Frauenarbeit?
Nach zwei Jahren Tätigkeit in einem Norderstedter Architekturbüro wollte ich mich beruflich verändern.
In den 1970er Jahren war das Hamburger Abendblatt eine gute Möglichkeit, um eine Stelle zu suchen. Damals waren die Stellenangebote noch nach männlich und weiblich unterteilt, zum Beispiel: Kaufmännisch weiblich
. Ich für meinen Teil musste unter Technisch männlich
schauen, nur dort gab es Angebote für Bauingenieure, nach einer Bauingenieurin suchte niemand. Schnell wurde ich fündig und ein Anruf genügte, um zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.
So landete ich 1973 in Blankenese, in dem Zweigbüro des bekannten Flensburger Architekten Sönnichsen. Ich erinnere mich noch an die Aussage meines neuen Chefs. Wenn Sie ein Mann wären, könnten Sie hier auch Bauleitung machen!
Das machte mich zwar etwas stutzig, aber eigentlich wollte ich mich auch viel lieber mit Planung und Entwurf beschäftigen. Erfahrungen in Bauleitung hatte ich im vorigen Büro und bei meinen privaten Aufträgen bereits gesammelt.
Mein Chef Herr Sönnichsen (†) war selten in Hamburg. Das hiesige Büro wurde von einem guten Architekten, Anfang 40, geleitet, der besonders erfahren im Krankenhausbau war. Sonst war er allerdings reichlich sonderbar, ließ sich noch von seiner Mutter versorgen, was uns oft zum Schmunzeln brachte, wenn er seine Mutter anrief und beispielsweise nach seiner Kragenweite fragte, weil er sich ein Hemd kaufen wollte.
Unser Team, sechs Bauingenieure, davon zwei Frauen und eine Sekretärin, arbeiteten erfolgreich zusammen. Wir waren ein junges Team im Alter ab Mitte zwanzig bis Anfang dreißig, verstanden uns prima, auch privat.
Ein Kollege, Rolf Klingelhöfer (†) spielte Kornett bei den Jazz Lipps, deren Konzerte wir zusammen besuchten. Die Schwester eines anderen Kollegen war Schauspielerin und hatte ein Engagement in den Kammerspielen, wo wir mehrere Premieren erlebten und anschließend mit den Schauspielern feierten.
Unser Team vergnügte sich gern, und wenn der Büroleiter Außentermine hatte, kam schon mal die Sektflasche auf den Tisch.
Trotz einer Menge Spaß arbeiteten wir enorm viel. Überstunden und Wochenendarbeit waren an der Tagesordnung. Wir planten und entwarfen viele interessante Objekte wie den Neubau der Deutsche Bank mitten in Lüneburgs Altstadt, die Sanierung mehrerer Krankenhäuser. In Auftrag hatten wir auch die Sanierung des katholischen St.-Franziskus-Hospitals in Flensburg, in dem Nonnen im Habit die Kranken versorgten. Mit dem Geschäftsführer des Hospitals und vier Ordensschwestern besichtigten wir den OP-Bereich des Harburger Krankenhauses. Beim anschließenden Restaurantbesuch erregten wir schon etwas Aufsehen, als wir mit vier Nonnen ins Lokal marschierten. Die Zeit mit den Ordensschwestern war sehr nett, die Nonnen konnten viele lustige Geschichten und Anekdoten erzählen.
Das Hauptbüro in Flensburg hatte das neue Verwaltungsgebäude für Beate Uhse, einen modernen sechseckigen Bau, geplant, ein in der Architekturwelt viel beachtetes Projekt. Bei einem Termin in Flensburg konnte ich mir das gerade fertiggestellte Gebäude anschauen. Gleich im ersten Büro stand auf dem Schreibtisch ein etwa halber Meter hoher Plastik-Penis, der mir, dem Mädchen vom Lande, die Röte ins Gesicht steigen ließ.
Spannend waren auch die vielen Architekturwettbewerbe, an denen wir teilnahmen. Um die Termine einzuhalten, hieß es manchmal rund um die Uhr arbeiten. Ich kann mich noch gut an einen Arbeitstag erinnern, der erst nach 29 Stunden endete.
An einem Sonntagmorgen waren der Chef und ich die ersten im Büro. Die vielen schmutzigen Tassen störten ihn. Mich auch, aber an diesem Tag war einer der Männer mit Abwaschen dran, das war eigentlich ganz normal und das sagte ich ihm auch. Seine Antwort war leider ernst gemeint: Aber das ist doch Frauenarbeit!
Ich war sprachlos und blieb es den ganzen Tag und ärgerte mich so, dass mein Kreislauf reagierte und mir zeitweilig schwindelig wurde. Mein Chef sah nicht den wirklichen Zusammenhang und erwähnte anerkennend, dass ich bis zum Umfallen arbeiten würde.
Am Mittag lud uns unser Arbeitgeber zum Essen in ein nettes Lokal an der Elbe ein. Dabei diskutierten wir auch über das neue Büro, das wir in Kürze beziehen sollten. Bei dieser Gelegenheit bekam der Büroleiter den Auftrag, für die Küche einen Geschirrspüler zu bestellen, vermutlich, weil Abwaschen für die Herren eine Zumutung war.
Wenn ich heute darüber nachdenke, machten nur wir Frauen Besorgungen, besonders private für den Chef. Klar, so ein Spaziergang in die Stadt war zwischendurch ganz abwechslungsreich, wer protestiert da schon.
Mein Verdienst war überdurchschnittlich und die Überstunden wurden alle bezahlt. Wir hatten damals schon gleitende Arbeitszeit auf Vertrauensbasis, ohne Stechuhr. Über das Gehalt sprechen, war absolut tabu. Heute vermute ich allerdings, dass wir beiden Architektinnen weniger auf dem Lohnzettel hatten als die Männer.
Als die Auftragslage schlechter wurde, rief uns der Chef zu einer Besprechung zusammen und stellte uns die Änderungen vor. Fast alle Vergünstigungen wurden zurückgenommen, die Stundenzettel mussten jetzt auf die Minute genau ausgefüllt werden und bezahlte Überstunden fielen weg. Wem es nicht passt, kann bis morgen früh acht Uhr kündigen
, so der Schlusssatz unseres Arbeitgebers. Von den Neuerungen waren wir nicht gerade begeistert, mussten es aber erstmal hinnehmen. Ein Kollege ließ sich das nicht bieten und kündigte am nächsten Morgen, ohne dass er eine neue Stelle hatte. Die allgemeine Stimmung veränderte sich und die Anzahl der Mitarbeiter verringerte sich im Laufe der Zeit immer mehr.
Gerade, als ich überlegte, mich auch nach einem anderen Job umzusehen, besuchte mich überraschend mein früherer Chef aus Norderstedt und fragte, ob ich nicht wieder bei ihm arbeiten wolle. Auch hier waren die Aufträge im Laufe des Jahres zurückgegangen und inzwischen alle Mitarbeiter bis auf die Sekretärin entlassen. Nun waren neue Planungen in Sicht und eine Architektin wurde wieder gebraucht. Ich habe nicht lange gezögert und bin wieder im Norderstedter Büro angefangen. Die nächsten Jahre haben wir im Dreier-Team: Chef, Sekretärin und ich, gearbeitet. Bis zur Geburt meines ersten Sohns 1980 bin ich geblieben.