Brandstifter
Es ist weit nach Mitternacht, der Brandmelder weckt uns mit schrillem Alarm und wir stürzen aus dem Bett. Schnell renne ich die Treppe herunter und kontrolliere alle Räume – nichts – kein Brandgeruch, keine Flammen. Der Rauchgasmelder im ersten Stock schrillt immer noch, ein Fehlalarm? Also, das Ding von der Decke geschraubt und die Batterie entfernt – endlich Ruhe. Nach einer Weile die Stromquelle wieder eingesetzt und einen Selbsttest ausgelöst– alles in Ordnung. Nach der Montage am alten Platz sucht eine kleine Spinne das Weite. War sie der nächtliche Ruhestörer? Ich gehe wieder ins Bett und versuche zur Ruhe zu kommen, liege aber noch lange wach. Erinnerungen gehen mir durch den Kopf – wie war das damals, als wir fast das Haus in Brand gesteckt haben?
Anfang der 1960er Jahre wurde unser Haus durch einen Anbau um zwei Zimmer erweitert. Als Heizung im neuen Wohnzimmer wurde ein gemauerter Hamburger Kachelofen
aufgestellt. Der war sogar mit einer Bratröhre ausgestattet, in der herrliche Bratäpfel gebacken werden konnten.
Das morgendliche Feuermachen geriet regelmäßig zu einer umständlichen Prozedur, bei der einiges zu beachten war. Oft wurde diese Aufgabe meiner älteren Schwester oder mir übertragen. Zuerst wurde trockenes Holz mit einem kleinen Beil in feine Späne gespalten. Dann wurden im Ofen zerknülltes Papier, die Holzspäne und ein Braunkohlebrikett kunstvoll gestapelt. Die Rauchabzugsklappe und die untere Klappe vor dem Aschekastenmussten musste nun geöffnet werden, damit das Feuer genügend Sauerstoff bekam. Brannte das Feuer erst, konnte weiteres Brennmaterial nachgeschüttet werden und die Stube wurde schnell warm und gemütlich.
Regelmäßig zu Beginn der Heizsaison orderten meine Eltern Koks, Braunkohle-, und Eierbriketts beim örtlichen Brennstoffhandel. Die Briketts wurden in der Fabrik aus gemahlener Braunkohle zu glänzenden Quadern mit dem Aufdruck Union
gepresst. Die Eierbriketts wurden aus feiner Steinkohle hergestellt. Der Heizwert und das Brennverhalten der einzelnen Brennstoffe waren recht unterschiedlich.
Wenn der Kohlenmann
dann mit seinem Lastwagen den Brennstoff lieferte, hatte er ihn in Jutesäcken zu je einem Zentner auf der Hochpritsche verstaut. Meist kam der Händler mit zwei Hilfsleuten, die ihren Rückenschutz mit Kapuze über den Kopf zogen und Sack für Sack auf den Schultern in den Vorratsraum trugen. Die leeren Säcke wurden dann draußen vor der Tür abgelegt und am Ende mit dem Kunden zusammen gezählt.
Der Vorratsraum war mit einer Stellage aus Holz so aufgeteilt, dass man den Koks und die Eierbriketts getrennt aufbewahren konnte. Die Briketts wurden in zwei Etagen gestapelt, bis der Raum voll mit Brennstoff für den Winter war und der Rücken schmerzte. Das war Arbeit für die ganze Familie, am Ende waren wir so schwarz wie die Lieferanten. Ausnahmsweise wurde dann außer der Reihe der große Waschkessel in der Waschküche angeheizt und die Zinkwanne mit warmem Badewasser gefüllt.
Eines Tages waren unsere Eltern auswärts eingeladen und meine ältere Schwester und ich sollten den ganzen Tag allein verbringen. Das Mittagessen war am Tag zuvor bereits fertig gekocht, wir brauchten es nur aufzuwärmen und den Herd in der Küche konnten wir auch schon bedienen. Meine Eltern gingen schon früh zur Bushaltestelle, den Hamburger Verkehrsverbund gab es noch nicht, ein privates Busunternehmen mit braun-beige lackierten Bussen – Reisedienst Schmidt – beförderte die Passagiere zur nächsten Hochbahn-Station.
Meine Schwester hatte im Wohnzimmer mit Papier, etwas Holz und einem Brikett den großen Kachelofen angeheizt und kam in die Küche, die bereits mollig warm war, um mit mir zu frühstücken. Wir wollten es uns recht gemütlich machen und den Tag so richtig genießen. Der Kachelofen im Wohnzimmer war inzwischen nicht warm geworden, das Feuer war aus, Papier und Holz verbrannt, das Brikett hatte kein Feuer gefangen – so schien es. Da es aber in der Küche so schön warm war, beschlossen wir, den Ofen im Wohnzimmer nicht zu heizen und in der Küche zu bleiben. Mit der Kohlenschaufel wurde das Brikett aus dem Ofen zurück zu den anderen Briketts in den Vorratsraum getragen und dort, weil es noch sehr heiß war, auf der Blechschaufel belassen.
Am frühen Vormittag fiel uns der Brandgeruch auf, dem wir zunächst keine weitere Beachtung schenkten. Es kam häufiger vor, dass der Wind den Rauch nicht richtig abziehen ließ und es aus der Ofenklappe qualmte und nach Braunkohlerauch stank. Als ich aber in den Vorratsraum ging, um Kohlen für den Küchenherd zu holen, packte mich die blanke Angst, als ich die Rauchschwaden sah, die aus den Türritzen drangen. Ich rief nach meiner Schwester, wir füllten sofort mehrere Eimer am Wasserhahn und liefen damit zur Tür des Kohlenraums. Wir rissen die Tür auf und schütteten das Wasser dorthin, wo wir den Brand vermuteten. Durch den dichten Qualm, der jetzt ungehindert nach draußen drang, konnten wir nichts sehen. Hustend schleppten wir abwechselnd Wasser in den Raum und löschten den Brand. Allmählich konnte man schemenhaft erkennen, dass eine der Holzstützen Feuer gefangen hatte, wir haben wohl sehr großes Glück gehabt und den Brand gerade noch so rechtzeitig bemerkt, dass wir das Feuer mit unseren Mitteln löschen konnten.
Die Tür blieb jetzt auf und die Luft im Raum wurde besser, der Qualm verzog sich und wir konnten den Brandschaden begutachten. Dort, wo die Schaufel mit dem angebrannten Brikett am Boden abgelegt wurde, hatte sich ein Schwelbrand entwickelt und den Stützbalken, der das obere Kohlenbord trug, in Brand gesetzt. Der war natürlich völlig schwarz verkohlt, das konnte so nicht bleiben. Was würden wohl die Eltern dazu sagen, wenn sie abends heimkämen?
Das obere Bord, auf dem mehrere Zentner Briketts gestapelt waren, wurde nun von uns Kindern abgeräumt, die Kohlen wurden draußen vor der Tür im Freien gestapelt. Als das Bord leer war, konnten wir mit vereinten Kräften den angekohlten Stützbalken entfernen. Im Schuppen lag noch ein Holz, das als Ersatz dienen konnte. Es wurde passend gesägt und wieder eingebaut, damit war der Schaden schon behoben, wenn nur der penetrante Brandgeruch nicht gewesen wäre. Ich hatte schon zugeschaut, wenn mein Vater mit Wasser, Kalk und Leim weiße Farbe anrührte, mit der er die Nebenräume strich. Im Schuppen fand ich noch einen halben Sack Kalk und etwas Tapetenkleister war auch noch vorhanden. Meine Schwester hatte in der Zwischenzeit die Wände des Vorratsraumes mit Wasser abgewaschen, so schlimm roch es nicht mehr, oder hatten wir uns bereits an den Geruch gewöhnt? Die Eltern durften auf keinen Fall etwas merken, dass wäre die Katastrophe und das Donnerwetter wollten wir nicht erleben!
Am Nachmittag waren die Wände und der neue Balken weiß gestrichen, es sah richtig gut aus – wie neu eben. Auch der Brandgeruch war weitgehend verschwunden, überdeckt vom Geruch der Farbe. Wir sahen uns zufrieden an, das war gerade noch einmal gut gegangen. Allerdings hatte unser Werk an uns und an unserer Kleidung Spuren hinterlassen. Weiß von der Farbe und schwarz von den Kohlen, sahen wir recht lustig aus, wie Schornsteinfeger, die beim Müller zu Besuch waren!
Als die Farbe fast trocken war, trugen wir die Briketts wieder in den Vorratsraum und stapelten sie auf dem oberen Bord mit der neuen Holzstütze. Zum Schluss wurde noch der Hofplatz vom Kohlenstaub und Dreck befreit, aufgeräumt und das Werkzeug verstaut, es wurde langsam knapp mit der Zeit, die Eltern konnten jederzeit wieder zu Hause sein, wir mussten uns beeilen.
In der Waschküche stand ein großer Bottich mit einer Feuerklappe darunter. Die angebrannte Holzstütze hatte ich in Stücke gesägt und mit der Axt zu Brennholz verarbeitet, das Corpus delicti musste unbedingt verschwinden, und warmes Wasser brauchten wir jetzt auch unbedingt. Meine Schwester hatte bereits die kleine Zinkwanne mit warmem Wasser gefüllt und unsere Kleidung mit Waschmittel darin eingeweicht.
Als meine Eltern spät nach Hause kamen, fanden sie zwei wunderbar friedliche, müde Kinder vor, die heute ohne das übliche Gequengel sofort ins Bett gehen wollten. Merkwürdigerweise wurde in unserer Familie nie über dieses Thema gesprochen, auch meine Eltern haben nie dazu Fragen gestellt. Ich glaube schon, dass sie die frische Farbe im Kohlenraum bemerkt haben.