Männergespräch
Vor langer Zeit, vor ungefähr 50 Jahren, begegnen sich im Ruhrgebiet zwei Männer zufällig auf der Straße. Sie gehören der überwältigenden Mehrheit derer an, die sich vom Taubenverein oder Sportplatz, von der Arbeit auf dem Pütt
(Zeche) oder im Werk
(Fabrik, Hüttenwerk), von der Theke oder sonst wo her kennen. Ihr Gesprächsstil hat sich ihrer Arbeitswelt angepasst. Denn im infernalischen Lärm vor dem Hochofen oder vor Kohle müssen ihre Gesten und Handzeichen absolut eindeutig und ihre Sprache laut, knapp und unmissverständlich sein. Betriebstaugliche Sprechfunkgeräte befinden sich — wenn überhaupt — noch im embryonalen Zustand und auch der Lärmschutz am Arbeitsplatz ist noch nicht geboren.
Die beiden kennen sich also, bleiben stehen und führen einen Dialog. Der hört sich so an:
Der erste:
Tach!
Der zweite:Tach!
Der erste:Und?
Der zweite:Muss!
Der erste nickt. Durch das Nicken hat er zutreffenderweise kund getan, dass er von seinem Gesprächspartner dieselbe Frage erwarten und er dasselbe antworten werde, wodurch sich weitere Stimmbänderabnutzung und Atemverschwendung erübrigen.
Damit ist die Unterhaltung normalerweise zu Ende, weil alle Fragen und Antworten über das Befinden des Gegenübers und seiner Familie erschöpfend abgearbeitet sind. Die Diskutanten beachten auch die gängigen, konventionellen Regeln der Höflichkeit, zum Beispiel durch Herausnehmen der qualmenden Tabakspfeife oder des brennenden Stumpens aus dem Mund beim Sprechen.
Sollten aber beide einen der seltenen Tage von unwiderstehlicher Redseligkeit erwischt haben, schließt sich als Finale noch folgendes Zwiegespräch an:
Der erste:
Dann bis die Tage.
Der zweite:Jau.
Mittlerweile komme ich leider nur noch selten in den Kohlenpott und weiß deshalb nicht, wie solch ein Gespräch heute abläuft. Ich bin mir aber fast sicher, dass… Aber ich will Sie nicht beeinflussen, liebe Leserin, lieber Leser. Am besten, Sie lauschen selber mal bei Gelegenheit hinein.
Übrigens gibt es dort im Revier nicht nur Ohrenschmäuse, sondern auch Leckeres zu essen. Zum Beispiel Fasan mit Ananaskraut. Ganz berühmt ist die westfälische Hausmannskost. Bei würzigem Pfefferpothast (dem Gulasch ähnlich) mit Essiggurke oder bei einer Portion gebratenen Panhas, frisch aus der Pfanne, dazu ein Doppelkorn oder Doppelwacholder und ein frisches Pils vom Fass, mindestens sieben Minuten gezapft, kommen auch Ihre Augen auf ihre Kosten. Sie verdrehen sich garantiert vor Behagen.