Selbstversorgung
Im Jahre 1958 wurde meiner Mutter von ihrer Gewerkschaft eine Parzelle zugeteilt. Damals hat Chruschtschow entschieden, den Arbeitern ein eigenes Grundstück von 800 Quadratmetern zu geben. Dieses Grundstück wurde, Gott bewahre, kein Privateigentum, der Staat hat die Erde den Arbeitskollektiven
verpachtet, und der Besitzer des Kleingartens sollte dort Obstbäume pflanzen und Gemüse anbauen, um die Bedürfnisse der Bürger besser zu befriedigen
. Es war erlaubt, dort ein kleines Gartenhaus ohne Ofen zu bauen. Und die Arbeiter, die in der Stadt ihre Wohnung mit Nachbarn teilen mussten, entwöhnt, für sich selbst zu arbeiten, nicht für den Staat, begrüßten enthusiastisch die Idee, etwas Eigenes zu haben. Die Lage der Versorgung mit Lebensmitteln im Land war sehr mangelhaft, immer war etwas Defizit
, und die Selbstversorgung mit Obst, Kartoffeln, Gemüse konnte das Überleben leichter machen.
Leider wurden diese Kleingärten ziemlich weit von Moskau vergeben. Unsere Parzelle lag in der Nähe des Dorfes Pokrovka, 75 km von Moskau entfernt. In der Umgebung von Pokrovka wurden 10.000 (!!!) Kleingärten eingerichtet. Sie begannen am Rande des Dorfes und die letzten lagen fast fünf Kilometer entfernt. Wir mussten zu unserem Garten von der Bahnstation mindesten 45 Minuten laufen.
Zuerst war das Leben in Pokrovka nicht leicht. Es gab weder Wasser noch Strom. Die Wege waren katastrophal, nur im Hochsommer konnte man die Parzelle mit einem Auto erreichen (damals hatten die Wenigsten ein Auto), nach einem Regen konnte nur noch ein Traktor durchfahren. An Wochentagen im Sommer befanden sich in Pokrovka etwa 30.000 Menschen. Am Sonntagabend sind Tausende mit Früchten der Erde beladene Leute zur Bahn geeilt und drängten sich auf der Plattform. Es war ein richtiger Kampf, um in den Zug einzusteigen, als wäre es der letzte Zug im Leben.
Im Dorf gab es einen kleinen Lebensmittelladen, der war aber nicht jeden Tag geöffnet. Stundenlang musste man warten, bis ein Lastwagen mit Brot kam. Lebensmittel mussten wir aus Moskau heranschleppen. Beim Besuch in Pokrovka hat mein Rücksack mindesten 15 Kilo gewogen.
Nach zwei Jahren, als unser Häuschen fertig war (größer als erlaubt und mit Ofen), beschloss unsere Familie, den ganzen Sommer auf der Datscha
zu verbringen, sogar zusammen mit der Oma.
Unser Nachbar lebte auf der Parzelle sogar im Winter und hatte Hühner gehalten, obwohl es nach den Statuten verboten war. Meine Mutter hatte entschieden, auch im Sommer Hühner zu halten, um sie nach und nach zu schlachten und frisches Fleisch zu haben.
Also ist sie am 30. April zur Zoohandlung gefahren, hat dort in einer langen Schlange gestanden, und ist mit einem großen Karton nach Hause gekommen. Im Karton piepten 30 kleine, gelbe Küken, einen Tag alt. An dem Tag bin ich früher von der Arbeit gekommen und sah den Karton. Kleine flaumige Küken drückten sich dort aneinander und zitterten, vielleicht haben sie gefroren. Für uns fing eine harte Zeit an. Wir hatten Eier hart gekocht, sie zerbröckelt und die Kleinen gefüttert, das war problemlos. Aber mit dem Trinken war es schwer - wir stellten eine flache Schüssel mit Wasser hin, aber die blöden Küken kletterten hinein und wurden nass. Wir wussten, dass es eine Lungenentzündung hervorrufen könnte. Also musste man jedes einzeln aus einer kleinen Untertasse tränken. Manche Küken tranken nur bei Mama aus dem Mund. In der Wohnung war es kalt, man hatte schon aufgehört zu heizen. Mutter nahm ein Bügeleisen, verpackte es in alte Handtücher und stellte es in den Karton. Die Küken drängten sich um das Bügeleisen, warfen es um. Eines starb, bei einem anderen war ein Beinchen gebrochen. Ich weinte bittere Tränen um die Opfer und wir beschlossen diese ganze Idee aufzugeben. Wie konnte man solche beweinten Geschöpfe nachher noch schlachten und verzehren?
Aber wohin mit den Küken? Wir mussten noch zwei Tage durchhalten, und am ersten Arbeitstag fuhr Mutter mit dem Karton zur Zoohandlung. Die Küken hat man ihr sofort abgekauft, im Flaum hatten sie schon kleine Federchen.
Also musste ich wieder Fleisch oder Konserven aus Moskau heranschleppen. Eines Tages kauften wir beim Nachbarn ein lebendiges Huhn. Man musste es schlachten. Mutter hat es gehalten, der Stiefvater nahm das Beil. Aber die beiden Akademiker versagten, das Huhn riss aus und verschwand im Garten mit einem halb abgehacktem Kopf. Man musste den Nachbarn zuhilfe rufen. Dann rupften Mutter und ich die Federn und beschmutzten damit das gesamte Grundstück. Die Hühnersuppe konnte nur Oma genießen, die das ganze Getue nicht mitbekommen hatte. Uns hat die Suppe nicht geschmeckt. Wir beschlossen, dass es einfacher und besser ist, mit Konserven zu leben.
Und wie hatten unsere Omas in alten Zeiten lebendiges Federvieh vom Markt nach Hause gebracht? Wahrscheinlich verliert der Mensch mit dem Fortschritt manche seiner Fähigkeiten. Ich zum Beispiel habe schon ganz vergessen, wie man ein Huhn ausnimmt.
Das war es zur Frage der Selbstversorgung.