Ich traf Männer im Sahel
Eigentlich war er zu schön für einen Mann, der 1,85 Hüne mit den leuchtend blonden Haaren, der aus der Tiefe des Zollhauses auf mich zukam mit ausgestreckter Hand. Ich bin Christian. Er hatte Dringendes zu besorgen in Dakar für den Ferlo, dann lud er mich in den Unimog und machte dem Fahrer ein Zeichen: Mach zu. Es ging gegen Abend, doch die Hitze des Tages schwebte im Wagen. Lang ist die staubige Landstraße von Dakar die Atlantikküste entlang über kleine dunkle Dörfer, wo Christian Mangos kaufte am Wegrand, wo die Baobabs wie traurige alte Männer ihre kümmerlichen Äste gen Himmel streckten - bis hinauf nach St. Louis, der alten Hauptstadt in verblichener französischer Eleganz. Hier wartete auf luftiger Veranda der Zweite im Bunde, Sigi mit Familie, jener Mann, der alles wusste über Weiden und wie man sie fruchtbar und nahrhaft hält im trockenen Sahel. Ein zischendes Bier, Gespräche über das Her und Hin, Christian freute sich diebisch, mir Heere dunkler Ratten zu zeigen, die nachts über die Wege trabten, dann lud er mich ein ins Hotel de la Poste, wo die tiefschwarze Dame Coumba den Gästen Lieder sang unter alten Geweihen und erotischen Bildern. Und der braune Gambia murmelte unter meinem Fenster.
In St. Louis Altstadt fand ich Christian, herrschaftlich im feinen Büro, ein Heer von Helfern zu seiner Hand. Hier in Schwarzafrika war er Le Roi, der König, wohlhabend wie kaum einer, mächtiger Arbeitgeber und Boss, er, der Weiße, der Bwana-Herr, der im uralten Land etwas Modernes auf den Weg zu bringen gedachte mit den Mitteln ferner Finanzquellen in Deutschland. Signum: Entwicklungshilfe, ob die Bewohner des Landes sie wollten oder nicht. Weitreichende Pläne hatten die Deutschen entworfen und Christian war willens, mir die Außenposten seines Reiches zu zeigen, auch als Plattform für die Medien, derer er sich gern bediente. Sigi hatte eingekauft, was man braucht in der trockenen Hitze, zwei Wagen machten sich auf die Piste, über Richard Toll, wo die Zuckerfabrik zum Himmel stank, über verlassene Flugplätze in hässlicher Einsamkeit — hinein in den Ferlo, die wasserarme unwegsame Savannensteppe mit wenigen Dornbüschen und seltenen Herden. Tiefe Sandlöcher werden dem Toyota zur Falle, hier Steckenbleiben kann den Tod bedeuten. Das Gespräch verkümmert, Staub dringt in die Haut, es ist zu hell für die Augen, alles verschwimmt.
Als dem Nichts die Holzhütten von M’Bar Toubab. Sigi zeigte die wenige Jahre alte Baumschule und die kostspielig installierte Tröpfchenbewässerung. Mit ihr gediehen in der Dürre grüne und gelbe Melonen, rote Tomaten und riesige Sonnenblumen. Das Dorf für die Arbeiter und ihre Familien, einfache Betonhäuser, ist in Arbeit. Händeschütteln mit dem kleinen bou-bou-geschmückten Forstwart von M’Bar Toubab: Stanislaw Djouf, ein Schluck Brause und schon stauben die Wagen über die mahlenden Sandwehen zur nächsten Station, dem Marktort Vindou Tiengoli. Unsere Männer, Christian und Sigi, hier sind sie zu Hause, alles haben sie entworfen, gebaut, ein Refugium inmitten schwarzafrikanischer Welt. Die Deutschen werden willkommen geheißen vom Forstwart Bocar Diogo, dem schwarzen Zwei-Zentner-Mann im weißgrünen Bou-Bou, dem traditionellen Baumwollgewand. Seine drei Frauen schieben sich in den Schatten des Holzhauses. Christian ruft herrisch nach Batschiba, seinem Küchenboy, der nie da ist, wo er sein soll. Sigi und Christian fluchen im Chor über den neuen und erwartungsvoll aufgebauten Gas-Kühlschrank, der nicht kühlen will vermutlich, weil jeder immerzu die Türen aufmacht, um zu sehen, ob er kühlt.
Wir können nicht warten, laufen rüber zur großen Wasserstelle am Tiefbrunnen, den einst die Franzosen gruben. Herden der zebuartigen Rinder stehen ruhig an den langen Betonbecken und saufen das leicht salzige Wasser, wie es aus der Tiefe kommt. Frauen beladen Eselkarren mit frischgefüllten Schläuchen von LKW-Reifen. Freundlich grüßt der Hirte die Toubabs
, die Europäer. Der heiße weiche Sand besprenkelt mit Millionen trockener Kothaufen, fühlt sich durch den Leinenschuh hindurch an wie die Lohe in alten Turnhallen und riecht auch so streng. Dies also ist es, das Zentrum, um das sich alle Mühen des deutschen Projektes drehen, Christians heiße Arbeitsstelle im Kampf gegen die DesertifikationDesertifikation, fortschreitende Wüstenbildung, oder Sahel-Syndrom mit Hilfe von ökologisch geplanten Oasen
, die hier niemand kennt.
Köchin Batschiba hat ein Huhn gekocht und einen großen Salat zelebriert, dazu gibt es warmes Brunnenwasser und Obst. Witze werden gerissen, Knallfrösche gezündet, Putzfrau Coumba geneckt, leichter Wind strömt durch den Fliegendraht, die Nacht wird lang.
Mit Christian und Sigi eilen wir auf der Sandpiste durch die Sahellandschaft mit ihren verstreuten Akazien zur Wasserstelle Ganina, ein natürlicher Brunnen, wo vielköpfige Herden von Rindern, Schafen und Ziegen sich versammelten und neue hinzu strömten. Sigi unter seinem Sombrero spricht französisch und arabisch. Immer fragen die Hirten in Wolof oder Fulani: Warum sollen wir unsere Bräuche aufgeben, sie haben sich bewährt, wer garantiert uns, dass dies nicht wieder so ein Reinfall wird, wie wir ihn früher schon erlebten? Sie haben gelernt, den Europäern gründlich zu misstrauen. Für sie schmeckt alles aus Europa nach Kolonialismus, den sie von den Franzosen kennen. Wann werden wir eure Bäume essen?
fragte einer, zum wievielten Male? Immer geht es um das Nächstliegende, um das Futter für die Herden. Ihr legt 1000 Dollar in die Wüste, wird sie dann grün? Nein, ihr müsst arbeiten!
Der Ortshäuptling lädt zu süßem Tee und Trockenfleisch. Die Frauen singen laut und rhythmisch. Im Rundhauscamp trinken wir Sauermilch aus Kalebassen. Ein meckernder brauner Ziegenbock wird uns geschenkt, der auf keinen Fall in den Kofferraum gesperrt werden will. Später auf dem Hof der Station greint der Bock so herzerweichend, dass an Ruhe nicht zu denken ist. Im Abendlicht bedauere ich einen kleinen Esel, der trotz aller Mühen den Wasserspiegel in der Rinne nicht erreichen kann und klagt. In aller Dunkelheit sammelt sich weiß und schwarz in der überdachten Durchfahrt zum großen Tamtam. Hundert große und kleine Leute, auf Matten sitzend, die Frauen abseits. Dreimannkapelle macht einschläfernden Singsang und feiert jeden Obolos mit improvisierten Gedichten. Das Publikum ist dankbar für jeden Witz und klatscht im vorgegebenen Rhythmus, um Mitternacht zerstreut sich alles in der Dunkelheit und lacht leise weiter.
Der Himmel ist stark bedeckt, als ich mit Sigi und Djogo ins Dorf fahre. Hier leben die Handwerker und Schlachter vom Stamme der Mauren, die Kleinvieh halten, während die Peulh — oder Fulani — Großvieh züchten. Dann mit Christian ins Dorf mit dem schönen Namen Penda yayakeh — das heißt Penda wird nicht verkauft. Alte huzelige Männer vom Stamm der Landwirtschaft treibenden Wolof empfangen uns unter einem Holzdach, wo sie geduldig Erdnüsse pulen für die neue Saat. Ihnen predigt Christian — über einen Dolmetscher — was die Deutschen alles tun werden mit Aufforstungen der Hirsefelder und was das bringt. Einer sitzt am Rande und studiert mit Brille und Zeigefinger den Koran, ein anderer macht den grünen Tee und reicht ihn herum. Kinder und junge Leute drängen sich achtungsvoll am Außenrand. Zahnlose Münder mümmeln Nüsse. Der Unterschied ist krass zu den sauberen Peulh (Fulani), die weit besser ernährt sind. Wir fahren weiter zu einer bäuerlichen Aufforstungsfläche, wo zum ersten Mal in dieser Gegend Bauern auf kleinen Wagen Heu wegfahren. Das Heumachen war ihnen unbekannt, bis die Deutschen kamen. In der Station bietet ein Händler Amulette an. Die Nacht vergeht mit lauten Diskussionen über das traurige Schicksal unserer Küchenfee Coumba, die nicht zurück will zu ihrem Mann, der finstere Drohungen gegen sie ausstößt. Christian und Djogo versuchen geduldig, die vielen Argumente abzuwägen und bringen die Aufgelöste schließlich nach Hause, werden sie später für 250 Mark loskaufen von ihrem Mann und zurückbringen zu Christian.
Unsere Frühstücksvorräte schrumpfen arg. Ein Staubsturm fegt über das Land und taucht alles in glasiges Licht. Christian fährt mit mir durch die Sahellandschaft, an Baumleichen vorbei, wir bleiben stecken, werden abgeschleppt. Weiter zu einem modernen Gerät Untergrundlockerer mit Furchenschar
hinter dem Unimog, auf dem imposant Oberförster Djogo thront. Es sind die Vorbereitungen für die Aufforstung der Parzelle 8oa im Westen von Vindou. In den Furchen sammelt sich Wasser um die jungen Akazienpflanzen. Das alles sieht professionell und gekonnt aus. Wir packen rasch und brettern in glühender Staubsturmhitze über die Sandpisten zurück nach Richard Toll, wo in der Bar bereits zwei bebrillte Damen warten, Bier verlangen und fotografiert werden müssen, wollen uns Dienstag in St.Louis zu Diensten sein. Weiter nach St.Louis, fast romantisch staubt der lockere Sand über die Teerstraße. Ein Bild zum Mitnehmen wie eine alte Erinnerung.
Mich weckt der hallende Ruf des Muezzins. Meine Freunde fahren an die Atlantikküste, wo Sigi mit hohen Stiefeln im Küstenwasser steht und große Fische angelt und heimbringt. Es ist schwül in St.Louis, leichter Wind. In Sigis Garten sprinkelt der Sprinkler. Abend versammeln sich alle in Christians pompöser Bleibe, wo großes Fischgrillen abläuft. Die(weißen) Damen haben Crevetten-Salat mit Quark und Kartoffeln in Silberpapier bereitet, unter Lampionlicht. Musik tönt leise aus dem Haus. Es gibt Bier und Wein, die Katzen fressen die Reste, Türsteher Alpha als erster oder letzter betrunken. Tönende Gespräche über Alltägliches, der Abendwind frischt auf, es wird arg kühl. Die Kinder werden schlafend nach Hause gefahren.
Nach einem deftigen Hausfrauenfrühstück von Batschiba machen wir uns wieder auf den Weg nach Richard Toll und hinein in den Ferlo. Überall die zerborstenen Reste der Sandstürme. Feuer in einiger Entfernung, aber nicht bedrohlich. Erreichen die Brunnenstelle Nissante, die auch ein Forsthaus erhalten soll. Bald danach zwei kleine Brunnen, aus denen mit Hilfe der Esel geschöpft wird. Sigi erzählt lebhaft von seiner bäuerlichen Vergangenheit und dem Schicksal der Familie in Polen. Es wird dunkel, Scheinwerfer ertasten den Weg. Es ist sehr still, kein Vogel zu hören, nicht mal ein Esel. Am Himmel die scharfe Sichel des zunehmenden Mondes. Spät abends in Vindou, empfangen von Djogo im schneeweißen Boubou. Ich fühle eine Rückkehr ins Vertraute. Der Generator noch kaputt, alles still.
Batschiba kommt zu spät und wird ausgeschimpft, brät weinend Spiegeleier. Ich betrachte die Arbeiten auf der Station, das Montieren der Scheibenegge, den Wasserturm, das Bemalen der Zaunpfähle. Der Markt ist jetzt sehr lebhaft. Aber der Staubsturm wird heftiger von Minute zu Minute, alles versinkt in gelb, der feine Staub dringt durch jede Ritze und brennt auf der Haut. Unter dem Holzdach des Dorfes großes Palaver, Sigi und Djogo mit dem Präfekten und den Dorfältesten, mehrere Stunden lang. Boubous in allen Farben.
Nicht weit von den palavernden Männern stehen lachend die stolzen und teils sehr hübschen Nomadenfrauen (sie haben das Recht an der Milch
ihrer Herden und deshalb eigenes Kapital, was nicht selbstverständlich ist in Afrika). Sie stellen unzweideutige Fragen, machen sinnfällige Zeichen: Streichen über den Bauch heißt: Ich kann Kinder kriegen! Also heirate mich!. Das Verhaken der Zeigefinger: Ich könnte dich vielleicht mögen. Sie sind graziös und ganz ungeniert. Eifersucht kennen sie wohl nicht, jeder Mann darf (bzw. muss) ja mehrere Frauen unterhalten. Nach dem Palaver erscheint der örtliche Subpräfekt mit seinem Stab ins Gästehaus, sie vertilgen Fleisch mit scharfen Gemüsen und loben das GTZ Projekt in allerhöchsten Tönen. Sigi ist bewegt von den positiven Worten, die die Hirten für seine Arbeit an den Weiden finden. Um vier Uhr nachmittags haben die lachenden Fulanifrauen sich in die Savanne verzogen, und der Markt liegt still wie ausgestorben. Das Gästehaus ist vollgeweht vom feinen Staub, der mit Wasser zusammen zur braunen Paste verschmiert, alle waten fröhlich im Dreck.
Früh am Morgen erscheint ein würdiger älterer Fulani-Herdenfürst im braunen Boubou mit Kahlschädel, sein Name ist Inel Salif Sow. In zwei Wagen brechen wir quer durch den Busch, über geheimnisvolle Abkürzungen zum Camp des Inel. Fünf wunderschön geflochtene Rundhütten, umgeben von einem geflochtenen Zaun, darin zwei alte, zwei junge Frauen, Kinder, ein Hund, ein Koranleser. Die jungen Frauen stampfen mit langen Holzstangen in Kalebassen rhythmisch die Hirse.
Wem die Ehre zuteil wird, dem traditionellen Fulbe-Führer gegenüberzusitzen, gewinnt auch ohne sprachliche Verständigung den Eindruck: Welch ruhiges Selbstbewusstsein, welche Sicherheit des Auftretens und der Entscheidung. Im zerfurchten Gesicht des alten Mannes ist die Geschichte seines Volkes zu lesen. Hier läuft nichts ohne diese Führer, nicht einmal die Reparatur eines Zauns. Manch ein gut gemeintes und teures europäisches Entwicklungsprojekt ist gescheitert, weil von außen Kommende in ihrer kolonialen Arroganz nicht begriffen, dass ihre westliche Technik ganz interessant sein kann, hier jedoch nur sekundäre Bedeutung hat gegenüber den Bedürfnissen der Menschen, die mit dem Lebensraum, seinen Tieren und Pflanzen, seinen klimatischen Rhythmen seit ungezählten Generationen zutiefst vertraut sind. Die Fulbeführer haben einen erheblichen politischen Einfluss. Eine große Herde bedeutet für den Besitzer Ansehen, Gewicht, Kapital, Macht. Kein Rind wird geschlachtet. Ab und zu geben die Frauen den herum spielenden leisen Kindern in ruhiger Würde die Brust. Ein angenommener
junger Mann killt unseren als Gastgeschenk mitgebrachten Ziegenbock und hing ihn außerhalb des Zauns am Kopf an einem Baum und zog ihm die Haut herunter wie einen Handschuh. Kleinere Fleischteile spannte er auf kleine Holzkreuze und ließ sie in der Sonne trocknen — ein gespenstischer Anblick. Das Essen in der hohen kühlen Rundhütte mit den rundum angebrachten geflochtenen Sitzbänken wurde zu einem festlichen Ereignis. Herr Sow deutet an, ich möge das gebratene Ziegenbein aus der Hand essen. In der großen, Schüssel wölbt sich grobkörniger Reis, angefeuchtet mit dem Saft des Fleisches, darauf gekochte Ziege. Mr. Sow formt den Reis zu Kugeln und stopft sie mir — als dem Ehrengaste — in den Mund. Aufhören darf ich erst, als ich Zeichen gänzlicher Überfüllung von mir gebe. Die Hauptfrau, Dianaba, kenntlich am großen Silberring an der großen Zehe, widmet sich der langwierigen Teezeremonie. Eine kleine blaue Kanne steht auf der glühenden Holzkohle. Hinein ein Schnapsglas voll grünen Tees, plus ein Klotz Zucker, abgehauen vom spitzen Zuckerhut. Nun wird der Tee viele Male umgegossen in die sieben kleinen Gläser und zurück in die Kanne, hin und zurück, bis der Tee schäumt. Frische Minze wird hinzugefügt. Probieren, umgießen, probieren, aufkochen, umgießen, wohl eine halbe Stunde. Das bittersüße Getränk läßt das Herz explodieren und macht die Nase frei — ich möchte trotz der Fleischesfülle in die Luft springen.
Mit der jungen Mutter Aby gerate ich in Blickkontakt, trotz lähmender Hitze. Aby ist scheu, ein Kind noch. Ein Bildhauer hätte ihn modellieren wollen, den fein gebogenen langen Hals, die zarten Brüste. Eine klassisch schöne Hirtenfrau, das Gesicht könnte auf alten ägyptischen Reliefs prunken. Reden kann sie nicht mit mir, nur angucken und lächeln. Ohne Scheu rutscht Aby näher. Zeichnet stumm mit einem Hölzchen wunderliche Zeichen vor meinen Füßen in den heißen Sand. Die spannende Lösung: es sind die Brandzeichen der großen väterlichen Herde. Aby ist nicht arm, o nein! Hin und wieder erscheint der vierjährige Mamadou, spielt mit einem Cocacola-Korken und verlangt zu trinken. Ein Bild kind-mütterlicher Geduld und Ergebenheit. Es sind Frauen wie Aby, die den Clan zusammenhalten, weil sie die althergebrachten Traditionen ihres Volkes weiterführen und ihren Kindern mitteilen.
Die rund fünf Millionen Fulani in Afrika sind ein altes Volk. Zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert gründeten sie Reiche in Guinea, Obervolta und Fouta-Toro. Ihre Sprache ist reich an Geschichten und Lyrik. Für 5o Ziegen, hätte ich Aby zur Ehefrau haben können, meinte der Herdenführer. Es bedurfte einiger Diplomatie, das großherzige Angebot abzulehnen, ohne die Menschen zu verletzen. Ich schied in tiefer Nachdenklichkeit.
Der wohlhabende Hirte Inel Salif Sow kam mit der Herde in Staubwolken gehüllt von der weit entfernten Wasserstelle Amadi. Geboren war er 1918. Vor zehn Jahren hat er dies Camp gebaut (Compound sagte man hier). Seine Herde besteht aus 216 Rindern, 30 Ziegen, 50 Schafen, 3 Kamelen, 5 Eseln und drei Pferden. Viele Rinder leiden an Botulismus, die Tiere hinken, haben hohes Fieber und sterben innerhalb von drei Tagen. Ursache ist ein Mineralstoffmangel des Brunnenwassers, es lässt die Tiere Haut und Knochen von Kadavern fressen, damit holen sie sich die Infektion. Medikamente, das ist das einzige, womit man ihm eine Freude machen könnte. Der Compound, die kleine Heimat für Aby und ihre Hirtenfamilie, verschwindet im Dunst von La Brousse. Zurück in Christians Reich wo er allein das Sagen hat. Wir fahren nach M’Bar Toubab und beobachten die Aufzucht junger Acacia senegal in der Forstbaumschule. In der Natur müssen die Acacia-Samen einmal durch den Viehmagen wandern, bevor sie keimen können, hier wird das nachgeahmt, indem man die Samen einweicht und die Tüten mit den Samen in großen Betonbecken aussetzt. Mit Diogos Hilfe entdecke ich einen Hirten, der für seine kleine Ziegenherde in der Akazie sitzt und sie schneitelt
mit dem großen Messer. Die Ziegen meckern begeistert und fressen die grünen Äste. In der Vindou Station ist Ingenieur Mertz dabei, den Unimog zu überholen. Daneben werden den Arbeitern die Löhne ausgezahlt, quittieren tun sie mit dem Daumenabdruck. Wieder brechen wir auf nach Richard Toll. Von weit her über die stille Savanne tönt das Quietschen der Holzrollen bei der alten Wasserstelle Sagobé. Eselpaare ziehen an langen Seilen die Gummisäcke mit Wasser aus dem Tiefbrunnen, Hirten gießen das Wasser in hölzerne Trinkwannen — ein anheimelnd zeitloses Bild. Sack für Sack wird hochgezogen, da kann das köstliche Nass nur für wenige Tiere reichen, so werden die Herden auf ein vernünftiges Maß begrenzt. Dagegen der motorgetriebene Brunnen von Vindou — er fördert 60 Kubikmeter pro Stunde kontinuierlich, viel mehr Tiere können getränkt werden, klar dass die Herden größer werden und dabei alles zertrampeln. Müde fahren wir nach Hause, wo jemand einen Baum fällte und alle Telefonleitungen zerriss.
Auf mich wartet Unheil durch Dummheit. Mit Kind und Kegel fahren wir an die Beach. Sigi angelt, ich wandere über den staubweißen Sand und schaue nach den braunen Wurzeln der Strandpflanzen, denke an Sylt. Frauen entblößen die Brüste zum Bräunen, ich entblöße meine Füße (Idiot!) und das halten sie nicht aus, schwellen an wie Ballons in tropischer Glut. Im Radio tönt die Deutsche Welle mit einem Report über das Endspiel der Europameisterschaft.
Mit Heilsalbe versehen, fahre ich mit den anderen durch den heißen Busch. Halt unter schattigen Baobabs, um Wurstbrote zu essen und Brause zu trinken. Quer durch ein riesiges tellerflaches Wüstengebiet ohne Halm und Busch. Wie eine Landebahn. Wir erleben den Lac du Guier und fahren weiter zu Serge Rampillon in die pompöse Villa des Chefs der Pumpstation dicht am Lac, sprechen über die kritische Wasserversorgung von Dakar. Der See reicht nur für sechs Tage. Bei sinkender Sonne zurück über die flache Wüste nach St.Louis. Ich wandele schmerzgepeinigt durch den dunklen Ort, kaufe Kokosnüsse bei dunklen Frauen und bedenke den Unsinn des Lebens.
Morgens pünktlich auf dem kleinen Flugplatz, wo die 9-sitzige Maschine mit dem französischen Piloten wartet. Wir fliegen nach Süden über den Senegal und die Savanne. Jetzt verstehe ich die Größe dieser Welt und die Winzigkeit menschlichen Tuns. Wir fliegen 500 Fuß hoch, jede Kleinigkeit tritt hervor, die Löcher der Warzenschweine, die runden Hirsefelder, die Rundhütten, rennende Ziegen, Sanddünen. Wir umrunden M’Bar Toubab und Vindou, weiter über Ganina, den Luc du Guier, die Wüste. Auf dem Rückweg nehmen wir einen Luxemburger Geistlichen mit, der von einer Nonne erzählt, die seit 1903 im Lande arbeitet und nun 100 ist, aber sehr munter.
Abends beginnt bei Herrn Mertz und endend in düsterer Hafenkaschemme das große feuchte Abschiedsfest, bei dem eine rabenschwarze Dame mit Namen Omo eine Rolle spielt und wieder der Star vom de la Poste, Coumba. Um 5 Uhr morgens schreitet alles auf den Brustwarzen heimwärts, Einzelheiten entziehen sich der Beschreibung.
Schweigsames Frühstück der Festleichen, Abschied von meinem Helden Christian, ich habe ihn gern und viel von ihm gelernt. Fahrer Malick geht auf die N2 Richtung Dakar. Platzender Reifen auf heißer Straße, irgendwo, kein Werkzeug zum Heben, Malick mit Kleinbus in nächste Stadt, drei Stunden wandernd warten. Frauen bieten Körbe feil, das Wasser geht zu Ende, schwitzend Reifen montieren, weiter. Durch hässliche Brettervorstädte, abends in Dakar und ins Hotel Lacon 2, fertig.
Dakar ist ein Nest voller Gangster, vom Schuhputzer bis zum Verkäufer gestohlener Uhren. Nun kann es eigentlich nur noch besser werden. Beim Frühstück Überlegungen, wie man über das liebenswürdige Volk der Peulh schreiben könnte, das so harmlos freundlich in La Brousse lebt, dort draußen, wo Städter nie hinkommen. Mit der Melodie ihrer Sprache und der Fähigkeit, nahezu jede Situation umwerfend komisch zu finden. Abends zum Empfang Dr.Gutmanns in der ehemaligen Botschafter Residenz in der Einflugschneise. Junge Frau, sehr bemüht, und zwei Bilderbuchkinder in Blond. Katzen.. Garten, Lampions, Tamtam der Party. Schwarze Band versucht sich in Walzer. Nach und nach kommen die Gäste, je nach Rang begrüßt mit Küsschen rechts und links und vorgestellt. Konversation unmöglich wegen Krach und wohl auch nicht beabsichtigt. Grüppchenbildung, Häppchenessen im Stehen unter dem Dach des Gartenpavillons auf Papptellern. Mit Taxi zum Flughafen, Passkontrolle und Erkenntnis, dass Maschine 5 Stunden verspätet. Dösen auf harten Plastikstühlen, weiterdösen in der Maschine, Fenster verhangen, Schlaf und Essen schlecht, in Brüssel alle Anschlussflüge weg, Tropenbräune verblasst in der Kälte des Warteraums. Fast vergessen, wie es vor nicht langer Zeit war — dort drüben im Busch, in der trockenen, öden und doch so belebenden La Brousse.
Was die Männer bewirkten
Zehn Jahre waren vergangen, seit wir den blonden Christian begleiteten zu den dornigen Acazien im fernen Ferlo des Senegal. Eine Generation hatte die nächste abgelöst in La Brousse
im Süden des Sahel. Die Deutschen haben viel Scheiß gebaut
, sagte ein alter Experte, aber jetzt denken sie nach. Alle Ressourcen-Schutzmaßnahmen stehen im massiven Interessenskonflikt mit der einheimischen Bevölkerung, wir müssen runter von der großen teuren Technik und hin zu einer großflächigen Anwendbarkeit, die bezahlbar, kontrollierbar ist. Es ist immer die Frage, wer hier die Hosen anhat, die Deutschen oder die Senegalesen.
Wir fuhren wieder in Kolonne von Dakar auf der Küstenstraße nach St.Louis. Die Bäume an der Landstraße waren höher gewachsen, aber die Baobabs sind noch immer die Denkmäler botanischer Lächerlichkeit. St.Louis, Hotel La Poste am Markt, vertraut die primitiven Wald- und Jagdbilder an den Wänden der Rezeption. Draußen bettelten Kinder um ein paar Münzen. Die Mädchen stolzierten schnippisch umher in kurzen Röcken und bunten Ohrgehängen. Die Nacht war durchwebt von bangen Träumen. Heiß stieg die Sonne über dem dunstig braunen Wasser. Sigi, der grau gewordene GTZ-Weideexperte hatte eine Wagenladung Überlebenskram eingekauft für die Expedition in die Wüste.
Sigi steuerte nicht den vertrauten Weg über Richard Toll, er kam von Süden her und der alte Fuchs verfuhr sich im Gewirr der kreuz und quer verlaufenden Pfade im gelben endlosen Sand. Mußte freundliche Hirten nach dem Wege fragen, durch tiefe Furchen, vorbei an dürren Büschen, an Kümmerbäumen, und nirgends rief ein Vogel. Es knallte unerfreulich und der Reifen war platt. In kochender Hitze Gepäck auspacken, Wagenheber raus, Toyota hat den Ersatzreifen tief unter dem hinteren Blech versteckt. Der Backofenwind ohne Feuchte dörrte die Haut, der Körper verlangte nach Sprite
. Herden zogen meckernd vorüber, Hirten grüßten, ein Eselsgespann schleppte Wasser in dicken schwarzen LKW-Autoschläuchen.
Eine Rundhütte an kleiner Wasserstelle — und endlich, die weite, flache, braune, hufezertretene Arena um den Betonbrunnen. Vindou Tiengoli, Ort eines einst ehrgeizigen Aufforstungsprogramms der Acacia senegal. Größer war die deutsche Station geworden, schicker, mit Gästehaus, Veranda, Garten und Sonnendach. Hundert Meter weiter: Vindou, 7ooo Einwohner inzwischen, mit Straßen, einer Moschee, einer Schule und Kaufmannsläden. Die ordentlichen Deutschen haben eine Straßenbeleuchtung installiert. Fulbefrauen wanderten einher, neugierig die Toubabs musternd, hübsch in ihren leuchtend blauen Boubous mit den gleichfarbigen Kopftüchern. Weiß die langen Gewänder der würdevollen Herdenführer. Feuchte Händedrücke, Gemurmel in französisch, in Fula und Wolof.
Sigi hatte Weideperimeter vermessen und Zäune bauen lassen, wie schon vor zehn Jahren. Doch wer hielt sie instand gegen die akrobatischen bäumekletternden Ziegen? Wer zahlte wann für was? Immer nur die Deutschen? So wichtige Fragen wurden, wie überall in Afrika, im großen Palaver besprochen. Von Männern natürlich, denn die Frauen blieben beim Brunnen, bei den Kindern und am Kochherd. Unter den Männern des Fulbestammes war der würdige Carlingel alias Salika der Boss, ein gut aussehender Familienvater und Herdenführer aus altem Stamm. Mit ihm versammelten sich die Honoratioren im Hof, alle fein gemacht mit den besten Gewändern. Genossenschaftspräsident Dadal-ka begrüßte uns und sagte, er würde gern mal nach Deutschland fahren um zu sehen, wie sich dort das Leben abspielt.
Rede … Gegenrede … Murmeln … Argumente … Palaver in bester Tradition, Sigi mitten drin, einer der Ihren. Ja, man will die Zäune der Deutschen reparieren, ja, man will die Zehn-Prozent-Rückzahlung am Zauneigentum pünktlich in jährlichen Ein-Prozent-Raten leisten. Man weiß, dass die Familien, die in den umzäunten Arealen wohnen dürfen, besser leben, gesünder, als draußen. Und immer gehe es ja um das Wohlergehen der kostbaren Kühe, die jung nicht geschlachtet werden.
Gemessenen Schrittes gingen die Herdenführer auseinander, freundlich die Deutschen grüßend, die hier einen Wandel in Gang gesetzt haben. Sigi unter dem zerknüllten Trapperhut strahlte. Sein Baby, die geschützte und gut wachsende Weide, war das einzige Projekt der Deutschen, das eine Zukunft hatte. Weil es den Intentionen der Fulani Viehzüchtern entgegenkam, weil sie es begriffen. Vom hohen Wasserturm ein langer Blick. Hier hatte sich in den zehn Jahren leider nichts zum Besseren geändert, aller Boden war wie immer zertrampelt von Hunderttausend Hufen und tot. Christians großes Projekt war gescheitert, er selbst irgendwohin verschwunden.
Im Gästehaus der Station, aufs Essen wartend, redete man über das gescheiterte deutsche Projekt und die Dürre. Sigi verteilte Condome aus einer großen Tüte, für alle Fälle, ihr wisst ja, die Fulbefrauen sind selbstbewusst und frei in ihrem Liebesleben, aber passt gut auf!!! Von AIDS sagt er nichts. Aufbruch. Schweigsam, bedrückt saß Sigi am Steuer. Früh morgens führte er zur Wasserstelle M'bar Toubab. Vor zehn Jahren ein Paradepferd der Entwicklungshilfe. Wo waren Sigis Wassermelonen, wo die Tröpfchenbewässerung, wo die vielen kleinen Akazien in ihren Pflanzbeuteln, wo das neue Palaverhaus im schönen Arbeiterdorf? Ruinen, verwehte Trümmer, geborstene Wände, überwucherte Beete, ein einsamer Esel. Wieviele Deutsche Mark lagen im Sande vergraben und wie viele Hoffnungen. Ein ehrgeiziges Modell einer ökologischen Rundum-Aufforstung mit Siedlung und Gärten zur Selbstversorgung: tot und kaputt. Gescheitert an fehlender Zukunftsplanung, an der Überheblichkeit mancher Experten, die zwar die Landessprachen nicht sprechen, aber alles besser wissen als die Einheimischen. Weiter zur Wasserstelle Tatki.
Ach, da standen sie noch, die pflegeleichten Vielzweckbäume
der Marke Acacia senegal in Reih und Glied. In seiner produktiven Zeit liefert jeder Baum an die 3,6 kg des kostbaren Gummi arabicum. Doch das Missverhältnis zwischen den Produktionskosten und den Marktpreisen war zu groß. Schlimmer noch: 1983, drei Jahre nach unserem Besuch brach die schreckliche langanhaltende Dürre übers Land herein — und so war aus der Traum.
Aus alter Freundschaft mit den Deutschen wurde ich freundlich geladen ins geflochtene Rundhaus des alten Carlingel alias Salika. Selbstbewusst und schweigsam saßen sie auf den buntbedeckten Rundbänken an den Innenwänden. Das Familienoberhaupt Carlingel, neben ihm die älteste seiner vier Frauen namens Djoumel, eben befasst mit der langwierigen Tee-Zeremonie. Zweitfrau Selam trug das Baby auf dem Arm. Tiefblau gewandet Tochter Dengeré, neben ihr die hübsche Fatime im grünen Gewand. Im Dunklen das Baby Djoumel und die Schwiegertochter Hola. Mit seinem ältesten Sohn zusammen hatte Carlingel im eingezäunten Perimeter 8o erwachsene Rinder, 3o Kälber, 8o Schafe und 4o Ziegen. Sie alle fühlten sich wohl, waren gut genährt, wohlhabend. Nirgends die Trommelbäuche der Unterernährung wie in anderen Teilen Afrikas. Sigi durfte mit seinem Weideexperiment zufrieden sein — auch deshalb wurde er hier allerorten gegrüßt und verehrt.
Am frühen Morgen trugen, wie stets, die Frauen mühe- und würdevoll die Gefäße mit 4o und 5o Litern Wasser vom Brunnen in die Häuser, bereiteten den Tee, buken Küchlein aus Hirse in Öl. Die Herren ruhten derweil im Schatten, rauchten und plauderten. Eine junge Frau machte den Toubab aus Allemannia an, strich sich den Bauch, grinste freundlich mit weißen Zähnen. Alles lachte — sie nahm den Fremden auf den Arm und freute sich über dessen Verlegenheit. Zeigte aber stolz ihren Ausweis mit den Namen der Familie und viele große Fotos. Alle waren bereit, sich fotografieren zu lassen zum Abschied. Aus winzigen Gläsern der letzte süße heiße Tee, ein feuchter Händedruck.
Sigi schnippste die Zigarette in den Sand, schob den Sombrero ins Genick: Da kommt ein alter Mann, wo wir in der Runde sitzen, und sagt, er will auch reden, aber nicht zu viel. Er wirft einen Stock in den Kreis und sagt, wir wollen nicht hoffen, dass dieser Stock ein geladenes Gewehr ist, denn dann löst sich ein Schuss, das Pulver ist verschossen, alles ist wie früher. Vor den Deutschen waren schon viele hier. Die haben es so gemacht wie das Gewehr, dann war das Pulver weg, sie selber weg und wir sind immer noch hier.
In der Runde sagte Sigi: ich bleibe! und heute sagt man, Sigi ist immer noch da.
Ein Kollege sagte, Sigi, du spinnst, gehst gesundheitlich kaputt in dem Backofen, und wenn dich die GTZ nicht mehr braucht, schickt sie dich zum Teufel
. Dazu Sigi: Ich bin jetzt 23 Jahre hier, in der Zentrale in Deutschland gehe ich kaputt, ich bin kein Bürokrat
. Sigi ist bald gestorben, irgendwo in Afrika, verbraucht im Dienst der Sache, die sein Leben war. Nachts in der bunten Halle des Hotels La Poste saß ein friedliches und fröhliches und manchmal singendes Relikt aus dem vorigen Jahrzehnt, die Lebedame Coumba — immer und zu allen Diensten bereit. Und leise rauschte der Gambia unter dem Fenster.