Unser Gartengrill
In den 1950er Jahren, als unsere Töchter schon auf der Welt waren, erweiterten wir unsere Wohnung in Buenos Aires, die auf dem Hinterhof meiner Eltern stand. Wir ließen ein Obergeschoss anbauen, in dem sich zwei Schlafzimmer und ein komplett eingerichtetes Bad befanden. Im Untergeschoss blieben dann ein großer Wohnraum, das Esszimmer, die Küche, eine Toilette mit Waschraum und mein Schreibzimmer. Währen der Bauperiode lebten wir abwechselnd bei der Mutter meiner Frau oder bei meinen Eltern.
Ich nahm mir ab und zu die Zeit, um die Bauarbeiten zu überwachen, und manchmal packte ich selber mit an, um den Prozess zu beschleunigen. Ich benutze auch die Gelegenheit, um mir im Garten einen Grillkamin zu bauen. Genügend Baumaterial war ja vorhanden. Mit Ziegelsteinen und Eisenstangen mauerte ich eine stattliche parrilla, hoch genug, um sie bequem im Stehen bedienen zu können.Sie lehnte an die Mauer eines Nachbarn an, wo sich auch ein Wasserkran für den Gartenschlauch befand. Zum Vorbereiten der Speisen ist es immer günstig, Wasser bei der Hand zu haben.
Normalerweise hat ein Grill eine Kurbel, die eine Kette betätigt, an der man den ganzen Rost beliebig in der Höhe verstellen kann. Aus praktischen Gründen, bevorzugte ich die Variante mit zwei Auflageschienen, auf denen der Rost eine Stufe näher oder weiter von der Glut eingesetzt werden konnte.
Um den Nachbarn nicht mit dem Rauch zu stören, baute ich obendrein eine Abzugshaube, die mit einem fachgerechten Schornstein versehen war. Wie im Lande üblich, benutzte ich einen Fett auffangenden Grillrost, mit V-förmigen Stangen, die nach vorne geneigt sind und das ausgelassene Fett in eine Auffangrille im Vordergrund leiten. Diese Rille ist abnehmbar und nach dem Grillen leicht zu reinigen. Dabei wird einem erst bewusst, wie viel Fett beim langsamen Grillprozess abgesondert wird (und zum Glück, nicht in den Magen gelangt).
Als der Hausbau endlich abgeschlossen war und wir in unsere Wohnung wieder einziehen konnten, feierten wir dieses Ereignis mit einer großen Grillparty (parrillada). Natürlich übernahm ich die Verantwortung als Grillmaster
. Schon zwei Stunden vor der Essenszeit fing ich an, das Feuer zu entzünden. Bei abgenommenem Rost schüttete ich einen Haufen Holzkohle auf die Brennfläche. Dann setzte ich obendrauf eine leere Konservenbüchse, der ich zuerst Boden und Deckel entfernt hatte. Also entstand eine Art kleiner Schornstein, der den Kohlenhaufen krönte. In diese Büchse stopfte ich Zeitungspapier und kleine Stücke Holz, die ich schließlich anzündete. Das schnell entstandene Feuer provozierte einen Kamineffekt
mit starker Hitzeentfaltung. Durch diese Hitze entzündeten sich die darunter liegenden Kohlen und bald glühte der ganze Haufen. Das Ganze wirkte wie die Esse einer Schmiede, wobei der Blasebalg durch den Sog des kleinen Schornsteins
ersetzt wurde.
Als sämtliche Kohlen am glühen waren, verstreute ich sie gleichmäßig über die Feuerstelle und setzte den Rost auf eine der Auflagen. Vorher hatte ich natürlich die ausgebrannte Blechbüchse beseitigt. Jetzt konnte das Grillen beginnen.
Für eine normale
parrillada berechnet man im Durchnitt - abgesehen von den Würsten und Innereien — etwa 1/4 Kg Fleisch pro Person.
Zuerst kamen die chorizos auf den Grill. Das sind große Bratwürste, die meistens scharf gewürzt sind und öfters auf doppelte Spieße aufgesetzt werden, um das Wenden zu erleichtern.
Diese chorizos werden in Brötchen serviert und im Stehen verspeist, während man auf den Rest wartet.
Dann werden die eigentlichen asado Stücke auf die Grillfläche gelegt. In Argentinien versteht man als tira de asado quer zu den Rippen geschnittene Rindfleisch- Streifen. Die Stücke werden mit der Knochenseite auf den Rost gelegt und langsam gebraten. Kurz vor dem Servieren werden sie gewendet, damit das Fleisch gleichmäßig durch gegart wird. Während man den asado verzehrt, kommen die nächsten Fleischschnitte auf den Grill. Sehr beliebt ist der bife de costilla (T-bone Steak) und auch der vacío (Flanke). Diese Stücke sind ausgiebig fleischhaltig und man muss schon sehr viel Hunger mitbringen, um so eine Portion zu vertilgen.
Aber jetzt kommt ja noch das Beste. Die sogenannten achuras (Innereien). Am bekanntesten sind die chinchulines de vaca (Dünndarm der Kuh). Die Darmstücke werden zu einem Zopf
geflochten, äusserlich gewaschen und auf den Grill gelegt. Nach einer Weile schwellen sie an und wenn man mit der Messerspitze oder einer Gabel auf sie einsticht, springt ein Strahl mit dem dickflüssigen Inhalt in die Höhe. Dieser landet auf den Grillrillen oder direkt auf der Kohlenglut. Im letzteren Fall entsteht eine dichte Rauchwolke, die schmackhaft riecht aber auch den Vorteil hat, die Moskitos zu verscheuchen, die im Sommer meistens den Grillmaster plagen. Nach dem Ablassen des Inhalts, fallen die chinchulines dann in sich zusammen und enden knusperig auf dem Tisch. Eine wahre Delikatesse!
Dann gibt es auch die chinchulines de cordero (Darm vom Lamm). Diese sind dünner und zarter als die von der Kuh. Sie werden aber nicht geflochten, sondern schneckenförmig aufgetragen.
Unter den Innereien befinden sich auch die riñones (Nieren). Diese erfordern jedoch eine sorgfältige Vorbereitung, damit der ursprünglich bittere Geschmack verschwindet. Den Nieren werden am Tag zuvor die Haut und das Fett entnommen. Dann werden sie in Stücke geschnitten und in Salzwasser und Essig die Nacht über eingelegt. Vor dem Gebrauch werden sie noch sorgfältig gewaschen und mit der hohlen Seite nach oben, auf den Grill gelegt. So sammelt sich die austretende Flüssigkeit in der Höhlung und vermeidet das Austrocknen der Nieren. Vorsicht ist angesagt, damit die Nieren nicht zu lange gegrillt werden, sonst werden sie zu hart. Manchmal werden sie mit fein gehacktem Knoblauch, Petersilie und Olivenöl gewürzt.
Nicht ganz so aufwändig ist die Vorbereitung der molleja (Kalbsbries). Diese Krönung der Innereien sucht man sich am besten von jungen Rindern aus und legt sie zuvor in Zitronensaft mit Lorbeerblättern ein. Gut gesalzen, ist dieser Leckerbissen nach 40 Minuten Grillzeit zu genießen.
Allerdings nur in kleinen Mengen - wegen ihres großen Fettgehalts.
Als Beilage wird gemischter Salat (Kopfsalat, Tomaten und manchmal auch Zwiebeln) serviert. Dazu jede Menge Weißbrot. Um herunterzuspülen
trinkt man natürlich Rotwein, der bei größeren Tafeln aus damajuanas (5-Liter-Flaschen mit Korbumhüllung) eingeschenkt wird.
Wer nach diesem Schlemmen noch Lust auf eine Nachspeise hat, bedient sich mit einem flan con dulce de leche (eine Art Pudding mit Milch-Süßspeise) oder (hauptsächlich im Hochsommer) einem Speiseeis.
Als Absacke wird meistens hinterher mate getrunken, bis man der unvermeidlichen siesta verfällt. Man bedenke, dass so eine Asado-Party
glatte drei bis vier Stunden dauern kann.
Viele Jahre lang hatten wir große Freude an unserem Gartengrill sonn-und feiertags mit der Familie oder bei besonderen Festlichkeiten auch mit Freunden und Bekannten. Als wir nach dem Tode meiner Eltern in den 1970er Jahren das Haus verkauften, um eine Wohnung im zweiten Stock eines Hochhauses zu erwerben, war es mit dem Grillen im Garten vorbei. Nur wenn wir zum Wochenende zu unserem Motorboot im Ruderverein Teutonia fuhren, konnte ich auf dem Clubgelände die Grilleinrichtungen benutzen.
Bei unserem letzten Besuch in Argentinien, anlässlich unserer Goldenen Hochzeit, die wir mit der ganzen Familie feiern wollten, mieteten wir uns ein Ferienhaus am Strand (Valeria del Mar). Selbstverständlich verfügte man hier über eine parrilla und ich konnte wieder meine Grillkunst
zur Geltung bringen. Wie man auf den Bildern erkennen kann, hat es gut geklappt.
Gelernt ist eben gelernt …