Regentropfen
Es war im November 1943. Ich wohnte bei meinen Eltern in Buenos Aires und studierte auf der Fach-Hochschule. Meine Mutter teilte mir mit, dass Familie Agsten mich eingeladen hatte zum Geburtstag ihrer Tochter Muschi. Ich kannte diese Familie nur flüchtig und ging der Einladung mit wenig Begeisterung nach.
Bei der Party, die am 19. November stattfand, langweilte ich mich ziemlich, da ich die meisten der Teilnehmer nicht kannte und weil ich auch kein begeisterter Tänzer war, was die Mädels wohl bemerkt hatten.
Als ich mich schon entschlossen hatte aufzubrechen, kamen plötzlich drei Damen herein, die sich verspätet hatten, da eine von ihnen (wie sich nachher herausstellte, meine zukünftige Frau) das Geburtstagsgeschenk vergessen hatte und sie auf halbem Weg zurück in ihre Wohnung mussten. Es handelte sich um ein hübsches junges Mädchen, begleitet von einer älteren Frau mit grauen Haaren und einer noch älteren Dame. Ich hielt sie für Tochter, Mutter und Großmutter. Wie sich später herausstellte, lag ich total falsch in meiner Einschätzung. Die Schwester des jungen Mädchens war eigentlich nur 25 Jahre alt, sah aber wegen der grauen Haare viel älter aus. Diejenige, die ich für die Großmutter hielt, war eigentlich die Mutter.
Ich dachte mir, dass ich mit dem neuen Mädchen einen Tanz riskieren könnte, bevor ich nach Hause ging. Sie willigte lächelnd ein und wir tanzten den Tango Regentropfen
. Zu der Zeit tanzten wir eigentlich fast alle Rhythmen mit denselben Schritten: Foxtrott, Tango, Paso Doble, usw. Nur beim Walzer wussten wir, es geht im dreiviertel Takt.
Wir tanzten also unseren Tango auf der Terrasse. Es war schon dunkel geworden und Muschi hatte Lampions angezündet. Als ich auf meine kleinere Partnerin herunter schaute, sah ich in ihren Augen die Sterne funkeln. Da wusste ich sofort: wir gehören zusammen!
Erst dann erfuhr ich ihren Namen (Nélida), jedoch wurde sie von jedermann Chiquita
genannt, da sie viel später als ihre Geschwister auf die Welt gekommen war, und so als die Kleinste
(Chiquita) bezeichnet wurde.
Sie erzählte mir stolz, dass sie in wenigen Tagen einen Telefonanschluss in ihrer Wohnung bekommen würde. Ich bat sie, mich dann sofort anzurufen. So kam es auch und wir verabredeten uns ins Kino zu gehen.
Das war der Anfang unseres gemeinsamen glücklichen Lebens.
Regentropfen
die an dein Fenster klopfen,
das merke dir
die sind ein Gruß von mir …
Zum Gedenken an meine liebe Frau, von der mich der Tod nach 70 Jahren getrennt hat.