papiere, sowie den Erbschein vorlegte. Mir fehlte aber die Bereitschaft, das sofort zu akzeptieren und vertröstete die junge Frau auf einen späteren Zeitpunkt, indem ich sagte, dass die Bearbeitung noch nicht fertig sei.
Ich informierte die Geschäftsleitung über diese Sachlage und wir begannen nachzuforschen.
Nach und nach kam heraus, dass unser Kollege nicht mit der uns bekannten und von ihm als seine Ehefrau vorgestellten Dame verheiratet war. Sie war aber dennoch seit vielen Jahren seine Lebensgefährtin.
Geheiratet hatte er jedoch mehrmals junge Afrikanerinnen. Nach unserer Einschätzung deshalb, um ihnen ein Studium oder eine Ausbildung hier in Deutschland zu ermöglichen. Er unterstützte sie auch während der Ausbildungszeit finanziell.
Wenn so viel Zeit verstrichen war, dass diese vermutlichen Scheinehefrauen ein eigenes Aufenthaltsrecht hatten oder das Studium beendet war, ließer sich scheiden und ging wieder die nächste mutmaßliche Scheinehe mit einer Afrikanerin ein. Die Frauen gingen dann gut ausgebildet wieder zurück in die Heimat.
Wir bekamen in der Personalabteilung davon nichts mit, denn der Termin der Scheidung und der Neuvermählung lag immer so, dass zu dem Zeitpunkt, wenn die Lohnsteuerkarte für das nächste Jahr ausgestellt wurde, als Familienstand verheiratet
eingetragen wurde.
Die junge Frau, die sich bei uns meldete, war also die rechtliche Ehefrau unseres verstorbenen Kollegen. Sie hatte Anrecht auf das gesamte Erbe, worauf sie sehr energisch ihren Anspruch geltend machte.
Ich musste ihr wohl oder übel alles aushändigen und die ausstehenden Zahlungen auf ihr Konto überweisen. Beileidsbezeugungen unterließ ich, zumal sie sich nicht im Krankenhaus blicken ließ und ich keinerlei Trauer bei der Dame erkennen konnte. Die Anteilnahme habe ich mir für die Lebensgefährtin des Kollegen aufgehoben. Diese wurde mit dem Verlust des Erbes dafür bestraft, dass ihr Partner, wenn auch in der Absicht zu helfen, anscheinend gegen Recht und Gesetz in unserem Land verstoßen hatte. Dies geschah vermutlich auch mit dem Wissen und Einverständnis der uns vorgestellten Ehefrau
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