Autofreier Sonntag
Herbst 1973, sogenannter Jom-Kippur-Krieg.Der Jom-Kippur-Krieg war 1973 nach dem Israelischen Unabhängigkeitskrieg (1948), der Sueskrise (1956) und dem Sechstagekrieg von 1967 der vierte arabisch-israelische Krieg im Rahmen des Nahostkonflikts. Auf arabischer Seite wird der Krieg auch Ramadan-Krieg
genannt, da er in den islamischen Fastenmonat Ramadan fiel. Gleichzeitig heißt er auch Oktoberkrieg
(in Ägypten Harb Uktübar, in Syrien Harb Tischrïn).
Der Krieg begann mit einem Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens am 6. Oktober 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, auf dem Sinai und den Golan-Höhen, die sechs Jahre zuvor von Israel im Zuge des Sechstagekrieges erobert worden waren …Weiterlesen: Wikipedia.de Am 6. Oktober beginnt der Krieg mit einem Überraschungsangriff Syriens und Ägyptens am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, auf dem Sinai und den Golan-Höhen, die von Israel sechs Jahre zuvor während des Sechstagekrieges erobert wurden.
Als Reaktion darauf drosseln die arabischen Staaten ihre Erdölförderung und -lieferung an die westlichen Staaten, um deren proisraelische Haltung zu erschüttern. Innerhalb kürzester Zeit vervierfacht sich der Rohölpreis, was sich an den Tankstellen schmerzhaft bemerkbar macht. Innerhalb kurzer Zeit sind in den Märkten Benzinkanister ausverkauft, weil Treibstoff gebunkert
wird, es kommt zu Hamsterkäufen. In aller Eile beschließt der deutsche Bundestag ein sogenanntes Energiesicherungsgesetz. An vier Sonntagen wird das Autofahren verboten und die Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf 100 Kilometer pro Stunde begrenzt.
Ich war damals als Bauführer in der Linientechnik tätig. Zu meinen Aufgaben gehörte die Überwachung und Abrechnung von Bauleistungen, die durch Firmen erbracht wurde, die im Fernmeldekabelbau tätig waren. So wurde in dieser Zeit ein größeres Bauvorhaben in Hamburg-Eppendorf ausgeführt. In die unterirdischen Kabelkanalanlagen wurden mehrere Hauptkabel mit je zweitausend Kupferdrähten eingezogen und zu einem neuen Kabelnetz verbunden. Die Arbeiten sollten möglichst unterbrechungsfrei und im laufenden Betrieb durchgeführt werden, um den Fernsprechverkehr möglichst wenig zu stören. Deshalb wurde überwiegend abends, nachts und am Wochenende gearbeitet.
Während der autofreien Sonntage sollten die Arbeiten ruhen. Für alle Fälle bekam ich von meiner Dienstelle eine Sondergenehmigung zur Benutzung eines Kraftfahrzeuges an einem der autofreien Sonntage. Diese Sondergenehmigung wurde mir in einem versiegelten Umschlag überreicht, der nur im Notfall geöffnet werden durfte.
Für den ersten Sonntag hatten wir einen Familienausflug geplant. Erstmalig fuhren wir mit unseren Fahrrädern mitten auf der sechsspurigen Kieler Straße in Richtung Innenstadt. Welch ein Gefühl, keine stinkenden Blechkisten um uns herum, nur Radfahrer und Fußgänger mitten auf der Straße – was für ein Bild!
Am darauffolgenden Samstagabend erhielt ich einen Anruf meiner Dienstelle. Man informierte mich, dass der gesamte Fernsprechbetrieb im Bereich Eppendorf nach den Kabelarbeiten ausgefallen war. Ich erhielt die Anweisung, meinen Notfallumschlag zu öffnen, um mich am Sonntagmorgen in der Vermittlungsstelle Eppendorfer Landstraße zum Dienst zu melden. Damit war der befürchtete Notfall eingetreten, die bauausführende Firma hatte das falsche Kabel gekappt und den Betrieb empfindlich gestört.
Am Sonntagmorgen befestigte ich also die Sondergenehmigung gut sichtbar an der Windschutzscheibe meines Autos und setze mich Richtung Eppendorf in Bewegung. Bereits auf der Alsterkrugchaussee kam es zu ersten ernsthaften Schwierigkeiten. Radfahrer und Fußgänger, die hier mitten auf der Straße unterwegs waren, sperrten die Straße, indem sie nebeneinander eine Menschenkette bildeten und gemächlich vor mir hergingen. Also ließ ich das Auto hier erst einmal stehen um mit den Leuten zu diskutieren und ihnen meinen Auftrag zu erklären. Ich stieß dabei auf Einsicht und man ließ mich passieren. Das Spiel wiederholte sich mehrfach. Das Autofahren gestaltete sich aber mühsam, mit dem Fahrrad wäre ich wohl schon lange an meinem Einsatzort gewesen.
Je näher ich der Baustelle kam, desto voller wurden die Straßen. Die Menschen genossen diese autofreien Sonntage sehr und nutzten die Gelegenheit zu spontanen Straßenfesten. Als ich endlich in die Eppendorfer Landstraße einbog, knallte es plötzlich furchtbar. Ich stoppte sofort und stieg aus, als es erneut knallte. Ein älterer Mann mit Hut und Stock knallte seinen Stock gerade ein drittes Mal auf mein Autodach, wütend über diesen unverfrorenen Lümmel schimpfend, der es wagte, an diesem Tag mit dem Auto unterwegs zu sein. Mit erhobenem Stock und wütend schimpfend ging der Fußgänger jetzt auf mich los. Einige Passanten hielten ihn aber von einem Angriff auf mich ab, nur mühsam gelang es mir, auch hier auf meine Sondererlaubnis hinzuweisen und meinen Auftrag zu erklären. Die Angelegenheit entwickelte sich für den Angreifer zu einer peinlichen Situation, zumal er mein Fahrzeug beschädigt hatte, und ich ihn in Regress nehmen wollte. Anfang der 1970er Jahre waren die Funknetze noch nicht aufgebaut und Handys gab es demzufolge auch nicht. Das Fernsprechnetz war in diesem Bereich komplett ausgefallen und so war es mir unmöglich, die Polizei zwecks Feststellung der Personalien des Herrn zu rufen. So blieb mir nichts anderes übrig, als ihn um seine Personalien zu bitten. In der Zwischenzeit hatte sich aber um das Geschehen eine dichte Menschentraube gebildet, in der der Angreifer nun untertauchte und verschwand.
Ich hatte keine Lust auf weitere Begegnungen dieser Art und suchte mir einen Parkplatz. Da aber alle Anwohner ihre Autos wegen des autofreien Sonntags auf allen nur möglichen freien Plätzen geparkt hatten, konnte mein Fahrzeug nur in zweiter Reihe und mitten auf der Straße abgestellt werden. Also fuhr ich mit herunter gedrehtem Seitenfenster in Schritttempo die wenigen hundert Meter bis zu meinem Einsatzort, wo ich auf einem privaten Abstellplatz im Hinterhof des Gebäudes mein Auto parken konnte.
Diese wenigen hundert Meter waren wie Spießrutenlaufen! Ständig knallte jemand mit der flachen Hand auf mein Autodach und freute sich, es mir so richtig gegeben zu haben
. Meine Sondererlaubnis fand kaum Beachtung, obwohl sie gut sichtbar an der Windschutzscheibe klebte!
Für die Strecke, die normalerweise in einer dreiviertel Stunde zurückgelegt werden konnte, brauchte ich an diesem Sonntag mehr als zweieinhalb Stunden. Am Ende des Tages war dank gemeinsamer Anstrengungen aller an der Entstörung Beteiligten, das Telefonnetz wieder voll funktionsfähig. Auf weitere Erfahrungen mit militanten Fußgängern und Radfahrern hatte ich aber keine Lust mehr, ich ließ meine Ausrüstung im Fahrzeug auf dem Hinterhof der Vermittlungsstelle und fuhr mit der Bahn nach Hause.
Diese Zeit wurde in der Folge als Ölkrise, Ölschock, oder Energiekrise apostrophiert und hatte weitreichende Folgen. Die Energiepreise blieben dauerhaft auf hohem Niveau, es wurden Wärmemessfühler an Heizkörpern eingeführt und man schloss die Fenster während der Heizperiode. Bis dahin sah man Fenster den ganzen Tag offengekippt stehen, die Raumtemperatur wurde einfach durch Öffnen und Schließen der Fenster geregelt. Heizkörperthermostaten wurden eingebaut und so manch einer, der sich im Keller seines Hauses ein Schwimmbad zugelegt hatte, sah sich aufgrund der hohen Energiepreise nicht mehr in der Lage, dieses auch zu beheizen.
Vier Monate später wurden die Tempolimits aufgehoben, es galt wieder der von einer politischen Partei erhobene Grundsatz Freie Fahrt für freie Bürger.
Das Tempolimit von 100 Kilometer pro Stunde auf deutschen Autobahnen wurde dauerhaft durch eine unverbindliche Richtgeschwindigkeit von 130 Kilometer pro Stunde ersetzt. Seit dem Fahrverbot vor 37 Jahren wurden immer wieder Tempolimits und Fahrverbote diskutiert, nach wie vor darf aber grundsätzlich auf deutschen Autobahnen gefahren werden, wie es Motorleistung und Verkehrslage erlauben.