Nordlandfahrt im Jahre 1978
Die schöne Landschaft und die Weite der nordischen Länder haben uns schon immer angezogen. So packten wir im August des Jahres 1978 unsere Siebensachen für eine Urlaubsreise zunächst nach Mittelschweden, wohin mein Bruder ausgewandert ist und seit langen Jahren mit seiner Familie lebt.
Meine Frau und ich sowie unsere beiden Söhne, acht und zehn Jahre alt, bewältigten ohne Zwischenübernachtung zunächst die gut 1000 km lange Fahrt per Auto über die Vogelfluglinie bis zum Siljan-See, nordwestlich von Stockholm gelegen. Danach waren zwei Nächte zur Erholung angesagt. Mein Bruder hatte für seine Familie, seine schwedische Ehefrau sowie deren drei Kinder auch schon gepackt und Zelt, Matratzen sowie einige Lebensmittel und Getränke in seinem Auto, einem Volvo Kombi, verstaut. Für uns hatte er ein großes Zelt von einem Nachbarn ausgeliehen, und wir packten es, ohne es probeweise aufzubauen, zu unseren Sachen. Unsere Reiseroute war ausgearbeitet, wir wollten den Norden von Schweden und Lappland erkunden. Am nächsten Morgen wachte ich mit einem entzündeten und stark geschwollenen Augenlid auf, und da wir kein Risiko in der Wildnis eingehen wollten, blieb mir der Besuch in einer Arztpraxis nicht erspart. Ein kleiner Schnitt am Augenlid, eine gute Salbe dazu für insgesamt knapp 10 DM, und schon waren alle Probleme behoben. Somit nahm ich das schwedische Gesundheitssystem in Anspruch, ohne dort je eingezahlt zu haben. Das fand mein Bruder nicht gerecht, denn er hätte bei dieser Behandlung den gleichen Preis zahlen müssen, obwohl er ja in Schweden Sozialabgaben leistet.
Am darauffolgenden Tag starteten wir unsere Tour mit großer Vorfreude. Durch Wald und Einsamkeit fuhren wir den ganzen Tag, bis wir gegen 18 Uhr einen schönen Zeltplatz fanden, mitten im Wald, einsam gelegen an einem steil abfallenden Hang zu einem Stausee. Die fünf Kinder stürmten voller Tatendrang los, um Tannenzapfen und Material für ein großes Lagerfeuer zu sammeln, denn in Schweden darf man auf eigene Verantwortung überall zelten und auch Feuer machen. Es gilt bis heute das sogenannte Jedermannsrecht, Allmansrätt auf Schwedisch, das seit 1994 sogar per Gesetz jedermann freien Zugang zur Natur garantiert. Wir vier Erwachsenen machten uns derweil an die Arbeit, um die Zelte aufzubauen, Luftmatratzen aufzupumpen und die Schlafutensilien zu verteilen.
Das Zelt meines Bruders war in Kürze aufgebaut, aber das für uns geliehene Zelt machte große Probleme. Wie wir auch die Zeltstangen arrangierten und die Plane darüber stülpten, irgend etwas war jedes Mal falsch. Es gab ein Innen- und ein Außenzelt, und wahrscheinlich hatten wir die beiden Teile ständig verwechselt. Nach fast zwei mühevollen Stunden hatten wir unsere Behausung endlich aufgestellt, das Feuer knisterte, die Kinder kauten zufrieden und müde ihr Abendessen, und die Anspannung des Tages hatte sich bei uns Großen gelegt, als ein Auto auf den Lagerplatz einbog. Ein norwegisches Ehepaar suchte ebenfalls einen Schlafplatz, aber nach kurzer Zeit fuhren sie doch weiter, indem sie irgendetwas von Björn
redeten, was zu Deutsch Bär
bedeutet. Wir bemerkten in unmittelbarer Nähe einige Hinterlassenschaften von vermeintlichen Kühen, aber mein Bruder meinte, es wäre Bärenkot. Wir diskutieren das Thema eine Weile, bis ich schließlich in dem Haufen mit einem Stock herumstocherte und daran roch. Der Geruch erinnerte tatsächlich an ein Bärengehege. Nun wurden die beiden Töchter meines Bruders, damals sechs und sieben Jahre alt, aufmerksam, und weigerten sich, im Zelt zu schlafen. Überall in den Ästen rings um uns hörten wir es plötzlich rascheln und knacken, es war unheimlich. Auch unserer Schwägerin war es nun nicht mehr geheuer, und sie machte es sich mit den beiden Mädchen schließlich im Auto zur Nachtruhe bequem
.
Mein Bruder und sein achtjähriger Sohn zogen mutig ins Zelt, und auch wir wagten es, zu viert in der so mühsam errichteten Behausung zu nächtigen. Unsere Lebensmittel verstauten wir in der Kühlbox und in Taschen im Auto, um Bären nicht anzulocken. Wir legten noch ein paar dicke Äste auf das Lagerfeuer und vertrauten uns nun der Nacht an.
Am nächsten Morgen sahen wir uns alle gesund und munter wieder, und sogar das Feuer glühte noch. So konnten wir die zweite Etappe unserer Tour fortsetzen. Je weiter wir in den Norden zogen, desto heller waren die Nächte noch, obwohl die Mitsommerzeit schon lange vorbei war und wir uns im August befanden.
Oberhalb des nördlichen Polarkreises, in der Nähe von Jokkmokk in Lappland, sahen wir den ersten Elch über die Straße schreiten. Bis dahin hatten wir diese majestätischen Tiere nur aus der Ferne gesehen. Nun begegneten uns auch mit herrlichen Geweihen versehene Rentiere, die oftmals einfach nur die einsame Straße zum Wandern nutzten und erst Platz machten, wenn ein Auto nahte.
Dort im Norden waren die Nächte auch manchmal recht kalt, so dass morgens schon mal die Zelte mit Raureif bedeckt waren. Zum Abend gab es oftmals Suppe, welche die benötigte Wärme brachte. Da der Löffelstiel jedoch unangenehm kalt wurde, waren die Kinder erfinderisch und zogen statt der nicht vorhandenen Handschuhe einfach Socken über ihre Hände.
Ich erinnere mich gerne an die herrliche Natur um uns herum, an riesige Wasserfälle unterwegs, an unsere Lagerfeuer am Abend, an das Erlebnis, Sternschnuppen zu zählen, Nordlichter am Himmel zu entdecken, aber auch an zahllose Mücken, die sehr lästig waren.
Letztendlich sind mir auch die riesigen Entfernungen im Gedächtnis geblieben, die man im Norden zurücklegen muss. Immerhin sind wir in 20 Tagen mehr als 4.500 km gefahren, einschließlich An- und Abreise, und das muss zumindest für die noch kleinen Kinder recht strapaziös gewesen sein. Ihr Spiel- und Bewegungsdrang wurde manchen Tag auf eine harte Geduldsprobe gestellt, denn in dem Alter interessieren sich Kinder kaum für die Schönheiten der Natur. Trotz allem war es ein Familien-Abenteuer, das für immer in unserer Erinnerung geblieben ist.
Einige Male beneideten wir die Nordreisenden in ihren Wohnmobilen, obwohl diese damals noch lange nicht so zahlreich zu sehen waren wie heutzutage. Wir benötigten immer etliche Zeit, um die Nachtlager für unsere Familien einzurichten, Feuer zum Wärmen und Grillen zu entfachen und alle Personen zufrieden zu stellen. Zum Zubereiten des Essens benutzten wir einen mobilen Kocher, der von einer Gasflasche gespeist wurde, und wir versuchten sparsam damit umzugehen. Das hatte leider zur Folge, dass wir die vielen leckeren Speisepilze, die wir im Wald fanden, nicht verarbeiten konnten. Es hätte zu viel Zeit und Gas gekostet. Die Zähne wurden abends an einem See geputzt, und auch schmutzige Socken wurden hier gewaschen. Manchmal waren sie am nächsten Morgen noch nicht ganz trocken, und wir klemmten sie in der Türscheibe des Autos fest, wo sie dann bei der Weiterreise im Fahrtwind trockneten. Hierbei ging die eine oder andere Socken leider verloren.
Wir wagten sogar, einige unserer Essen-Vorräte dem See anzuvertrauen, um sie über Nacht kühl zu halten. Am kommenden Morgen sahen wir dann unsere Butterdose fast in der Mitte des flachen Sees schwimmen, und wir mussten ins kühle Nass waten, um sie zu retten.
Hier, oberhalb des nördlichen Polarkreises, begegneten wir in einem kleinen Museum über die Lebensweise der Samen (einstmals Lappen genannt) einem Fernsehteam aus dem Raum Köln, das Aufnahmen für ein Regionalprogramm machte, und so wurden unsere damals noch blonden Kinder in diese Aufnahmen integriert. Wir bekamen die Information, dass die Sendung im Mai des folgenden Jahres gesendet werden würde, aber leider haben wir sie nie entdecken können.
Nach diesem Erlebnis gönnten wir uns eine Übernachtung in einer urigen Berghütte und genossen nach langen Tagen endlich wieder eine warme Dusche und ein richtiges
Bett. In einer Siedlung der Samen kauften wir ein Rentierfell für 40 DM, ein sehr günstiger Preis für damalige Verhältnisse. Dieses Fell hing als Wandschmuck einige Jahre lang in unserer Wohnung, da es bei feuchtem Wetter aber ständig nach Tier
roch, haben wir es schließlich wieder entsorgt.
Es folgten zwei ziemlich klamme und nasse Tage oben in Saltoluokta, im Nationalpark der Samen. Wir sahen große Herden von Rentieren und eine urige Landschaft, die wir aber leider wegen des schlechten Wetters nicht genießen konnten. Wegen der Feuchtigkeit errichteten wir zum Übernachten nur ein Zelt für uns vier Erwachsene, während die Kinder es sich in den Autos gemütlich
machten. So blieb uns erspart, noch weitere nasse Zelte einrollen und verladen zu müssen.
Nach den unangenehmen Regentagen brachen wir schließlich unser Zeltabenteuer ab und fuhren zurück zum Haus meines Bruders. Wir genossen die heiße Dusche, das Zubereiten von Speisen in einer richtigen Küche und noch ein paar schöne Urlaubstage mit der Familie, bevor wir uns zu viert wieder auf den Weg nach Hause machten.
Auf dem langen Rückweg nach Norddeutschland wollten wir unseren Kindern noch einen Besuch im märchenhaften Kopenhagener Freizeitpark Tivoli gönnen, bevor die Sommerferien nun so allmählich zur Neige gingen.
Schon auf der Rücktour aus dem Norden waren in unserem Opel Kadett B undefinierbare Geräusche wahrzunehmen, die mit leichtem Vibrieren des Fahrzeugs einhergingen. Nach dem Ausschalten des Motors und einem Neustart war dieses dann nicht mehr vorhanden, setzte aber nach etlichen Kilometern wieder ein. Die Abstände wurden immer kürzer, und das Vibrieren steigerte sich zum Rütteln. In Kopenhagen war es dann so weit, nichts ging mehr, die Kardanwelle machte nicht mehr mit. Der Abschleppdienst Falck nahm unser Auto huckepack und brachte es zu einer Werkstatt, deren Arbeiter selbstverständlich schon Feierabend hatten. Im Falck-Büro wurden dann unsere Personalien aufgenommen, und nun brauchten wir ein Nacht quartier. Der nette Mitarbeiter empfahl uns ein herrliches Hotel, in dem sich auch die Falck-Angestellten bei ihren Tagungen vorzüglich aufgenommen fühlten. Aber mit vier Personen dürfe man dort nicht in einem Zimmer nächtigen, ein zweites Hotelzimmer sei schon nötig, und Frühstück käme noch extra hinzu.
Der Mitarbeiter war sichtlich enttäuscht, als wir diese Offerte nicht annahmen, war dann aber bei der Suche nach einer preisgünstigeren Bleibe behilflich. Fündig wurden wir in der Nähe der Werkstatt, so dass nur ein relativ kurzer Weg mit den Nachtutensilien aus dem Auto zur Herberge erforderlich war. Für die Kinder durften wir in unserem Zimmer sogar ohne Aufpreis die Luftmatratzen ausbreiten, und für das Frühstück am nächsten Morgen wurde uns nur die Rechnung für drei Personen präsentiert, da für die Kinder aufgrund ihres Alters nur der halbe Preis zu zahlen war. Verglichen mit dem anfangs empfohlenen Hotel brauchten wir nur ein Viertel des Übernachtungspreises zu bezahlen.
So haben wir Dänemark immer noch in guter Erinnerung, obwohl die unerwartete Autoreparatur ein großes Loch in unserer Reisekasse hinterließ.
Am frühen Nachmittag konnten wir das reparierte Auto wieder in Empfang nehmen, und auf direktem Wege fuhren wir nun zum Tivoli. Uns Eltern war eigentlich zu diesem Besuch die Lust vergangen, doch die Begeisterung unserer Kinder steckte an, so ergab sich ein krönender Abschluss dieser herrlichen Nordlandfahrt.