Eine kleine Computergeschichte
Anfang der 1980er Jahre hatte ich mich auf einen anderen Dienstposten beworben, um wieder im technischen Dienst arbeiten zu können. Bis dahin war ich als Bauführer im Bereich Tiefbau und Kabelkanalanlagenbau tätig. Meine Bewerbung war erfolgreich, mein weiteres Berufsleben konnte ich der Übertragung von Signalen und Daten mithilfe technischer Einrichtungen widmen. In diesem Zusammenhang kam ich das erste Mal mit einem Computer in Berührung. Mein Kollege in der Disposition, wir sagten Einsatzplatz, bekam dienstlich einen Rechner gestellt, dessen Aufgaben aber von unserem Dienstherrn nicht klar umrissen wurden. Es wurde außer dem Betriebssystem MS-DOS kein weiteres Programm für diesen Personal-Computer geliefert, sodass mein Kollege sich in der Programmiersprache BASIC selbst einige Hilfsprogramme schrieb, die ihm seine täglichen Aufgaben erleichterten. Für die Programmierarbeit ging natürlich ein erheblicher Teil seiner Arbeitszeit drauf und auch in seiner Freizeit beschäftigte er sich in Kursen an der Volkshochschule mit der Programmierung in BASIC.
Mein Interesse war auf jeden Fall geweckt. Eines Tages hatte ich dienstlich in der Innenstadt bei der Firma Brinkmann, Hamburgs größtem Technikkaufhaus, zu tun. Im Erdgeschoss hatte man dort eine Computerabteilung aufgebaut und mit Geräten, Monitoren, Druckern und noch allerlei Zubehör vollgestopft. Da ich schon mal hier war, sah ich mich neugierig in dieser Abteilung um und wurde prompt von einem Verkäufer angesprochen: Kann ich helfen?
, worauf er mich sofort mit allerlei Fachausdrücken bombardierte, mit denen ich als völlig Ahnungsloser überhaupt nichts anfangen konnte. Auf meine Frage was kann man denn so alles mit einem Computer machen?
, schaute er mich mit einem fassungslosen Gesichtsausdruck an, machte schließlich auf dem Absatz kehrt und wandte sich einem anderen Kunden zu. Mit mir befasste er sich nicht mehr, das war für ihn wohl wie Perlen vor die Säue werfen
, oder – vielleicht hat er sich auch veralbert gefühlt?
So war das Thema Computer
für mich ebenfalls gestorben. Ein halbes Jahr später, Anfang 1986, hatte ein großer deutscher Lebensmitteldiscounter einen Computer für knapp 150,- Deutsche Mark für kurze Zeit im Angebot, einen Commodore C16. Als ich aus der Morgenzeitung von dem Angebot erfuhr, legte ich meine dienstliche Fahrroute so, dass ich zu Beginn der Öffnungszeit bereits bei einem Aldi-Markt sein konnte. Es gelang mir, einen der wenigen aufgestapelten Kartons zu ergattern, bevor der Artikel ausverkauft war. Denn der Andrang war groß. Am Abend packte ich diesen voller Vorfreude zu Hause aus. Eine dunkelbraune Plastik-Brotdose
mit Tasten, ein Kassettenabspielgerät, das sich Datasette
nannte, einige Kassetten, Handbücher und einige Kabel kamen zum Vorschein. An der Rückseite des braunen Wunderkastens gab es Schalter und Steckanschlüsse, nun musste der Computer mit dem Antenneneingang des Fernsehers verbunden werden, ein Schalter wurde betätigt und der Sendersuchlauf des Fernsehers fand nach einiger Zeit das Testbild des Computers. Die Datasette war bereits angeschlossen und der Fernseher zeigte einen weißen Bildschirm. Nach einer Weile erschien eine schwarze Schrift, die meldete: COMMODORE BASIC V3.5 12277 BYTES FREE
und unter dem Wörtchen READY
blinkte ein dunkles Quadrat, der Cursor, und wartete auf eine Benutzereingabe. Wie ich aus dem Handbuch gelernt hatte, musste nun ein Befehl über die Tastatur eingegeben werden, also tippte ich LOAD
. Der Cursor verschwand und es erschien an der Stelle das Wort SEARCHING
und die Datasette kurbelte eine ganze Weile an der vorher eingelegten Kassette, bis plötzlich FOUND
auf dem Bildschirm ausgegeben wurde. Ich war gespannt, was die Maschine wohl auf dem Band gefunden hatte. Nach einer Weile wechselte die Bildschirmausgabe zu LOADING
. Nun drehte die Datasette Minute um Minute und es passierte lange Zeit nichts. Nach gefühlt unendlicher Wartezeit wechselte der Bildschirm Farbe und Inhalt, eine Klötzchengrafik zeigte einen Parcours von Hindernissen und eine Spielfigur, die nun fehlerfrei auf dem vorgezeichneten Weg mit Hilfe der Pfeiltasten nach oben, nach unten, nach rechts und nach links
gesteuert werden musste. Das machte Spaß und ich saß den ganzen Abend mit meinem ersten Computer vor dem Fernsehgerät.
Nach wenigen Wochen wurde es doch langweilig und öde immer dasselbe Spiel zu spielen. Ich hatte mir eine Computerzeitschrift besorgt, die mich mit anderen Programmen versorgen wollte – so der Werbeslogan. Der Computer war mit einem besonderen Chip ausgestattet, sodass er Befehle in der Programmiersprache BASIC verstand. In der Zeitschrift waren nun sogenannte Listings abgedruckt, Basic-Befehle in Listenform die nun über die Tastatur eingegeben wurden und auf einer Musikkassette in digitaler Form gespeichert wurden. Hatte man alles fehlerfrei abgetippt, besaß man nun ein mehr oder weniger brauchbares und lauffähiges Programm, das irgendwas berechnen oder in grafischer Form darstellen konnte. Ganz spannend war die Berechnung des Biorhythmus, jetzt konnte mein Computer mir sagen, wie es mir gerade ging.
Die Rechenleistung und der verfügbare Speicher waren mal gerade für solche Spielereien ausgelegt, was mich bewegte, die nächst größerer Maschine zu kaufen. Der Commodore C64 verfügte über 64 Kilobyte Arbeitsspeicher, einen eigenen RGB-Monitor und war statt mit einer Datasette mit einem fortschrittlichen Diskettenlaufwerk ausgestattet. Die Disketten waren schwarz, quadratisch, mit einer Kantenlänge von 13,5 Zentimetern, was fünfeinviertel Zoll entsprach und konnten die unglaubliche Datenmenge von 360 Tausend Bytes speichern. Ein Byte zu Acht Bit, was der kleinsten digitalen Einheit entspricht. Auch dieses Gerät ähnelte eher einem Brotkasten als einem Computer, das Gehäuse war aber beige und die Tastatur schwarz.
Wie schnelllebig doch diese neue Technik war, auch hier stieß ich nach kurzer Zeit an Grenzen. Also verkaufte ich den Rechner zugunsten eines C128D, ebenfalls von Commodore. Dieser Rechner hatte sowohl das bewährte Basic-Modul als Betriebssystem eingebaut, konnte aber auch ein professionelles Betriebssystem von einer Diskette nachladen. Unter dem Betriebssystem CP/M sah ich zum ersten Mal das lauffähige Textverarbeitungsprogramm Wordstar. Nach einiger Eingewöhnung konnte ich mit dem textorientierten Programm meine Briefe und sonstige Texte schreiben und auf meinem neuen Typenraddrucker ausdrucken. Den hatte ich bei der Firma Brinkmann erworben, obwohl ich hier eigentlich nach meinen negativen Erfahrungen mit einem Computerverkäufer nie wieder etwas kaufen wollte.
Die Fähigkeiten des Programms waren immens. Es gab variable Tabulatoren. Die Zeilen wurden mit Leerzeichen aufgefüllt, um Blocksatz zu erhalten. Man konnte Zeichen kursiv oder fett drucken, indem man in den Text die Druckbefehle einfügte. Die Texte waren dadurch am Bildschirm zwar schwer lesbar, aber der Drucker druckte den Text korrekt. Für meinen Typenraddrucker standen verschiedene Schriftarten zur Verfügung, man musste nur das Typenrad gegen ein anderes auswechseln.
Auch dieser Computer war irgendwann einmal zu klein
geworden und ich stand vor der schweren Entscheidung, entweder einen grafikfähigen Computer der Marke Commodore Amiga oder von Atari zu nehmen. Nachdem ich den Commodore C128 gut verkauft hatte, konnte ich mir einen Atari ST mit unglaublichen eintausendvierundzwanzig Kilobyte, also ein Megabyte, Arbeitsspeicher leisten. Der Rechner in schlichtem Beige ähnelte nicht mehr einer Brotkiste, sondern sah elegant und professionell aus. Das Diskettenlaufwerk hatte gegenüber den alten Pappdisketten die doppelte Kapazität und verarbeitete die neuen dreieinhalb Zoll Disketten zu siebenhundertzwanzig Kilobyte. Später schaffte ich mir noch eine Festplatte an, die allerdings sehr teuer war, dafür aber zwanzig Megabyte Daten speichern konnte – was für ein Gewinn.
Vorbei die langen Ladezeiten, von der Festplatte kamen die Daten in Windeseile. Ich hatte mithilfe eines Freundes, der an der Technischen Hochschule Hamburg, im dortigen Rechenzentrum das, von Donald E. Knuth entwickelte, plattformunabhängige Druck- und Satzsystem TEX und LATEXQuelltext eines der Bücher in TeX:
% letzte "Anderung: 20.2.92, Kennh"ofer
%
\chapter{Gouffre des Encanaux}
\index{Encanaux, Gouffre des}
\section{Karte:}
\begin{itemize}
\item IGN 1/20\,000$\rm ^{e}$\\
Aubagne n$\rm ^{o}$ 4
\item Band I, Seite 95
\end{itemize}
\section{Lage:}
\begin{itemize}
\item {\large\bf X} = 870,650\qquad {\large\bf Y} = 120,675\qquad {\large\bf Z} = 433\\
\end{itemize}
%
betreute, eine auf Ataris lauffähige Version auf meinem Rechner installiert, das mir hervorragend professionell gesetzte Texte auf Papier ermöglichte. Ich begann mich Mitte der 1980er Jahre mit Höhlenbeschreibungen zu beschäftigen, die aber leider nur in französischer Sprache verfügbar waren. Da meine Freundin und ich einen Urlaub in der Provence planten und einige der beschriebenen Höhlen besuchen wollten, mussten wir die Beschreibungen übersetzen. Die Texte konnte ich mit diesem grafikfähigen Computer zusammen mit den Höhlenplänen optisch sehr ansprechend zu Papier bringen und dauerhaft speichern. Im Laufe der Zeit wurde daraus ein Buch La Provence souterrain
– Die unterirdische Provence
, das uns und unsere Freunde mit den notwendigen Informationen versorgte und als Führer gute Dienste leistete. Es beschrieb in deutscher Sprache viele überwiegend vertikale Höhlensysteme, die nur mit entsprechender Höhlenforscherausrüstung befahren werden konnten.
Auch dieser Rechner wurde mir zu klein, ich war aber von den Rechnern der Atari-Familie begeistert und verkaufte meinen Atari-ST, um mir einen Mega 2
anzuschaffen. Dieser Computer war in einem eigenen, quadratischen Gehäuse untergebracht, die Tastatur war abgesetzt. Die Festplatte hatte ich behalten, so dass die beiden quadratischen Gehäuse, in denen jeweils der Rechner und die Harddisk untergebracht waren, zu einem Turm aufgestellt werden konnten.
Der Name Mega 2 wies auf einen Arbeitsspeicher von zwei Megabyte hin. Dieses Gerät gab es noch in der Variante Mega 4, die ich mir aber nicht leisten konnte, sie war zu teuer. Allerdings besaßen beide Versionen anfänglich die gleiche Hauptplatine – das gleiche Mainboard. Das brachte mich auf die Idee, die Platine gleich auf vier Megabyte aufzurüsten, was nur ein wenig handwerkliches Geschick erforderte und sehr billig war. In Hamburgs Innenstadt, in der Spitaler Straße, gab es damals noch einen Elektronik-Handel, die Firma Baderle. Dort versorgte ich mich mit den notwendigen Speicherbausteinen, vielbeinigen schwarzen Chips zu je 128 Kilobyte Speicherkapazität. Die Plätze für die Speicherbausteine waren auf meiner Platine vorhanden, allerdings wurden die Löcher im Werk zugelötet. Mit Lötkolben und Entlötpumpe machte ich mich daran, diese Löcher wieder zu öffnen. Die Speicherbausteine wurden anschließend eingelötet und gespannt wartete ich nun nach dem Einschalten des Rechners auf den Startbildschirm. Die Atari-Computer der ST-Serie besaßen einen speziellen Speicherbaustein, der nach seiner Programmierung nur durch ultraviolettes Licht gelöscht werden konnte, so wurde der Speicherinhalt dauerhaft gehalten. Hier war das Betriebssystem, kurz TOS genannt, untergebracht. Die Abkürzung wurde aus den Worten Tramil Operating System gebildet und verwies auf den Chefentwickler bei Atari, Jack Tramiel, der zuvor auch die Brotdosen
bei Commodore entwickelt hatte.
Als der aufgerüstete Computer nun startete, meldete er sich tatsächlich mit nun vier Megabyte Arbeitsspeicher, meine Operation war erfolgreich verlaufen. Das ermutigte mich zu weiteren Verbesserungen meines Gerätes. Es folgte die Auswechselung des Hauptprozessors gegen einen verbesserten Motorola 68010 im DIP-Gehäuse. Die längliche DIP Bauform der Prozessoren hatte den Vorteil, dass man den Prozessor, sofern die Anschlüsse entfernt wurden, wegen seines stabilen Plastikgehäuses noch als Flaschenöffner benutzen konnte.
Durch eine Kleinanzeige kam ich an einen neunzehn Zoll Monitor und eine entsprechende Grafikkarte, die nun im Computergehäuse verbaut wurden. Fortan konnte ich mit einem großen Monitor, vier Megabyte Arbeitsspeicher und einem verbesserten Hauptprozessor meine Texte schreiben und ausdrucken. Es gab von einem Schweizer Softwareentwickler eine Texterkennung namens Augur
, die so gut war, dass kaum nachkorrigiert werden musste. Scanner und Texterkennung sparte viel Tipparbeit. Insgesamt eine wirklich tolle Maschine mit zu damaliger Zeit unglaublichen Fähigkeiten.
Über eine Kleinanzeige habe ich die gesamte Computeranlage verkauft, als ich durch meine familiäre Situation in finanzielle Nöte kam. Ein Jahr später besuchte ich einen Freund, der mich sofort in sein Arbeitzimmer entführte, um mir seine Neuerwerbung vorzuführen. Mit den Worten so was geniales hast du noch nicht gesehen
zog er mich am Ärmel in sein Zimmer – dort stand auf zwei quadratischen Atari-Gehäusen ein neunzehn Zoll Monitor, der mir seltsam bekannt vorkam. Während er noch immer über seinen günstigen Kauf und über das phantastische Gerät sprach, schaute ich auf die Seriennummer auf der Rückseite, die ich damals mit einem HK
ergänzt hatte. Mein Freund staunte nicht schlecht, als ich ihm genau sagen konnte, welche Komponenten des Rechners nicht Serie und von einem Bastler ergänzt worden waren.
Alle Durststrecken sind irgendwann einmal überwunden. Was Computer betrifft, hatte ich Blut geleckt
und wollte wieder einen eigenen Rechner zur Verfügung haben. Über die Amigas und Ataris war die Zeit hinweg gegangen, die Nachfolgemodelle hatten sich nicht am Markt gegen die übermächtige Konkurrenz der DOSen
durchgesetzt. So wurden die mit Microsofts Disk Operation System, kurz DOS, ausgestatteten Computer spöttisch genannt. Vorbei die Zeit der großartigen Motorola Prozessoren, jetzt hatte Intel das Sagen und die Entwicklung ging mit den lahmen 286er Prozessoren rückwärts. Alles musste wieder über die Tastatur eingetippt werden, Grafik oder grafische Oberflächen zur Erleichterung der Bedienung – Fehlanzeige!
Es hat lange gedauert, bis die ersten Windows-Betriebssysteme die Arbeit erleichterten, bis Windows 2000 eingeführt wurde und die Rechner ab da auch einigermaßen stabil liefen. Seit meinen ersten erfolgreichen Bastelversuchen am Atari baue ich mir meine Rechner alle selber und kaufe sie nicht mehr bei deutschen Lebensmitteldiscountern. Der Computer ist heute für mich das Arbeitsgerät und Werkzeug, mit dem ich meine Ideen zu Webseiten im World Wide Web werden lassen kann.
Die Erinnerungswerkstatt Norderstedt ist ein Beispiel dafür.
Lesen Sie zu diesem Thema auch:
Von der Lochkarte zum Smartphone – die Entwicklung der InformationstechnikLesen Sie auch den Bericht von Michael Malsch
und:
EDV-SteinzeitLesen Sie auch den Bericht von Margot Bintig