Aus meiner Lehrzeit
Kap. 4
Café Keese
Auch Café Keese
wurde umgebaut. Hier bauten wir einen mehrfach gewundenen Tresen, den längsten Tresen Norddeutschlands. Doch bevor wir das gute Stück einbauen konnten, brauchten wir Strom. Aber es war kein Elektriker vor Ort. Also machte ich mich auf die Suche Richtung Keller, oft war da etwas zu finden. Aber nicht hier. Also abwärts in das zweite Kellergeschoss, auch nichts. Nun in das dritte Untergeschoss. Hier war ich nur noch neugierig, wohin die Gänge und Türen führten. Hinter einer Tür entdeckte ich einen langen, schmalen Gang, wo der Fußboden nur aus feinem weißem Sand bestand. Das wollte ich mir jetzt ansehen, also los. Der Gang war durch Neonröhren gut beleuchtet. An der linken Seite befanden sich einige Türen, die aber meist geschlossen waren, aber ein paar ließen sich öffnen, und da hörte man dann von irgendwo Musik oder auch undeutliche Stimmen. Ich war schon ein gutes Stück gegangen, da kreuzte ein großes Rohr, wahrscheinlich ein Kanalisationsrohr den Weg, aber es führte ein Stufengestell darüber. Danach wurde der Gang höher. Jetzt konnte ich nach oben bis schätzungsweise Straßenniveau sehen. Aber der Gang war noch immer gut beleuchtet, endlich erreichte ich das Ende. Hier führte eine Treppe ohne abzweigende Gänge oder Türen die drei Stockwerke nach oben, wo ich dann zwischen zwei Häusern vor einer Gittertür stand, die sich ohne weiteres öffnen ließ, worauf ich auf den Bürgersteig trat, um mich erst einmal zu orientieren. Ich befand mich in der Großen Freiheit
, im wahrsten Sinne des Wortes. Ob es die Nr. 7Große Freiheit Nr. 7 ist ein deutscher Spielfilm unter Regie von Helmut Käutner mit Hans Albers in der Hauptrolle.Klick für Wikipedia war? Ich habe nicht darauf geachtet. Nun aber los, die ganze Reeperbahn entlang zu Café Keese zurück, wo die Kollegen sich inzwischen Strom aus einem Nachbarhaus geholt hatten.
In der Werkstatt wurde es immer spannend, wenn die Lümmel-Leiste
angefertigt werden sollte. Erst wurde der Tresen in seiner gewünschten Größe und Form gebaut. Wenn dann die Servierfläche fertiggestellt war, wurden daran Distanzstücke angebracht und somit die Formvorgabe für die Lümmel-Leiste gegeben. Ihren Namen hat die Leiste, weil die vor dem Tresen befindliche Person gemütlich die Unterarme darauflegen konnte. Sich darauf lümmeln konnte. Diese Leiste wurde später etwas unterhalb der Servierfläche vorn am Tresen angebracht.
Es wurden Bretter auf etwa acht Zentimeter Stärke ausgehobelt und dann aufgeschnitten, um daraus vier Millimeter dicke Lamellen herzustellen. Aneinander gelegt sollten diese etwa 15 Zentimeter ergeben. Bevor es zum Verleimen kam, kochte der Meister stundenlang Knochenleim, den wir nur für diese Arbeit verwendeten. Der Geruch war recht unangenehm. Dann mussten alle ran. Dutzende Schraubzwingen verschiedener Größen lagen bereit und wir hatten schützende Schürzen um. Zügig wurden die Lamellen mit dem Leim eingestrichen und aneinandergefügt. Das klebrige, glitschige Gebilde wurde auf eine mit Zeitungspapier ausgelegte Spanplatte gelegt, was eine gerade Unterseite ergab. Nun wurde dieser Strang mit den Schraubzwingen gegen die Distanzstücke gepresst und bekam so seine geschwungene Form. Es wurden so viele Schraubzwingen wie nur möglich angesetzt. Alles sollte recht schnell gehen, und trotzdem war es wichtig darauf zu achten, dass keine Zwischenräume entstanden. Was besonders schwierig war, wenn die Lamellen in der Länge und in versetzter Weise aneinandergefügt werden mussten. Die Trockenzeit betrug mehrere Tage. Nachdem die Zwingen abgenommen waren, wurde die Leiste mit Zieheisen von dem herausgequollenen Leim befreit. Jetzt kam der besonders gefährliche Teil der Arbeit. Es ging an die Fräse. Die Leiste sollte ihr besonderes Profil bekommen. Der große Maschinenraum war der neuste Bau, den der Betrieb hatte.
Weil die Leiste in verschiedenen Richtungen und unterschiedlichen Krümmungen geformt war, konnte an der Fräse keine Schutzvorrichtung angebracht werden. Gerade an dieser Maschine ist es üblich und auch dringend erforderlich, dass auf besondere Schutzvorrichtungen geachtet wird. Hier aber konnte nur ein Führungsstab auf dem Frästisch befestigt werden, aber der Spezial-Fräskopf mit dem Anlaufring war völlig frei. Deshalb stand bei dieser gefährlichen Arbeit auch der Meister, zusammen mit einem erfahrenen Gesellen, selbst an der Maschine. Vor und hinter den beiden standen, zum Anreichen und Abnehmen und um das Teil gerade zu halten, noch etwa zehn Mann. Der Fräskopf drehte sich mit 16.000 Umdrehungen pro Minute. Wenn alles gut ging, genügten zwei Fräsdurchgänge. Übrigens, der Meister hatte an einer Hand noch vier, an der anderen noch drei heile Finger.
Nach dem Fräsen wurde die Leiste oft noch tagelang geschliffen. Jeder Geselle hatte seine Spezialaufgaben. Die einen bauten die Tresen, die andern waren für die Bänke oder den Büfettbau zuständig. Wieder andere stellten die Kleinteile her, die in großer Zahl benötigt wurden. Wenn die Teile fertig waren, wurden sie zur Farbgebung noch gebeizt, um danach mehrere Schichten Klarlack zu bekommen. Nur in der kleinen, der ältesten Werkstatt, die zusammen mit dem alten Maschinenraum den Ursprung des Betriebs bildete, wurden von dem Gesellen dort meist Extraaufträge erledigt.
In einer schönen, trockenen Sommerwoche haben wir den Dachstuhl an einem Haus, das dem Meister gehörte, erneuert. Zuerst haben wir die Giebelsäulen und die Giebelbinder mitsamt der FirstpfetteDer Begriff Pfetten
(auch Dachpfetten
) bezeichnet die waagrechten Balken die unterhalb des Dachsparrens liegen und diese tragen. Damit gehören diese Balken zu den wichtigsten, konstruktiven Elementen eines Daches. Diese Pfetten verlaufen meistens parallel zum First und zur Traufe. Man unterscheidet je nach Position zwischen Firstpfette, Mittelpfette, Wandpfette und Fußpfette. ausgewechselt. Das war ziemlich kompliziert, da zwischenzeitlich die alten Dachsparren etwas haltlos dastanden. Dann gingen wir so vor, dass immer einer der schrägen Dachsparren entfernt und durch einen neuen ersetzt wurde. Also die ersten beiden, links und rechts, dann die nächsten beiden usw. Hierfür waren zwei Mann oben auf der Firstpfette, dem Firstbalken, und zwei Mann an der Fußpfette am Arbeiten. Aber dort oben wollte keiner so gerne hin. Nur ein Altgeselle, ein Pole, der sich sonst immer allein etwas abseits hielt und bestimmt schon das Rentenalter erreicht hatte, und ich, wir beiden bewegten uns dort oben munter und sicher. Ich hatte schon vor einigen Jahren solche Klettererfahrungen gemacht, als meine Eltern unser Haus umgebaut hatten. Nachdem alle Teile des Gebälks erneuert waren, konnte der Dachdecker seine Arbeit machen. Und wir hatten einen Einblick in die Zimmermannsarbeit bekommen, was mir später, als ich mein Haus baute, zugutekam.
Zum Ende des dritten Lehrjahrs stand die Gesellenprüfung an. Hierzu gehörte auch das Gesellenstück. Ich baute einen kleinen Schrank, der auf einer Seite vier Schubkästen und auf der anderen Seite eine Tür hatte. Das Schränkchen habe ich aus nussbaumfurnierter Tischlerplatte gefertigt. Aus Platzmangel steht der Schrank jetzt im Keller. Nach der Lehre habe ich noch ein Jahr lang bei meinem Meister gearbeitet.
Dann musste ich zur Bundeswehr. Nach dem Wehrdienst wollte ich mir unser schönes Deutschland ansehen. Ich fand in Hessen, in Haiger eine Firma, die Schultafeln herstellte und bei der ich als Kundendienst-Monteur eingestellt wurde. Bei dieser Tätigkeit lernte ich die ganze Bundesrepublik von Nord bis Süd und Ost bis West sowie die meisten Nordsee-Inseln kennen. Als nach einigen Jahren in Österreich eine Firmenfiliale aufgemacht wurde, bin Ich für einige Monate dorthin geschickt worden, um die Angestellten dort in die Arbeit einzuweisen. So lernte ich auch große Teile von Österreich kennen. Auch nach Paris wurde ich für 14 Tage geschickt, wo ich mit unserem dortigen Vertreter kreuz und quer durch die Stadt gefahren bin. Nachdem diese reisende Arbeit für mich beendet war, zog ich nach Berlin, wo ich 30 Jahre als Tischler gearbeitet habe.
Als ich dann Rentner war, ging es nach insgesamt 47 Jahren zurück nach Hamburg.