Moppel
Mein erstes Auto war ein Ford P 4, ein geräumiges, für die damalige Zeit durchaus begehrenswertes Fahrzeug, aber es gehörte mir nicht. Es wurde mir zugeteilt, weil ich als Außenbeamter einer in Berlin ansässigen Bundesbehörde mit Dienstsitz in Westdeutschland
Kontroll- und Prüftätigkeiten durchzuführen hatte. Die meisten meiner älteren Kollegen fuhren noch den VW-Käfer.
Normalerweise hat eine Behörde, die Mitarbeiter in den Außendienst schickt, einen Wagenpool mit so genannten Dienstfahrzeugen. Beamte, die auswärts Dienst verrichten oder Kontrollen vornehmen müssen, bekommen nach entsprechenden Vorplanungen ein Dienstfahrzeug aus diesem Pool zur Verfügung gestellt, müssen die geleistete Fahrstrecke auf den Kilometer genau mit den abgeleisteten Dienst- und Fahrzeiten in ein Fahrtenbuch eintragen und den Wagen nach Beendigung der Dienstfahrt wieder zur Behörde zurückbringen. Eine Prozedur, die sich allerdings nicht für Kontrollbeamte eignet, die weit weg vom Stammsitz der Behörde eingesetzt werden. Denen wurden in den früheren Jahren so genannte beamteneigene Fahrzeuge zugewiesen. Mit dieser Art von Fahrzeugen wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Der Mitarbeiter war Besitzer des Fahrzeuges, ihm wurde die Haltung und Pflege und alles, was sonst noch dazu gehörte, übertragen, er konnte das Fahrzeug auch privat benutzen, aber leider nur recht begrenzt und er musste die privat gefahrenen Kilometer auch noch recht teuer bezahlen.
Ich habe das deshalb so ausführlich erläutert, weil sich dadurch leichter verstehen lässt, weshalb ich mir kurz nach der Zuweisung meines ersten Dienstfahrzeuges durch meine Behörde einen älteren VW-Käfer zulegte. Ich hatte damals an meiner neuen Wirkungsstätte noch keinen Freundeskreis und die Dame meines Herzens wohnte in der nächsten Großstadt, etwa 50 km entfernt. Wenn ich alle Fahrten zu ihr mit meinem Dienstwagen zurückgelegt hätte, wär ich sehr schnell an das offizielle Limit gekommen und der Spaß wäre dann doch zu teuer geworden. Da war die Anschaffung eines uralten VW-Käfer für 850 DM eine gute Alternative - meinte ich.
Moppel
stand bei meinem Tankwart, mit dem ich bereits ein nettes Verhältnis aufgebaut hatte. Es war ein schwarzer VW-Käfer mit Schiebedach, Modell 1956/57 aber mit einer großen Heckscheibe. Dazu ist er gekommen, weil er sich offenbar mal auf den Kopf gelegt hatte. Das Dach mit dem für diese Modellreihe unüblichen großen Heckfenster wurde ihm daraufhin von einem anderen Fahrzeug implantiert
. Er sah dadurch also jünger aus, als er tatsächlich war, nämlich auch schon an die 12 Jahre. Das war für die damalige Zeit sicher kein aufregendes Alter. Nach dem Unfall stellten sich mit der Zeit dann doch bald einige Macken ein, die aber an seinem Charakter ein Spaßmobil zu sein, keine Zweifel aufkommen ließen. Er hatte einen Motor, der natürlich nicht zu ihm passte, hatte Haarrisse an den hinteren Kotflügeln, durch die Regenwasser eindrang, aber nur, wenn er auch im Regen gefahren wurde - man konnte diese Risse dennoch nicht sehen. Und dann hatte er eine Hupe, die man nur innen hörte. Das klang wie ein rostiges Grunzen und provozierte jedes Mal Lachstürme bei meiner Begleitung, wenn sich überhaupt jemand traute, mit mir mitzufahren. Unsere Beziehungen begrenzten sich auf ein knappes Jahr oder rund 10.000 km, dann war der Spaß vorbei. Aber es war eine schöne Zeit, wenn ich mit ihm mit oder ohne Begleitung gemütlich durch die Lande fuhr und das Schiebedach weit geöffnet war. Schnell war er ja nicht mehr, aber es waren doch manchmal noch so um die 100 Sachen
.
Ich rauchte damals noch stark. Die leeren Schachteln schmiss ich nicht etwas raus, sie landeten meist mit gekonntem Wurf über die Schulter auf der hinteren Sitzbank und vielleicht glaubten die Rowdys, die in einem unbeaufsichtigten Moment über mein Stoffschiebedach in das Innere des Wagens gelangten, dass die Schachteln noch gefüllt seien. Das Dach klebte ich nach dieser schnöden Misshandlung meines kleinen Moppels mit Packband wieder zu und malte die Klebestreifen mit einem Eddingstift schwarz an. So konnte man kaum noch sehen, dass darunter ein Schnitt war.
Inzwischen hatte ich doch schon ein paar nette Leute in C. kennen gelernt. Die attraktive Tochter meines Nachbarn machte gerade ihren Führerschein und ich hatte danach dann nichts dagegen, ihr den Moppel mal auszuleihen. Als besonderen Dank bekam ich ihn dann nach einer Innensäuberung gewaschen wieder zurück.
Moppel bewährte sich auf den Kurzstrecken, aber ich merkte bald, dass ich an den Wochenenden meine Besuche in H. bei meiner Bekannten besser mit der Vorortbahn machte. Moppel war dann ja in guten Händen. Irgendwann glaubte ich doch wieder an den kleinen Wagen und packte meine Siebensachen, um meinen Freund in der Nähe von Frankfurt/M. zu besuchen. Es sollte eine besondere Urlaubsfahrt werden, denn zu diesem Zeitpunkt reifte schon der Plan, mich nach Süden versetzen zu lassen. Es gab um Frankfurt/M. herum einige bald freiwerdende Stellen, die ich mir landschaftlich näher ansehen wollte.
So fuhr ich dann also an einem Sonnabend in aller Frühe mit Moppel gen Süden und kam auch gut voran. Die Kasseler Berge lagen schon hinter uns und es ging auf die Pfefferhöhe bei Alsfeld zu. Und da geschah es. Ich roch bereits verbranntes Öl, das über die Heizung in den Wagen gelangte. Der Motor wurde immer langsamer und schäpperte verdächtig. Schließlich sah ich im Rückspiegel ungewöhnlich dicke Abgaswolken und konnte gerade noch über die Ausfahrt in die nahe Stadt Alsfeld einfahren, dann verreckte
der Motor. Merkwürdigerweise kam ich noch bis zu der dortigen VW-Vertragswerkstatt, aber es war ja Sonnabend, und der war damals auch schon fast überall arbeitsfrei. Doch es war eine kleine Firma, bei der der Chef noch selber mit arbeitete und der war vorhanden. Einen Austauschmotor für dieses Modell, angeblich eine 30 PS-Maschine, würde es in ganz Hessen nicht mehr geben, aber mit viel Glück würde man es wohl schaffen, einen 34 PS-Motor aufzutreiben und einzubauen, das würde aber einige Zeit dauern und frühestens …, na ja, 3-4 Stunden dauert so was sicher und es würde ungefähr 600 DM kosten. So viel Bargeld hatte ich nicht in der Tasche, aber ich hatte mein Postsparbuch mit, da waren gerade 800 Mark drauf, die hatte ich eigentlich für den Urlaub gedacht. Aber wat mut, dat mut
. Ich holte mir beim Postamt das ganze Geld ab und wartete ungeduldig in der Werkstatt, in der mein kranker
Moppel aufgebockt herumstand. Der Austauschmotor wurde schließlich nach längerer Zeit von irgendwo her angekarrt. Die Montage ging dann zügig voran und ich bekam noch einige Ratschläge, wie ich mit dem neuen Herzen meines Moppels umzugehen hatte. Dann konnte ich endlich weiterfahren. Mit großer Verspätung kam ich bei meinem Freund in D. an. Natürlich gingen alle Urlaubspläne koppheister und am Montag darauf, nachdem mein Freund wieder zur Arbeit ging, setzte ich mich in den Moppel und fuhr konsterniert nach Hause.
Moppel wollte auch mit dem neuen Motor nicht mehr so recht. Es war - wie sich erst später herausstellte - nicht mal ein werksüberholter Austauschmotor. Nach wenigen hundert Kilometern ging das Malheur wieder los. Mein Tankwart, der den Wagen ja in- und auswendig kannte, machte mir nun auch keine Hoffnung mehr und jetzt sah man immer deutlicher, wie er abbaute. Die Trittbretter bröselten an beiden Türen ab, wenn man sie nur ansah, die Reifen waren unregelmäßig abgefahren und und und. Inzwischen hatte ich mich mit der Nachbarstochter doch etwas näher angefreundet, die als Einheimische in der kleinen Heidestadt C. Hinz und Kunz kannte. Sie kundschaftete für mich einen Ersatzmoppel aus, einen etwas jüngeren VW-Käfer, ebenfalls mit Faltschiebedach, aber cremefarben.
Irgendwie war es aber gar nicht so einfach, den alten Moppel loszuwerden. In der Nachbarstadt, etwa 20 km entfernt, gab es jedoch eine Abdeckerei
für alte Autos. Da brachten wir dann Moppel eins
hin. Die Nachbarstochter fuhr Moppel zwo
und ich mit dem echten
Moppel hinterher. Auf dem Garagenhof drückte ich noch mal auf die Hupe. Er krächzte jämmerlich, aber sein Krächzen war nur noch innen zu hören. So verabschiedete sich mein erstes eigenes Auto von mir, mit dem ich leider nicht allzu lange, dafür aber sehr intensiv zusammen war.
Moppel zwo
bekam irgendwann mal eine <53> auf die Fahrertür geklebt, aber viel witziger waren seine Augen. Ich hatte mir Klebefolie besorgt und sie selber ausgeschnitten, deshalb waren sie exklusiv und einmalig. Kein Käfer hatte so schöne Augen mit Augenbrauen (!) wie er. Moppel zwo
hat mich in den letzten Jahren meiner Gerichtswitwerzeit
liebevoll und diskret begleitet. Wenn er hätte schreiben können, wären es sicher sehr schöne Geschichten geworden. Aber das muss ich wohl irgendwann einmal nachholen, bevor sie gänzlich in Vergessenheit geraten.
Moppel zwo
gibt es schon lange nicht mehr, er ist vor etwa 35 Jahren recycelt worden.