Im Dreiländereck
Im Frühjahr 1996 planten wir, meine Frau und ich, wieder einmal eine Fahrt nach Frankreich. Die Urlaubsplanung und Abstimmung mit den Kollegen, um wenigstens drei ganze Wochen zur Verfügung zu haben, war nicht immer leicht. Im Mai machte das die geringsten Probleme, die meisten meiner Kollegen machten mit Rücksicht auf ihre Kinder Urlaub während der Sommerferien und im Winter zum Skifahren.
Wir aber waren engagierte Bergsteiger, Kletterer und Höhlengeher und freuten uns auf sportliche Betätigung in dem faszinierend schönen Nachbarland, in dem Höhlenforschung fast ein Volkssport ist. In den Jahren zuvor waren wir über Basel, Genf, Chambery, Grenoble nach Frankreich eingereist, diesmal bogen wir bereits vorher ab und fuhren über Mulhouse ins Elsass. Um in den wenigen, kostbaren Urlaubstagen möglichst viel unternehmen zu können, fuhren wir mit unserem grünen VW-Bus bereits am Freitagabend gleich nach Dienstschluss los, übernachteten im Auto bei Göttingen auf einem Rastplatz und waren am Nachmittag in den Comtoiser Vogesen, am Fuße des Elsässer Belchen, dem 1250 Meter hohen Ballon d´Alsace.
So weit es möglich war, fuhren wir aufwärts und machten eine kleine Wanderung durch eine geschichtsträchtige Umgebung. Das Wetter trüb und grau, der Boden teilweise noch schneebedeckt, stiegen wir weiter auf, um den Blick nach Norden in die Vogesen zu genießen. Wir waren kurz zuvor an einem Museum mit angrenzendem Gasthaus vorbeigekommen, das von einem Zaun aus Blindgängern, großen Bomben- und Granatsplittern aus dem ersten Weltkrieg umgeben war. Das aufmerksame Auge entdeckte schnell die vielen Bombentrichter im Gelände, die bis heute von einer schrecklichen Vergangenheit zeugen. Am Gipfel des Berges treffen drei Regionen zusammen, ein Fuß im Elsass, der andere in Lothringen, seinen Arm streckt man über der Franche-Comté aus. Ein ewiger Zankapfel zwischen Deutschen und Franzosen. 1870 starben in einer einzigen Schlacht bei Wissembourg 20.000 Soldaten beider Nationen, im ersten Weltkrieg auf den berüchtigten Schlachtfeldern Tete des Feux, Lingekopf und Hartmannsweiler jeweils bis zu 30.000 Soldaten. Im zweiten Weltkrieg errichteten die Nationalsozialisten das Konzentrationslager Struthhof-Natzweiler, in dem sie 10.000 Menschen umbrachten. Ein Denkmal wurde den 500 Minensuchern gesetzt, die in diesem Gebiet nach dem zweiten Weltkrieg beim Entminen ihr Leben ließen. Immer wieder stößt man in der Gegend auf Soldatengräber, alte Befestigungsanlagen, Schautafeln und Museen, die davon zeugen, dass uns die deutsch-französische Freundschaft nicht in den Schoß gefallen ist.
Wir entdeckten im Abstieg noch einen Unterstand im Fels, der in der Vergangenheit als Bunker oder Geschützstellung gedient haben mochte. Als wir zurück am Auto waren, begann es zu dämmern, weiter wollten wir an diesem Tag nicht fahren und unser erstes Etappenziel, der französische Teil des Jura-Gebirgszuges, war nicht mehr weit. Unser Auto, ein VW-Bus Typ4, grün, mit Frontmotor und einer Sitzbank, die zur Liegefläche umgeklappt werden konnte, bot uns Schlafkomfort wie in einem Wohnmobil. Eine Behelfsküche mit Kocher und Gasflasche war ebenfalls an Bord, sodass auch der Morgenkaffee nicht fehlte, der konnte sogar im Bett serviert werden. Etwas abseits der Straße rangierte ich nun das schwere Auto hinter ein paar Bäumen auf eine gerade Grasfläche und verschloss die Fenster ringsum mit den lichtdichten Gardinen, die per Druckknopf innen befestigt werden konnten. Etwas unterhalb des Platzes lag ein kleiner See, noch teilweise von Eis und Schnee bedeckt, die Skisaison war gerade vorbei, und wir befanden uns auf knapp 1000 Metern Höhe.
Auf einem befestigten Weg kam ein dunkelgrüner Geländewagen den Berg herauf, an der Fahrertür erkannte ich das Emblem der Nationalparkverwaltung. Au Weia
dachte ich, jetzt gibt es Ärger, weil wir hier abseits der Straße auf der Wiese stehen!
Das Fahrzeug kam näher und bog auf den Platz ab, auf dem wir standen. Hatten die beiden Grüngekleideten uns doch gesehen. Die hielten und stiegen aus, begrüßten uns aber sehr freundlich und fragten danach, was wir hier zu tun beabsichtigen. Die Unterhaltung wurde zuerst in französisch, dann in deutsch geführt. Im Grenzgebiet werden auf beiden Seiten oft beide Sprachen gesprochen. Nun zeigte mir einer der Ranger eine zugewachsene alte Feuerstelle, knapp drei Meter neben unserem Fahrzeug und erzählte von den Bemühungen der Verwaltung, das wilde Feuermachen zu unterbinden, zum Schutze der Natur. Die beiden hatten aber nichts dagegen, dass wir hier eine Nacht stehen wollten, nur Feuer sollten wir nicht machen und keinen Müll liegen lassen. Das war aber für uns selbstverständlich und so wünschten die beiden uns eine gute Nacht und für morgen eine gute Weiterfahrt – bon route
. Mit so netten Ordnungshütern hatten wir nicht gerechnet, da in Frankreich wildes Camping doch überall verboten ist. Nach dem Abendbrot haben wir uns auch bald in die Schlafsäcke begeben, müde von der langen Fahrt und der Wanderung.
Irgendetwas stimmte nicht und ich erwachte mitten in der Nacht. Ein leises Rütteln ging durch das Fahrzeug und durch die dunkelgrauen Gardinen drang ein flackernder Lichtschein. Vorsichtig öffnete ich den Reißverschluss meines Schlafsacks und richtete mich auf. Die Gardine etwas zu Seite nehmend spähte ich in die dunkle Nacht. Nur, da draußen war es nicht dunkel, ein helles Feuer prasselte und die Funken stoben hoch in den Nachthimmel. Um das Feuer herum saßen an die dreißig Leute, hoben ihre Gläser und Flaschen und prosteten sich zu. Die Leute saßen auf Baumstämmen, die rund um das Lagerfeuer positioniert waren und machten einen sehr friedlichen Eindruck. Beängstigend fand ich, dass die Flammen dicht am Fahrzeug so hoch in den Himmel schlugen. Meine Frau schlief derweil selig und ich beschloss, sie nicht zu wecken. Konnte ich wegfahren? Einer der Baumstämme lag so dicht neben dem Auto, dass die dort Sitzenden die Karosserie als Rückenlehne nutzen konnten. Das leichte Rütteln hatte mich geweckt. Da diese Feier offensichtlich friedlich verlief, die Hitze nicht so groß war, dass ich um unser Fortbewegungsmittel fürchten musste, entschloss ich mich, weiter zu schlafen und wickelte mich wieder in meinen Schlafsack.
Am anderen Morgen erzählte ich meiner Frau von der nächtlichen Begebenheit, während sie mich nur angrinste. Du glaubst mir wohl nicht?
fragte ich sie. Daraufhin fing sie laut an zu lachen. Du Spinner
war ihr ganzer Kommentar. Das Lachen blieb ihr aber im Halse stecken, als sie die Lagerfeuerstelle sah, die am Abend zuvor noch, von Gras bewachsen, kaum zu sehen war, den Haufen frischer, noch warmer Asche und das verkohlte Holz. Wenn jetzt die Grünröcke auf Patrouille an dieser Stelle vorbeikämen, hätten wir Erklärungsnotstand, und glauben würden sie uns diese Geschichte sicher nicht. Die würden uns doch glatt einbuchten, Strafe bezahlen lassen, des Landes verweisen oder sonst Schreckliches mit uns anstellen. Hatten sie sich unser Kennzeichen gemerkt? Würden sie uns zur Fahndung ausschreiben? Lauter solche Gedanken rasten mir durch den Kopf. Weg hier – frühstücken können wir unterwegs
lautete unser Entschluss, so schnell wie möglich weg hier!
Sehr weit sind wir nicht gefahren, nur die paar Kilometer bis nach Baume les Dames, am Fluss Doubs gelegen, der Namensgeber für die Region ist. Aus dem Elsass ins Franche-Comté, wo wir Freunde treffen wollten, um mit ihnen gemeinsam Höhlen zu befahren.
Wie das Land heißt auch das Produkt der Region Franche-Comté, am besten lange abgelagert und mit einem Elsässer Edelzwicker zu einem leckeren Käsefondue verarbeitet. Wir trafen unsere Freunde mitten in der Landschaft, oberhalb des Doubs, an einer Regionalstraße, die dicht an der Gouffre de Pourpevelle vorbeiführte. Das war als Treffpunkt ausgemacht worden, hier wollten wir in der Kluft nach unter Tage verschwinden und uns die Großhöhlen des Doub anschauen. Nach dem gemeinsamen Käsefondue schliefen wir ungestört im Auto, voll des guten Weines und des köstlichen Käses fühlten wir uns wie Gott in Frankreich
.