Bloß nicht langweilig!
Wer hat gesagt, dass im Alter das Leben langweilig wird? Blödsinn! Im Alter kann das Leben durchaus abenteuerlich und aufregend werden, aber ob so was immer angenehm wird, ist eine ganz andere Frage.
Also, am Donnerstag, dem 23. März dieses Jahres bin ich einkaufen gegangen. Im Supermarkt habe ich Brot und Gurke, Forelle, Käse und Rinderleber gekauft. Ich habe bar bezahlt und am speziellen Tischchen die Lebensmittel in meinen Rucksack eingepackt, auch die Geldbörse. Beim Ausgang aus dem Laden musste ich noch ein bisschen warten, weil ein Schauer mit Donner und Blitz ausgebrochen war. Aber dann habe ich meinen Regenschirm aufgemacht und bin trotz des Gewitters doch gegangen.
Als ich bei meinen Enkeln angekommen bin, habe ich festgestellt, dass mein Rucksack geöffnet und die meisten Lebensmittel weg sind, auch die Rinderleber, und meine schöne braune Geldbörse , die ich schon 20 Jahre besitze, ist auch weg. Und in der Geldbörse waren: der Ausweis, den man mir erst im Februar neu ausgestellt hat, die Bankkarte, die Krankenkassenkarte, und noch andere Karten, die nicht so wichtig sind. Als ich begriffen hatte, welche Arbeit, welche Sorgen mir bevorstehen, habe ich gedacht: am liebsten sofort sterben! Warum nicht?
. Leider kann man den Zeitpunkt nicht frei auswählen, also musste ich die bevorstehende harte Arbeit annehmen. Zuerst habe ich in Begleitung meines Schwiegersohnes den Weg zum REWE zurückgelegt und dort gefragt, ob meine Geldbörse zurückgegeben wurde. Natürlich nicht, und leider gibt es nur in TV-Krimis sofort eine Überwachungskamera, die den Diebstahl aufgezeichnet hätte. Dann sind wir zu der Bank gelaufen, wo meine Bankkarte sofort gesperrt wurde und dann zur Polizei. Die war aber schon geschlossen, obwohl es noch früh war. Noch eine Dame kam angelaufen, mit einer eleganten roten Tasche, aus der man bei ihr eben auch das Portemonnaie geklaut hat.
Meine politisch unkorrekte Nachbarin sagte dazu: Na ja, das ist so, weil man nach Deutschland alle diese Flüchtlinge, den ganzen Pöbel hereinlässt
. Als ich antwortete, dass wir doch auch vor 30 Jahren Flüchtlinge waren, sagte sie: Damals war alles anders
. Ja, es war anders. Als ich vor 30 Jahren spät in der Nacht von meiner Arbeit in der Musikhalle nach Hause kam, hatte ich niemals Angst, dass mich jemand überfällt und ich bestohlen werde.
Und jetzt habe ich beschlossen, die Geldbörse nur in der Manteltasche zu tragen und keine wichtigen Karten (z.B. Ausweis) dort zu halten. Übrigens, meinem Bekannten wurde die Geldbörse aus der Hosentasche geklaut. In Spanien, hat unser Reiseleiter uns erzählt, behängt sich der Lehrer bei der Ausbildung der Taschendiebe mit Glöckchen, und der Lehrling
muss so hantieren, dass kein Glöckchen läutet. Vielleicht sind solche Spezialisten auch bereits nach Deutschland importiert?
Am Freitag ging ich zur Polizei. Sie sollten mir einen Bescheid ausstellen für alle zuständigen Behörden, die ich besuchen muss. Das erste Mal sah ich die Polizeiwache von innen. Man hat mich in den Verhörraum gebracht und ein Polizist hat detailliert aufgeschrieben, was man mir alles geklaut hat und auch die Rinderleber nicht vergessen. Aber Freitagnachmittag war es zu spät für die Behörden, dieses Vergnügen
habe ich mir für Montag aufgehoben.
Zuhause hatte ich einen Anruf bekommen. Eine nette Frauenstimme fragte: Sie sind die Frau aus Moskau, die bestohlen wurde? Gleich wird mein Mann zu Ihnen kommen und Ihre Geldbörse zurückbringen
. Ich konnte keine Worte finden, um mich zu bedanken. Ohne Brille, ohne Hörgerät bin ich zum Fahrstuhl herausgelaufen.
Der ältere Mann hat mir seinen Ausweis gezeigt und gesagt, dass in dem Beutel leider kein Geld und keine Bankkarte ist, aber mein Ausweis war da! Aus Nervosität und ohne meine Ersatzteile
hatte ich kaum was verstanden. Meine Tochter hat bei der Dame zurückgerufen, um sich für mich zu bedanken. Die Dame hatte erzählt, dass ihr Mann Rentner ist, aber früher bei der Polizei arbeitete und er kennt sich aus, wo man verlorene Sachen finden kann. Meine Börse war im Müllcontainer beim Eingang zur Polizeiwache. Und bitte-bitte keine Geschenke!
Es ist eine Woche vergangen. Heute fand ich in meinem Briefkasten eine neue Bankkarte. Die Geschichte ist vorbei, und mein Leben kann wieder langweilig werden.