Meine Zeit als Segelflugschüler
Wir schreiben das Jahr 1944 und sind im fünften Kriegsjahr. Bei der Übernahme vom Jungvolk mit 14 Jahren in die Hitlerjugend konnte man sich entscheiden, in welche HJ man übernommen wird. Entweder Motorrad, Marine, Allgemeine oder Flieger-HJ. Ich hatte ich mich für die Flieger-HJ entschieden.
Da es nur in der Fischbeker Heide eine Segelfliegerschule gab, musste ich an den Wochenenden von Alsterdorf, wo wir wohnten, morgens gegen sechs Uhr zu Fuß nach Ohlsdorf zur S-Bahn gehen und im Hauptbahnhof in den Zug umsteigen, der nach Harburg fuhr. Dort angekommen, wieder umsteigen Richtung Cuxhaven, in Neugraben aussteigen und nun noch gut 45 Minuten zu Fuß weiter zur Segelfliegerschule. Insgesamt, wenn kein Fliegeralarm dazwischenkam, brauchte ich etwa zwei Stunden. Um acht Uhr begann der Dienst mit dem Flaggenappell.
Als Junge denkt man nun: Es geht los mit dem Fliegen!
. Aber falsch gedacht. Wir mussten Wetterkunde lernen und warum ein Flugzeug fliegt. Das hat mehrere Wochenenden in Anspruch genommen. Da es mir nicht recht war, immer zum Wochenende die Zeit bis zum Abend dort zu verbringen, habe ich mich im Oktober 1944 zu Aufnahme für einen Monats-Kursus entschieden.
Der Tagesablauf begann mit wecken, waschen, anziehen, dem Fahnenappell, und dann gab es Frühstück. Danach den Schulgleiter vom Typ SG 38 mit Zubehör aus der Halle holen. Die Mannschaft, bestehend aus 14 Mann, musste auf dem Appellplatz antreten.
Unser Ausbilder Herr Wallhöfer war ein Scharführer vom NSFK (Nationalsozialistisches Fliegerkorps). Dieser hatte uns gegenüber immer einen sehr scharfen Kommandoton. Nachdem der Abmarsch befohlen wurde, ging es ins Gelände, vorbei an einer Scheinwerfer- und Flakstellung. Hier gab es auch Luftwaffenhelferinnen. Das erwähne ich, da diese in unsere Schule zum Duschen kamen und wir Jungs versuchten, die Mädels durch die oberen Fenster beim Duschen zu beobachten.
Im Gelände, an einem vom Wind geeigneten Platz, wurde ein Dreibock aufgestellt und das Flugzeug mit dem Schwerpunkt darauf gestellt. Nun musste der Schüler sein Gewicht ansagen und danach wurde das entsprechende Trimmgewicht (ein Gewicht wog zwei kg) am Flugzeug angebracht. Der Schüler, der das Flugzeug am Flügel in der Waage gehalten hat, ließ es los und der Schüler im Flugzeug musste nun versuchen, das Flugzeug gegen den Wind in der waagerechten Balance zu halten. Das wurde so lange geübt, bis es alle konnten.
Nun kam endlich der Tag, an dem wir weiter ins Gelände gingen, und zwar auf eine Anhöhe mit einem steilen Abhang. Hier wurde das v-förmige Gummiseil am Hang ausgelegt. Der Rückholwagen, (wir nannten ihn Hund), wurde ins Tal gebracht. Auch ein Landekreuz wurde in etwa 400 Meter Entfernung im rechten Winkel zum Hang ausgelegt. Nachdem diese vorbereiteten Arbeiten erledigt waren, begann endlich das Fliegen.
Jeder Flugschüler musste sich beim Ausbilder mit Namen und Gewicht abmelden, sich ins Flugzeug setzen und anschnallen. Dann wurden die Trimmgewichte eingehängt. Vier Mann hielten am Heck das Flugzeug fest. Sechs Mann je Seite zogen mit dem am Bug befestigten Gummiseil v-förmig unter anfeuernden Rufen: Wollt ihr wohl laufen
, den Hang abwärts. Ein Mann hielt das Flugzeug am Flügel in der Waage.
Als das Gummiseil zum Zerreißen gespannt war, kam vom Ausbilder der Befehl: Los
. Die Heckleute ließen los und ab ging die Post. Nun kam es darauf an, wie der Pilot das Landekreuz traf, welches in einer halben Flugminute mit einer Links oder Rechtskurve erreicht werden konnte. Wenn es nicht gelang, konnte man sicher sein, am Abend mit zwei Trimmgewichten das kleine Wäldchen bei der Schule mehrmals umrunden zu müssen.
Da das Flugzeug ja nun wieder zum Startplatz zurück musste, wurde es auf den Hund gestellt und die Ausziehmannschaft musste es wieder mit einem Seil, das eine Umlaufrolle auf dem Berg hatte, heraufziehen. Bis nun alle Schüler einmal am Tag dran kamen, wurde es Abend. So ging es nun mit Steigerungen der Aufgaben Tag für Tag. Ein Flugschüler hatte es durch Überziehen nach oben geschafft, das Flugzeug beim Landen so hart aufzusetzen, dass dadurch eine Tragfläche abbrach. Am nächsten Tag mussten wir den Schaden reparieren.
Eines Tages wurden wir mit einem LKW nach Eppendorf ins Unfallkrankenhaus gefahren. Hier wurden wir auf Nachtflieger-Tauglichkeit untersucht. Zuerst kam eine medizinische Untersuchung, dann mussten wir Leuchtstäbchen nach Leuchtkraft sortieren.
Für den Abschluss der A
-Prüfung mussten wir eine S-Kurve fliegen und wurden auch noch in Theorie geprüft. Hatte man alles bestanden, bekam man auf dem Appellplatz das erste Schwinge-Abzeichen auf den Jackenärmel geheftet. Ich und die Anderen, die es geschafft hatten, waren unheimlich stolz.
Dann kam der November 1944 und der Fortgang des Krieges ließ das Fliegen nicht mehr zu. Die Flugschule wurde geschlossen.