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Die 50er - 70er Jahre

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Die 50er bis 70er Jahre, Nierentisch und Tütenlampe
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Fußball

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Fußball

Ich interessiere mich nicht für Fußball und ich verstehe auch nicht viel davon.

Mein Umfeld bringe ich zur Verzweiflung, wenn ich während eines Spiels frage, WER, WARUM gegen WEN spielt und WO das Spiel stattfindet, ob das Spiel pünktlich endet oder ob mit einer Verlängerung zu rechnen ist. Mir brachte das schon einige Platzverweise ein, kurz – man warf mich aus dem Raum, in dem die Fußballfans ihrer Leidenschaft frönten.

Was bringt eine Frau dazu, über Fußball zu schreiben, die bis heute nicht verstehen kann und will, warum 22 erwachsene Männer in kurzen Hosen auf dem Rasen einem einzigen Ball nachrennen und versuchen, ihn in ein offensichtlich viel zu kleines Tor zu schießen?

Ganz einfach: Man kommt in diesem Land an dem Thema nicht vorbei.

Aufgewachsen in Offenbach am Main, Heimat der Offenbacher Kickers und einer durch und durch verrückten Fußball-Fangemeinde wurde ich schon als kleines Kind mit dem Thema Fußball konfrontiert. Die Männer kannten kein anderes Gesprächsthema als Politik und Fußball oder umgekehrt. Aber nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen waren begeisterte Anhänger des Fußballspiels, oder vielleicht interessierten sie sich doch mehr für die Fußballspieler?

Das Kickerstadion steht am Bieberer Berg, der etwas außerhalb der Innenstadt liegt. Wobei Berg eine maßlose Übertreibung ist. Für uns Kinder im Flachland reichte jedoch der Hügel im Winter zum Rodeln. Während meiner ersten Schuljahre nahm mich meine zehn Jahre ältere Cousine Ruth manchmal mit zum Kickers-Stadion. Ich setzte mich auf den Gepäckträger ihres Fahrrades und sie radelte mit mir zum Bieberer Berg. An die Spiele kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an die ausgelassene und manchmal auch aufgebrachte Stimmung auf dem Fußballplatz und vor allem an die Bratwurst und die Limo, die mir Ruth in der Halbzeitpause spendierte.

Das Offenbacher Fußballidol hießHermann Nuber. Er hatte auch etwas Anständiges gelernt, denn er besaßals Metzgermeister eine Metzgerei in der Stadt. Viele Hausfrauen, auch meine Tanten, nahmen große Umwege in Kauf, um bei unserem Hermann einzukaufen.

Mein Stiefvater schickte seinem Schwager, der schon vor dem Krieg mit seiner Frau in die USA auswanderte, regelmäßig in Luftpostbriefen (mit hohen Portokosten) Zeitungsausschnitte, mit denen er ihn über den aktuellen Stand seiner Kickers auf dem Laufenden hielt. Zum Dank bekamen wir häufig Pakete aus Amerika mit Lebensmitteln und Kleidung, die wir im Nachkriegsdeutschland sehr gut gebrauchen konnten. Die Kleidung war allerdings aufgrund der für uns seltsamen Mode etwas gewöhnungsbedürftig.

Ich erinnere mich an die aufgeheizte Debatte, als die Kickers bei der Gründung der Bundesliga 1963 nicht berücksichtigt wurden. Es wurde über Betrug, Schieberei und Schlimmeres geschimpft. Es war eine Vorahnung von dem, was noch kommen sollte. Der Verein war aber erst mal draußen, konnte dann aber mehrmals aus eigener Kraft in die Bundesliga aufsteigen. Allerdings konnte er sich nie lange oben halten und musste bald wieder absteigen. Heute spielt er in der Regionalliga.

Den größten Erfolg feierten die Kickers Offenbach, als sie 1970 den DFB-Pokal gewannen. Als die Erfolgsmannschaft am Hauptbahnhof ankam und von dort ihren Triumphzug durch die Stadt nahm, waren wir bei Freunden eingeladen, die eine Erdgeschosswohnung in der Nähe des Bahnhofs hatten. Es war wie beim Kölner Karnevalszug, die Spieler fuhren in offenen, geschmückten Wagen dauerhupend durch die Stadt. Die Zuschauermenge stand eng aneinandergedrängt und laut jubelnd und fahnenschwenkend am Straßenrand. Wir bestaunten das Spektakel aus dem geöffneten Fenster. Plötzlich hangelten sich wildfremde Leute an der Hauswand hoch und kletterten zu uns ins Wohnzimmer. Wenn sie Eintritt in Form von Getränken zahlten, waren sie willkommen, und wir feierten gemeinsam den Sieg bis in die Nacht, denn WIR hatten ja den Pokal gewonnen.

Anfang der 70er Jahre war ich bei einer Frankfurter Maschinenfabrik beschäftigt. Der Direktor dieses Betriebes war Fritz Koch, der Schatzmeister von Kickers Offenbach. Sein Freund und häufiger Besucher in der Firma war Horst-Gregorio Canellas, Großhändler von Südfrüchten und Präsident des OFC, man nannte ihn auch den Napoleon vom Bieberer Berg.

Fritz Koch, Fritze wie wir ihn nannten, war ein sehr kleiner Mann. Er besaßaber eine natürliche Autorität, wie ich sie selten bei einem Menschen erlebt habe. Wenn er zum Sitzen auf den Stuhl springen musste, weil die Füße nicht bis zur Erde reichten, wagte niemand auch nur im Ansatz sich darüber lustig zu machen. Er war als Vorgesetzter geachtet, wurde aber auch als Schlitzohr bezeichnet.

Aufgrund der Verbindung des Chefs mit dem Fußballverein verfolgten die Kollegen und ich am Wochenende immer das Spiel der Kickers, denn wir mussten uns ja auf die Stimmung am Montagmorgen in der Firma einstellen. Gehaltsverhandlungen hatten nach einem Sieg die größten Aussichten auf Erfolg. Nach einer Niederlage ging man Fritze besser aus dem Weg.
Herr Koch war zuständig für die Finanzen des OFC. Da ich nach seiner Meinung mit meiner Arbeit als Finanz- und Gehaltsbuchhalterin nicht ausgelastet war, übertrug er mir Sonderaufgaben, die ich für den Verein erledigen musste. Auch andere Kollegen beorderte er ehrenamtlich zu Arbeiten für die Kickers. So sparte er für seinen Verein Personalkosten.

Ich war also für zwei Unternehmen gleichzeitig tätig und bekam als Angestellte einer Maschinenfabrik auch Einblick in die Interna eines Fußballvereins. Über die Höhe der Gehälter der Spieler war ich schon etwas erstaunt, denn nach meinem Verständnis gingen sie doch einfach nur ihrem Hobby nach. Heute weißich, dass für die damaligen Summen jetzt kein Profispieler auch nur aufstehen würde, wenn er gerade gut sitzt.

Auch mit den Transfers von Fußballspielern wurde ich beschäftigt. Mit dem Einkauf von Sigfried (Siggi) Held kam ein Nationalspieler in die Mannschaft, und mit Erwin Kostedde kam der erste farbige Spieler zum OFC. Einige Dumpfbacken meinten damals: Mer brauche doch kaan Neescher, aber sie wurden bald ganz still, denn dieser Spieler wurde der Rekordtorjäger und damit Publikumsliebling des Vereins.

Die Zusatztätigkeit für den Fußballverein konnte ich größtenteils in der normalen Arbeitszeit ausführen. Als Entlohnung bekam ich Aufmerksamkeiten wie beispielsweise Pralinen und Sekt der gehobenen Preisklasse, auch mal Theater- oder Konzertkarten, sowie eine großzügige Auslegung der gleitenden Arbeitszeit. Dieses Arbeitszeitmodell war zu dieser Zeit noch nicht üblich.

Herr Canellas, der ja auch Großhändler für Obst und Südfrüchte war, sorgte dafür, dass am Freitag immer Markttag in der Firma war. Dann fuhr ein LKW von der Großmarkthalle direkt in unsere Werkshalle und wir konnten uns während der Arbeitszeit mit frischem Obst und Gemüse zu äußerst günstigen Preisen eindecken.

Im Sommer 1971, als die Offenbacher Kickers aus der Bundesliga absteigen mussten, nahm das Verhängnis seinen Lauf. OFC-Präsident Canellas hatte Informationen, dass Spiele in der Bundesliga manipuliert wurden. Im Rahmen seiner Geburtstagsfeier, zu der auch der Bundestrainer Helmut Schön eingeladen war, ließer die Bombe platzen, indem er heimlich geschnittene Tonbandaufzeichnungen vorspielte. In diesen Aufnahmen war zu hören, dass er zum Schein, – wie er versicherte – auf Bestechungsversuche einging. Es kam zum Eklat zwischen Canellas und Schön und die ganze Affäre wurde öffentlich. Was nun kommt, ist Fußballgeschichte und ich will es auch nicht weiter erörtern, denn es gibt unzählige Veröffentlichungen darüber. Es waren jedenfalls die meisten Bundesligavereine darin verwickelt und viele Spieler und Funktionäre wurden vom DFB-Sportgericht gesperrt. Darunter auch Fritz Koch und Horst-Gregorio Canellas, der das Ganze erst ins Rollen gebracht hatte.

Es bewahrheitete sich wieder die alte Weisheit: Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.
Mit den Markttagen war es dann vorbei und von Herrn Canellas habe ich lange Zeit nichts mehr gehört, bis er 1977 wieder in die Schlagzeilen kam, weil er sich an Bord der von der RAF nach Mogadischu entführten Lufthansamaschine Landshut befand.

Von Fritz Koch, der eigentlich offiziell gesperrt war, bekam ich wie bisher zusätzliche Arbeiten für den OFC und ich war bis zu meinem Ausscheiden aus der Firma für den Verein tätig.
Später zog ich dann aus Offenbach weg, an die nördliche Stadtgrenze von Hamburg. Leider hat diese wunderschöne Stadt früher sehr wenig für ihre Außenwirkung oder wie man heute sagt, ihr Image getan. Wenn ich über meinen Umzug redete, musste ich mir einige Kommentare anhören.

Man stellte sich Hamburg überwiegend aus einer Mischung aus Reeperbahn, St. Pauli und Ohnsorg-Theater vor. Ach ja, Schiffe und Seeleute gab es auch. Für diese Erkenntnis hatte Hans Albers mit seinen Liedern gesorgt. Aber es gab auch noch den Hamburger Fußballverein HSV. Eine recht ordentliche Mannschaft haben die da oben, das war das höchste Lob, das ein OFC-Fan für einen anderen Verein übrig hatte, … und der Uwe Seeler, ja so einen gibt's nicht noch mal, dieser Hamburger Fußballer stellte sogar das Offenbacher Idol Hermann Nuber in den Schatten.

In meiner neuen Heimat interessierte mich aber der Fußball anfangs herzlich wenig, bis einige Jahre später mein Enkel zur Welt kam. Er konnte kaum richtig laufen, da kickte er schon mit dem Ball durch die Gegend. Im Grundschulalter war er Mitglied im Fußballverein um die Ecke und wir hatten sonntags Fahrdienst zu den verschiedenen Spielstätten in der Umgebung. Selbstverständlich war Junior auch Mitglied im HSV-Kids-Club und bekam persönliche Geburtstagsgrüße von Raffael van der Vaart, seinem Lieblingsfußballspieler, – damals. Es gab Kindergeburtstage im HSV-Stadion und Ferien im HSV-Fußballcamp.

Es versteht sich von selbst, dass ich nun auch wieder genau über Fußball, insbesondere den HSV, Bescheid wissen musste. Ich wollte ja nicht als alte Oma dastehen, die von rein gar nichts eine Ahnung hat.

Jetzt war ich auch häufig beim HSV, aber nicht auf dem Fußballplatz, sondern im HSV-Fan-Shop. Dort kaufte ich, ganz gegen meine Vernunft, die überteuerten HSV-Trikots in Minigröße, die bereits ein Jahr später nicht mehr passten, und sonstigen Krimskrams mit dem HSV-Logo. Ich benahm mich also wie ein echter Fan, der nicht nur von reiner Vernunft geleitet ist.

Heute ist der junge Mann aus den Minitrikots herausgewachsen und hat das Fußballspiel zugunsten anderer Sportarten aufgegeben.
Und ich darf jetzt wieder offen zugeben: Ich interessiere mich nicht für Fußball.

  • Autorin: Margot Bintig, 21. Juni 2014
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