Der Leuchtturm
Zum ersten Mal sah ich den Leuchtturm von Punta Mogotes, als ich mit meinem Vater den an der südlichen Küste der Provinz Buenos Aires liegenden Badeort Miramar besuchte. Eigentlich war es keine Urlaubsreise, da mein Vater an diesem Ort die Kühlanlage vom Dormy House
— eine Ferienanlage der Führungskraft der damals noch britischen Eisenbahnlinie F.C.General Roca
— überprüfen sollte.
Es war im Sommer 1942 und für mich die erste große Reise (etwa 450 Kilometer südlich von Buenos Aires entfernt). Natürlich nutzten wir die warmen Nachmittage, um uns an der herrlichen Atlantik-Küste zu vergnügen. Hier konnte ich endlich meine im Schwimmbad erworbenen Kenntnisse zu Geltung bringen. Leider hatte ich nicht mit der Gewalt der Wellen gerechnet. Als ich stolz nach gelungenen Schwimmübungen mich aufrecht zum Strand bewegte, erfasste mich plötzlich ein Brecher von hinten und schleuderte mich buchstäblich auf den Sand. So schnell ins trockene zu kommen hatte ich mir wahrhaftig nicht vorgestellt. Meine Nase hatte eine Furche in den Sand gezogen und meine Badehose war auf Halbmast
.
Ich hatte meine Lektion gelernt: nie dem Meer den Rücken zuzuwenden und der Gefahr immer die Stirn bieten. Aber Übung macht den Meister und im Verlauf der Jahre habe ich mich als erfahrener
Schwimmer auf dem Meer ausgebildet. Die hohen Wellen konnte ich leicht überwinden, indem ich mich mit einem Hechtsprung frontal in die Brandung stürzte, um dann hinter den Wellen wieder aufzutauchen.
Auf einer Tagesfahrt in die benachbarte Hafenstadt Mar del Plata kamen wir an dem gewaltigen Leuchtturm (Faro) Punta Mogotes vorbei. Der in Argentinien wohl bekannte Turm, der als Wahrzeichen der Stadt Mar del Plata von tausenden Touristen bewundert wird, ist so etwas wie ein Knotenpunkt eines Leuchtsystems, das von Miramar im Süden bis nach Mar Chiquita im Norden reicht.
Punta Mogotes ist eine kahle Landspitze mit vielen Sand- und Steinhügeln, den sogenannten Mogotes
. Eine Kette dieser Mogotes verläuft auch unter dem Wasser und gefährdet so die Schifffahrt im unmittelbaren Küstenbereich.
Im Laufe der Jahre kam ich öfters an diesem ursprünglich schwarz-weißen Turm vorbei (erst 1969 wurden die Farben auf rot-weiß verändert), hatte jedoch nie Gelegenheit, ihn genauer zu besichtigen. Als ich endlich einmal Zeit hatte, ihm einen Besuch zu abzustatten, war der Aufstieg wegen Sanierungsarbeiten gesperrt. Immerhin konnte ich mit einigen Marinesoldaten unterhalten, die dort Wache hielten. Sie erzählten mir von den Eigenschaften des Turmes aber auch von seiner Geschichte.
Die Konstruktion des Faro Punta Mogotes begann zu Beginn des Jahres 1890. Das aus Eisenblechen gebaute Gerüst hat einen Grunddurchmesser von etwa 9,5 Meter und verjüngt sich auf 3m in der Höhe von 35,50 Meter.
Im unteren Teil befinden sich vier mit Fichtenholz ausgekleidete Wohnräume für die Wärter. Dazu kommt noch ein fünfter Raum, der als Arbeitszimmer eingerichtet ist. Vom Eingang gelangt man zu einer Wendeltreppe, deren 154 Stufen zum Wachraum führen. Einen Etage höher befindet sich das Laternenhaus.
Der bekannteste Wärter auf diesem Turm war Fernando Müller, der vorher Kapitän auf einem Handelssegler gewesen war. Seine außergewöhnliche Persönlichkeit hat ihn nicht nur unter den Einwohnern von Mar del Plata sehr populär gemacht, sondern auch bei den vielen Touristen. Seit 1893 betreute er seinen
Leuchtturm. Er fuhr häufig in seiner von zwei weißen Pferden gezogene Kutsche spazieren, hatte aber immer alles unter Kontrolle mit der Hilfe seiner zwei oder drei Mitarbeiter und einigen Matrosen. Er war den Berichten zufolge ein gebildeter und höflicher, älterer Herr, der auf einer Medaille, die er an seiner Taschenuhr trug, den Spruch Mensch ärgere Dich nicht
eingraviert hatte.
Er lebte alleine, und von seiner Familie, die angeblich in Europa lebte, wusste man kaum etwas. Auch seine Nationalität war ein Rätsel. Manchmal gab er sich als Österreicher, manchmal als Amerikaner aus. Als Seemann ist er wohl viel in der Welt herumgekommen und konnte sich, wenn auch nicht perfekt, in fünf oder sechs Sprachen, die er oft komischerweise mit dem Spanischen vermischte, verständigen.
Kapitän Müller war ein amüsanter Erzähler und deshalb sehr beliebt in dieser Gegend. Als er dann aber arm und nach langer Krankheit 1917 verstarb, übernahm die argentinische Marine seine Beerdigungskosten.
Irgendwie sind meine Erinnerungen an diesen Leuchtturm mit der rührenden Geschichte seines ersten Wärters verbunden.