Doppeltes Fahrgeld !
An manch einem Sonntag wurde ein Besuch bei meinem Onkel meiner Mutter gemacht. Tante Ilse und Onkel Adolf hatten ein kleines Behelfsheim in Billwerder-Moorfleet. Das ist ein Stadtteil von Hamburg. Es gibt über 100 Stadtteile in Hamburg. Die Straße hieß: Am Industriekanal
- mit direkter Sicht auf den Kanal.
Nach dem Mittagessen um ca. 13 Uhr gingen meine Eltern mit meinem Bruder und mir zur Straßenbahnhaltestelle. Winterhuder-Weg - Ecke Schenkendorfstraße. Die Straßenbahn Linie 14 Richtung Veddel kam noch nicht, so hatte man noch Zeit in die Schaufenster der Geschäfte zu schauen.
Interessant war immer das Radio- und Fernsehhaus Ellinghaus mit den neuesten Geräten auf dem Markt. Meine Eltern hatten Anfang der 60er Jahre noch keinen Fernseher im Hause. Nebenan war die Bäckerei-Herling, dann kamen Spirituosen-Niebur, ein Zeitungsladen, Bäcker-Nagel und noch 2 kleinere Geschäfte. Die Straßenbahn hörte man bereits von weitem kommen und das Geratter kannte man schon. Der Einstieg in die Straßenbahn war hinten. Dort saß auch der Schaffner für die Fahrscheine und vorne der Fahrer. Mein Vater löste 4 Fahrscheine bis Berliner Tor bitte
, sagte er.
Ab ungefähr1965 wurden die Triebwagen zu Einmannwagen umgerüstet. Somit musste der Fahrer gleichzeitig kassieren und die Haltestellen durchsagen. Station Berliner Tor
stiegen wir aus der Straßenbahn aus. Wir gingen über die Straße zur Hamburger S-Bahn. Am Fahrkartenschalter mit Personal der S-Bahn löste mein Vater 4-mal Billwerder-Moorfleet
und wir gingen ca. 30 Stufen hoch, auf den Bahnsteig, Richtung-Bergedorf.
Am Anfang der 60er Jahre gab es noch nicht den HVV-Tarifverbund, einmal bezahlen und alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Heute gibt es die Gruppenkarte bis fünf Erwachsene plus Kinder und ab geht es. Der Verbund wurde im November 1965 gegründet. Dazu gehörte die Deutsche-Bundesbahn (S-Bahn), die Hamburger Hochbahn, mit Straßenbahnen, U-Bahnen sowie Buslinien, die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein und die HADAG.
Somit musste mein Vater vor 1965 mit den Öffentlichen-Verkehrsmitteln, das doppelte Fahrgeld bezahlen. Die Fahrkarten für die S-Bahn gut aufheben
sagte mein Vater. Die S-Bahn hatte drei Wagen, in der Mitte war die erster Klasse. Die durfte man nur mit einem extra Zuschlag zur Fahrkarte benutzen!! Die anderen beiden Wagen waren zweiter Klasse. Wir fuhren drei Stationen, Rothenburgsort, Tiefstark, Billwerder-Morfleet. Es war immer eine interessante Strecke, links der Fahrtrichtung war eine große Sandfirma an einem Kanal. Dort lag meistens ein Binnenschiff fest zur Abfertigung. Rechts der Fahrtrichtung konnte man viele Güterwaggons und Lokomotiven sehen, die schnell mal zu zählen, einfach unmöglich!! Dafür war der Rangierbahnhof - Hamburg-Rothenburgsort zu groß für damalige Verhältnisse. Jetzt Richtung Tiefstark auf der Rechten Seite standen viele Dampfloks dicht gedrängt zusammen es waren viele der Baureihe 094.
Dann kam das Heizkraftwerk Tiefstark, was man nicht übersehen konnte! In Billwerder-Moorfleet angekommen, verließen wir die S-Bahn und standen auf einem Mittelbahnsteig. Heute gibt es zwei Seitenbahnsteige, und keinen Mittelbahnsteig mehr. Ein Zugabfertiger war auf dem Bahnsteig immer da und seine Pfeife konnte man nicht überhören bei Abfahrt des Zuges. Auf der rechten Seite war eine große Autospedition zu sehen, dort standen viele LKW und Personenautos zum Abtransport bereit. Man musste einige Treppen bewältigen um zum Ausgang zu gelangen. Dort saß ein Mitarbeiter, der zog unsere Fahrkarten der S-Bahn wieder ein.
Gerne hätte ich die Fahrkarten behalten, was aber nicht ging. Mein Onkel und mein Cousin warteten schon auf uns. Im Bahnhof war ein Kiosk, dort kaufte mein Vater uns Kindern ein Capri-Eis am Stiel von Langnese. Auf dem Weg zum Behelfsheim meines Onkels kamen wir an einen Lebensmittelladen der Produktion (Pro) vorbei. Es war eine kleine Einkaufsstätte, mit den Geschäften von heute nicht zu vergleichen von der Größe. Aber die Nahversorgung war OK. Dann kamen wir an vielen Häusern vorbei. Jedes Haus sah anders aus, auch jeder Vorgarten. Behelfsheime wurden nach dem Krieg erbaut und hatten einen großen Garten. Er diente zur Selbstversorgung mit Obst, Gemüse und Kartoffeln.
Vor dem Haus meines Onkels befand sich die schmale Straße Am Industriekanal
und dann kam schon die Uferböschung. Der Kanal endet hier, wie eine Sackgasse auf der Straße. Von Weitem sah man die drei roten Sendetürme des NDR, die stehen am Unteren Landweg
, Richtung Bergedorf. Der höchste Sendemast hat eine Höhe von 304 Meter.
Meine Tante hatte noch einen Bruder mit zwei Jungs in meinem Alter. Die kamen dann auch zu Besuch, wenn wir da waren. Die Jungs erzählten uns Neues aus Hamburg-Eppendorf, mein Cousin aus Billwerder-Moorfleet und ich aus Barmbek. Der Mund stand bei uns vieren nicht still. Mein kleiner Bruder sah sich lieber den Garten an. Meine Cousine wollt nicht mit Jungs spielen und verkroch sich im Haus. Für Städter war es interessant, was es im Garten meiner Tante und meines Onkels gab. Flugenten, Kaninchen, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Äpfel, Zwiebeln, Wurzeln, Kartoffeln, Petersilie und noch vieles mehr. Bei Kaffee und Kuchen saßen die Erwachsenen im Wohnzimmer und wir Kinder in der Küche. Die Küche war immer ideal zum Kaffeetrinken, für uns Kinder gab es Milch und Kakao. Wir brauchten unsere Stimme nicht zu drosseln! Milch in der Flasche, hatte meine Tante immer von Alster-Milch in der Ein-Liter Glasflasche auf dem Küchentisch für uns Kinder stehen. Dann wurde wieder draußen gespielt bis zum Abendbrot, natürlich in der Küche. Unsere Stimmen waren noch nicht heiser und wir erzählten weiter und weiter!
Nach dem Abendbrot traten wir die Rückreise an, meistens waren wir gegen 21 Uhr zurück. Nun musste man noch 60 Treppenstufen steigen um in die Mietswohnung zu gelangen. Am nächsten Tag hatte man in der Schule viel zu erzählen, von einem anderen Stadtteil Hamburgs.
Wie war man doch reich auch ohne Handy und vieles mehr!